Rassismus-Debatte geht weiter: Palmer weist Vorwürfe zurück

OB Boris Palmer nimmt Stellung zu seinen Äußerungen über einen dunkelhäutigen Rüpelradler

Auf Facebook hat Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer eine Debatte über Rassismus, Schwarze und Asylbewerber losgetreten.

03.05.2018

Von Sabine Lohr

Boris Palmer. Bild: Metz

Boris Palmer. Bild: Metz

Er war, so hatte er vor einer Woche im Ulmer Stadthaus berichtet, in der Ulmer Fußgängerzone von einem dunkelhäutigen Radfahrer in offenem Hemd und mit Kopfhörern fast angerempelt worden. Aus Aussehen und Verhalten hatte Palmer geschlossen, dass es sich bei dem Radfahrer um einen Asylbewerber handeln müsse.

Diese und andere Äußerungen kommentierte das TAGBLATT am Samstag. Und sie lösten auf Facebook und auf der Leserbriefseite eine Debatte aus. Auf Facebook postete Palmer daraufhin am Freitag, Samstag und Dienstag Erklärungen zu seinen Äußerungen. Am Mittwoch schickte er dem TAGBLATT auf dessen Bitte hin eine Stellungnahme. Sie ist zu lang, um sie an dieser Stelle komplett wiederzugeben. Darum hier nur Auszüge (Auslassungen sind mit (. . .) gekennzeichnet):

„Motiv und Kontext meiner Aussagen fehlen. Ich habe von meinen Empfindungen bei negativen Erlebnissen mit Asylbewerbern im öffentlichen Raum berichtet, weil ich aus vielen Gesprächen weiß, dass diese Mischung aus Ärger über Fehlverhalten und Furcht vor Kriminalität viele Menschen teilen. (. . .) Mein Appell lautete, sich solche Emotionen einzugestehen und sie besprechbar zu machen. Daran hindert uns der reflexartige Vorwurf der Fremdenfeindlichkeit und des Rassismus. (. . .)

Meine Schlussfolgerungskette ist falsch wiedergegeben. Ich habe aus fünf Merkmalen auf den Aufenthaltsstatus des Kampfradlers geschlossen: Alter, Geschlecht, Hautfarbe, Dresscode, Sozialverhalten. Für junge Männer schwarzer Hautfarbe gilt in Ulm ganz konkret: Von 600 Ende 2016 gemeldeten Menschen mit schwarzafrikanischem Pass waren 350 Asylbewerber. In der Gruppe junger Männer ist der Anteil der Asylbewerber unter den Einwohnern schwarzafrikanischer Herkunft bei 75 Prozent. Beispiel Gambia: Von 115 Einwohnern waren 111 Männer, nur sieben Personen waren vor 2013 bereits in Ulm.

Alter, Herkunft und Geschlecht führen also bereits zu einer hohen Wahrscheinlichkeit, dass der Radler ein Asylbewerber war. Der Dresscode und das Sozialverhalten lassen darauf schließen, dass der Mann keiner Erwerbstätigkeit nachgeht (ein Betrieb würde das Outfit sicher nicht tolerieren) und ohne Familie lebt (Eltern oder Kinder machen so einen Auftritt ziemlich unmöglich).

Alle fünf Merkmale ergeben für mich eine Wahrscheinlichkeit von über 95 Prozent, dass mich ein Asylbewerber beinahe über den Haufen gefahren hat. Daran ist nicht rassistisch, ich schließe nicht aus der Zugehörigkeit zu einer Volksgruppe oder einer Hautfarbe auf ein allgemein zu erwartendes Verhalten, sondern ich bringe eine statistisch belegbare Haufigkeitsverteilung in Zusammenhang mit einem konkreten Ereignis.

(. . .)

Die Wahrnehmungen gehen weit auseinander. Ich weiß aus vielen Gesprächen, dass meine Wahrnehmung, dass ein Teil der Asylbewerber Furcht verbreitet und durch die offensive Nutzung des öffentlichen Raums zur Präsentation von Männlichkeitsritualen Ärger und Zorn hervorruft, von vielen Menschen genau so empfunden wird, von anderen hingegen überhaupt nicht. Das hat mit dem jeweiligen Umfeld zu tun. Zugbegleiter und Polizisten bestätigen mir meine Wahrnehmung fast immer, Gymnasiallehrer sehen es meist anders. Es hat aber auch mit Sensibilität zu tun. Die ist bei mir mittlerweile ausgeprägt. Dazu stehe ich. Ich glaube, wir müssen diese Verschiedenheiten aushalten und darüber reden, ohne uns zu beschimpfen oder zu verurteilen.

Respektlosigkeit fällt bei Asylbewerbern besonders ins Gewicht. Selbstverständlich gibt es mehr weiße als schwarze Kampfradler. Für mich gilt aber, dass ich von Menschen, die Hilfe ersuchen, Respekt gegenüber der Helfergesellschaft erwarte. Die Tunichtgute, die das vermissen lassen, zerstören die Hilfsbereitschaft und dafür müssen sie Sanktionen erfahren. Daran fehlt es. Diese Auffassung verstößt nicht gegen die Auffassung, dass alle Menschen gleich sind. Sie beschreibt lediglich einer überall auf der Welt verbreiteten Grundhaltung: Ein Helfer kann erwarten, dass seine Hilfe ihm nicht zum Nachteil wird.

