Pyjamas statt Porzellan
Nach 90 Jahren Kaufhaus-Geschichte schließt Wäsche-Müller in der Falltorstraße
Er wird ihr schon fehlen, ihr Laden: „Starten ist schöner als aufhören“, sagt Gisela Müller. Jetzt geht sie in Rente.
Mössingen. Vielleicht hätte es bessere Pflaster gegeben als Mössingen, sagt Gisela Müller rückblickend. „Aber es hat ja geklappt.“ Die 73-Jährige ist in der Steinlachstadt verwurzelt. Gisela Müllers Vater Martin, geboren 1898, gründete im Mai 1926 sein Geschäft. Dort, wo früher das Friseurgeschäft Mück war, in der Falltorstraße 16.
Bei Kaufmann Müller, der das Geschäft von Christian Hallwachs übernahm, war allerhand zu haben: Bekleidung, Geschirr bis hin zu Kurzwaren und Lebensmitteln. Später zog das Kaufhaus auf die andere Straßenseite um, in die Falltorstraße 19, Gisela Müllers Elternhaus.
Schon als kleines Mädchen verbrachte Gisela Müller, 1943 als jüngstes von vier Kindern geboren, viel Zeit im väterlichen Laden. Wie man Geschäfte macht, das bekam die Mössingerin schon ganz früh mit. „Verkaufen kann ich alles“, lacht Müller.
„Das Mundwerk muss gut sein, und man muss einfühlsam sein.“ Vor allem die umfassende und zuverlässige Beratung schätze ihre Kundschaft. Die kommt nicht nur aus dem Steinlachtal nach Mössingen, um Badeanzüge, BHs oder Nachthemden bei Gisela Müller zu erstehen, sondern auch schon mal von der Alb runter. Wohl auch deswegen, weil die Mössingerin von den allermeisten Kunden im Kopf hat, was sie über die Jahre bei ihr erworben haben. „Ich weiß, was die Mama vor 30 Jahren für einen BH gekauft hat“, sagt Müller lachend. Das bliebe halt hängen.
1968, als ihr Vater Martin Müller mit 70 Jahren in den Ruhestand ging, übernahm Tochter Gisela das Geschäft in der Falltorstraße. Schnell entschied sie sich dafür, Textilwaren statt Porzellan zu verkaufen. Anfangs gab es bei ihr auch noch Röcke, Hosen und Pullover. Später spezialisierte sie sich auf Wäsche, Miederwaren und Bademoden.
Den Leuten wird schon etwas fehlen, wenn Müller ihren Laden bald nicht mehr umtreibt. Sobald das Gros der noch vorhandenen Ware verkauft ist, ist Schluss. Das Müllersche Kaufhaus gab es dann 90 Jahre lang. Vier Kinder hatten Kaufmann Martin Müller und seine Frau Maria. Außer Gisela betrieben auch die beiden Brüder lange ein Geschäft in Mössingen: Alfred Müller war der „Eisenwarenbruder“, und Willy Müller gründete einst den Spar-Laden Auf der Lehr.
„90 Jahre ist schon eine Hausnummer“, findet Gisela Müller. Das sei ein passender Anlass, um jetzt aufzuhören. „Das war schon eine lange Zeit. Ich gehe mit einem lachenden und einem weinenden Auge.“ Jahr für Jahr, Jahrzehnt um Jahrzehnt stand sie in ihrem Laden. Viel Freizeit blieb da nicht, trotz der Aushilfe, die sie beschäftigte.
Jetzt freut sich die Mössingerin darauf, nicht mehr so eingespannt zu sein. Das „Man muss des immer müssen“ fällt dann weg. „Und die Kraft wird ja auch weniger.“ Für ihre Hobbys Wandern und Reisen findet Müller dann künftig hoffentlich mehr Zeit.
Einfacher sei der Verkauf von Textilien für kleinere Läden in den letzten Jahren nicht geworden, erklärt Müller: „Es wird halt alles komplizierter.“ Zum einen haben sich die Ansprüche an Buchhaltung und Verwaltung verändert; zum anderen machen heutzutage Billigtextilketten, Fabrikverkäufe oder der Verkauf übers Internet den kleineren Läden das Leben schwer.
Gisela Müller wird auf jeden Fall auch weiterhin im Haus in der Falltorstraße wohnen bleiben. „Mal sehen, wie es ausläuft“, sagt die 73-Jährige mit Blick auf die verbleibende Zeit mit und in ihrem Wäsche-Geschäft. Ein festes Datum, wann der Laden endgültig seine Türen schließt, steht noch nicht fest. Immerhin gibt es schon einen Interessenten, der den Laden eventuell mieten möchte. „Aber was ganz anderes.“