Kreis Tübingen · Jugendhilfe

Unterbringung für minderjährige Geflüchtete: Zu viert in einem Zimmer

Der Landkreis Tübingen sucht weiterhin Unterbringungsmöglichkeiten für minderjährige Geflüchtete.

20.04.2023

Von Frank Rumpel

„Wir sind am Anschlag dessen, was wir im Moment noch leisten können“, sagte Jugendamtsleiter Werner Gaugel am Mittwoch im Jugendhilfeausschuss des Kreistages. Bereits im Februar berichtete er dort von der schwierigen Situation bei der Unterbringung und Betreuung von unbegleiteten minderjährigen Ausländern, kurz „Uma“ genannt (wir berichteten). Zur Unterbringung ist die Kreisverwaltung gesetzlich verpflichtet. Allein: Es gibt zu wenig geeignete Wohnmöglichkeiten und zu wenig Fachpersonal. Gleichzeitig stiegen die Uma-Zahlen in den vergangenen Monaten stetig an.

Waren es landesweit im ersten Quartal 2022 noch 485 Uma, verdreifachte sich deren Zahl im vierten Quartal. Insgesamt kamen im Vorjahr 3175 unbegleitete minderjährige Geflüchtete in Baden-Württemberg an. Im Landkreis Tübingen sind aktuell 66 Uma untergebracht, berichtete Gaugel. Die meisten sind in Wohngruppen und dem Betreuten Jugendwohnen, ein kleiner Teil in Pflegefamilien. 18 der 16- bis 18-Jährigen sind derzeit in der Notunterbringung, um sie vor der Obdachlosigkeit zu bewahren. Gerade in diesem Bereich aber sei die Lage aktuell besonders dramatisch, sagte Kirsten Modest in der Sitzung.

Sie ist eine von drei Sozialarbeiterinnen, die sich zusätzlich zu ihren sonstigen Aufgaben um die Uma kümmern. Die meisten der 18 Jugendlichen sind im ehemaligen Rottenburger Hotel Convita einquartiert, meist vier in einem Zimmer. Ansonsten sind im Convita Geflüchtete aus der Ukraine untergebracht. Der Großteil der Uma kommt aus Afghanistan und Syrien, weitere aus afrikanischen und asiatischen Ländern. Für einige habe man nun an drei Tagen in der Woche einen Deutschkurs organisiert – „immerhin“, sagte Modest, denn ansonsten hätten die jungen Männer nicht viel zu tun. 14 Tage lang sei das schon mal okay, sagte sie, aber einige seien seit über 2 Monaten dort.

Zwar habe das Jugendamt extra Betreuungshelfer engagiert und schaue, dass es ständig eine Ansprechperson gebe, aber nachts sei das in der Regel nur die Security. „Die sind voller Enthusiasmus, wenn sie hier ankommen und wir können ihnen nicht viel mehr bieten als ein Dach über dem Kopf“, sagte Modest. „Die Uma bemühen sich sehr, sind verständig, aber nach 4 bis 6 Wochen in der Hängepartie wächst bei denen der Frust.“ So bekämen „besonders schutzbedürftige Menschen derzeit leider ein besonders minimales Angebot“.

Einige Uma werden dem Kreis über das Land zugewiesen. „Das lässt sich gut planen“, sagte Modest. Andere aber sprechen auch einfach persönlich vor. Die müssten dann ad hoc untergebracht werden und das sei schwierig. Künftig sei damit zu rechnen, dass wöchentlich drei neue Uma notversorgt werden müssten.

Man könne die nötigen Plätze nicht aus dem Stand aufbauen, sagte Landrat Joachim Walter in der Sitzung. Der Kreis suche weiterhin intensiv nach Unterbringungsmöglichkeiten. Im Moment gebe es Gespräche für die Nutzung eines weiteren ehemaligen Hotels, das wohl ab Ende Juni zur Verfügung stehe. Aber die dort vorhandenen 18 Plätze seien im Grunde schon belegt. Auch die personelle Situation limitiert die Möglichkeiten. Die 26 vom Kreis angestellten Integrationshelfer machten im Moment nur noch Alltagsbegleitung. „Wir würden gern zusätzliche Kräfte einstellen“, sagte Walter, „aber sie sind nicht da“.

Einige der Jugendlichen konnten in den sozialen Einrichtungen im Kreis unterkommen, etwa in betreuten Jugend-Wohngemeinschaften. 20 habe man seit November aufgenommen, weitere 17 könnten es ab dem Sommer sein, sagte Matthias Hamberger von der Kit-Jugendhilfe. Auch die Sophienpflege hat 12 in einer Wohngruppe untergebracht, aber auch dafür stehe das Personal „nicht gerade Schlange“, sagte sein Kollege Sebastian Kruggel. Er wies zudem darauf hin, dass Jugendliche, die jetzt kommen, „ganz andere Päckchen mitbringen“ als jene, die 2015/16 kamen. Die, so Kruggel, „brauchen auch psychologische Betreuung“.

Berufliche Schulen sind bei Deutschkursen am Limit

Weil für die minderjährigen Flüchtlinge der rasche Spracherwerb wichtig ist, sind die beruflichen Schulen besonders gefordert. Sie bieten etwa eine „Vorqualifizierung Arbeit und Beruf ohne Deutschkenntnisse“ (Vabo) an, die angekommene Flüchtlinge ab 16 Jahren besuchen. Viele der Klassen sind Alphabetisierungskurse, die viel Lehrpersonal binden. Eine im März in Rottenburg gestartete Vabo-Klasse ist bereits voll besetzt. Wegen Lehrermangels wird es für Uma, die vor den Sommerferien ankommen, deshalb zunächst keine Plätze an den beruflichen Schulen geben. Der Kreis sei aber in Kontakt mit anderen Bildungsträgern, die Deutschkurse anbieten, teilt die Kreisverwaltung mit. Wenn es bei den Deutschkursen klemme, so Landrat Joachim Walter in der Sitzung, könne Integration nicht gelingen. Walter: „Da werden Potentiale verschenkt.“

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Erstellt:
20.04.2023, 17:08 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 15sec
zuletzt aktualisiert: 20.04.2023, 17:08 Uhr

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