In meiner Analyse ist es entscheidend, die Ursache der zunehmenden rassistischen Diskriminierung von Ausländern zu bekämpfen. Das ist schon gar nicht in Tübingen eine weit verbreitete rassistische Grundhaltung, die von der AfD angestachelt werden könnte. Die Ursache sind Fehlverhalten und Kriminalität einer klar eingrenzbaren Gruppe von Asylbewerbern. Nur wenn wir dem entschieden entgegentreten, wird die Lage sich verbessern.“

Zum ÜBRIGENS von Samstag schreibt Palmer, es leide „an zahlreichen logischen Fehlschlüssen“. Gegen die darin zum Ausdruck kommenden falschen Unterstellungen verwahre er sich ausdrücklich.

Bereits am Freitagabend, als die Online-Abendausgabe des TAGBLATTs erschienen war, gab Palmer seine erste Erklärung auf Facebook ab. Darin wiederholt er einige der Äußerungen, die er zuvor in Kommentaren formuliert hatte und schreibt: „Ich nehme keinen Satz zurück. Ich erwarte von Asylbewerbern, die hier Hilfe erbitten, dass sie das Aufnahmeland respektieren.“ Auch das Äußere des Radfahrers beschreibt er näher: „Die Vermutung, dass ein junger Mann schwarzer Hautfarbe, behängt mit Goldschmuck, lässigem Outfit, nackter Brust und Tempo 30 auf dem Rad in einer Fußgängerzone ein Asylbewerber ist, speist sich aus der simplen Tatsache: Menschen schwarzer Hautfarbe in diesem Alter sind schon per se selten Bürger und häufig Asylbewerber.“

Palmer appelliert, „den Rassismusbegriff nicht zu entwerten, indem man ihn vollkommen sinnentleert und beliebig auf alles anwendet, was einem nicht ins Weltbild passt.“

Am Samstag schickte Palmer noch eine Erklärung auf Facebook. Sie beginnt so: „Wenn ich in Tübingen einen schwarzen Mann in den 20ern treffe, der über 2 Meter lang ist, würde ich immer wetten: Das ist ein Basketballprofi. Warum? Ich behaupte nicht, aufgrund ihrer Rasse sind das die besseren Basketballer. Ich weiß einfach, dass es entweder gar keinen oder vielleicht einen Menschen in Tübingen gibt, der diese Eigenschaften vereint und kein Basketballer ist.“ Mit jungen schwarzen Männern, die ein sehr auffälliges Sozialverhalten zeigten, sei es ähnlich. „Das ist kein Rassismus, sondern Logik.“

Am Dienstagvormittag schließlich veröffentlichte Palmer auf seiner Facebook-Seite eine weitere Erklärung mit dem Titel: „Die einen nennen es rassistisch, ich nenne es menschlich.“ Palmer schreibt: „Ist es rassistisch, von äußeren Merkmalen und dem Verhalten zu schließen, dass eine Person Asylbewerber ist? Seid ehrlich, das macht ihr auch. Es sind schlicht Erfahrungen und Häufigkeiten, die das bewirken. Es ist menschlich, die Mitmenschen einzuordnen, um sich selbst zurecht zu finden.“

Hunderte Kommentare auf den Facebookseiten von TAGBLATT und Palmer

Bereits am Freitagabend gaben über 100 Nutzer sowohl auf der Facebook-Seite des TAGBLATTs, wo das ÜBRIGENS veröffentlicht wurde, als auch auf Palmers Facebookseite Kommentare ab – und das ließ nicht nach. Bis Mittwochabend waren es auf beiden Seiten zusammen rund 1600 Kommentare, von denen etliche wiederum mehrfach kommentiert wurden.

Die Äußerungen reichen von sachlichen Argumenten über Lob und Tadel bis hin zu Beschimpfungen und Beleidigungen sowohl Palmer und dem TAGBLATT gegenüber als auch gegenüber anderen Kommentatoren.

So schreibt Steffen John: „Herr Palmer, sie haben es wie so oft auf den Punkt gebracht. Für jeden nur durchschnittlich intelligenten Menschen verständlich erklärt. Nur fehlt bei vielen Menschen, hier insbesondere dem deutschen Journalisten, der nötige Wille, das zu begreifen.“ Johannes Braunwarth kommentiert: „Herr Palmer, Sie sind leider ein Rassist.“ Nelly Wagner weiß: „Die arabischen Clans sind deswegen kriminell, weil die erkannt haben, dass es sich in Deutschland lohnt, kriminell zu sein.“ Andreas Niederle fordert auf: „Bitte nicht von den Dummschwätzern einschüchtern lassen“ und Riccardo Domalewski urteilt: „Schwäbisches Tagblatt Nazi-Müll.“

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Erstellt:
03.05.2018, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 5min 03sec
zuletzt aktualisiert: 03.05.2018, 01:00 Uhr

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