Der Siemens-Standort ist gesichert

Kompromiss erzielt. 249 statt 337 Stellen fallen in Kilchberg bis Ende 2021 weg

Es gab neun Verhandlungsrunden an 15 Tagen. Harte und schwierige Verhandlungen, wie der Tübinger Betriebsratsvorsitzende von Siemens Ismayil Arslan und die Erste Bevollmächtigte der IG Metall Reutlingen-Tübingen Tanja Silvana Grzesch am Montag bei einem Pressegespräch betonten.

16.08.2017

Von Renate Angstmann-Koch

Getriebemotoren aus der Fertigung von Siemens in Kilchberg sind überall im Einsatz, wo etwas auf Bändern bewegt wird. Archivbild: Metz

Getriebemotoren aus der Fertigung von Siemens in Kilchberg sind überall im Einsatz, wo etwas auf Bändern bewegt wird. Archivbild: Metz

Die Siemens-Pressestelle spricht von „umfangreichen und konstruktiven Gesprächen“. „Wir stehen fest zum Standort Tübingen“, zitiert sie in einer Mitteilung Arno Hoier, den Leiter des Geschäftssegments Getriebemotoren. Oberstes Ziel sei, den Standort Tübingen aus der Verlustzone zu bringen. Gestern Nachmittag wurden die Beschäftigten bei einer Betriebsversammlung über den Kompromiss informiert.

Interessensausgleich mit Sozialplan

Es umfasst einen Interessenausgleich mit Sozialplan, der die Montage von Getriebemotoren am Standort Kilchberg weitgehend erhält. Zweistellige Millionen-Investitionen in Digitalisierung und Optimierung der Produktionsabläufe sollen das Werk zukunftsfest machen. Tübingen soll „Lead Factory“ im Siemens-Konzern bleiben, eine neue Lackieranlage bekommen und seine Lehrwerkstatt behalten. Auch werde die langjährige Forderung des Betriebsrats umgesetzt, einen Fachvertrieb für Getriebemotoren aufzubauen.

Verlagerung und Digitalisierung kosten Arbeitsplätze

Was der Betriebsrat seit langem angemahnt und das Management in den vergangenen zehn Jahren versäumt habe, solle nun in drei bis vier Jahren nachgeholt werden, kritisiert Arslan. Das bedeutet auch, dass bis Ende 2021 bis zu 249 Arbeitsplätze wegfallen – teils durch Verlagerung der Motoren-Vorfertigung und Endmontage der Klein-Getriebe nach Mohelnice, zum größeren Teil aber durch Digitalisierung. Derzeit hat das Werk Arslan zufolge 586 Beschäftigte, dazu 60 Ferienjobber und 20 Zeitarbeitskräfte. Wenn man diejenigen abzieht, die ohnehin Ende des Jahres gehen, blieben bis zu 226 Beschäftigte aus der Stammbelegschaft, die ihren Arbeitsplatz verlieren.

Ergänzungstarifvertrag abgeschlossen

Die IG Metall hat außerdem einen Ergänzungstarifvertrag über die Qualifizierung abgeschlossen, der alle Beschäftigten einbezieht. Sie müssen dafür unbezahlte Zeit aufwenden. Die Geschäftsleitung hatte Grzesch zufolge gefordert, den Manteltarifvertrag über die 35-Stunden-Woche zu öffnen. Die Kilchberger Siemens-Beschäftigten hätten dann wöchentlich zwei Stunden unbezahlt Mehrarbeit leisten sollen. Das sei für die IG Metall nicht in Frage gekommen.

Gewerkschaft und Betriebsrat wollen streng darauf achten, dass die Stunden, die schrittweise abgezogen werden, tatsächlich zur Qualifizierung aufgewendet werden. Das ist einer der Gründe dafür, dass Arslan und Grzesch davon sprechen, die Arbeit fange für den Betriebsrat jetzt erst an.

Ursprünglich wollte die Siemens-Geschäftsleitung die komplette Endmontage von Getriebemotoren ins tschechische Mohelnice verlegen. Das hätte den Verlust von 337 Arbeitsplätzen in Kilchberg bedeutet. Das kündigte die Geschäftsleitung Mitte Februar in München dem Wirtschaftssausschuss des Gesamtbetriebsrats von Siemens an. Der Kilchberger Betriebsrat bildete in dessen Auftrag eine Projektgruppe und erstellte ein eigenes Sanierungskonzept für das rote Zahlen schreibende Werk. Es wurde ein Beraterteam aus Berlin engagiert. Auch die Belegschaft wirkte mit.

60 Verbesserungsvorschläge

Sie reichte sechzig Verbesserungsvorschläge ein, von denen zwanzig zu so deutlichen Einsparungen führen, dass sie der Betriebsrat der Geschäftsleitung vorlegte. In nur drei Sitzungen sei man auf ein Sparpotenzial von 5,5 Millionen Euro gekommen – „was eigentlich die Arbeitgeberseite hätte machen müssen“, so Arslan. Die auswärtigen Berater hätten in anderthalb Tagen Möglichkeiten entdeckt, weitere 2,4 Millionen Euro zu sparen, und erklärt, bei gründlicher Prüfung sei noch mehr drin.

Den Stellenabbau konnte der Betriebsrat jedoch nicht verhindern. „Es war von vornherein klar: Wenn man optimiert und digitalisiert, kostet das Arbeitsplätze“, sagt Arslan. „Es ist natürlich sehr schmerzlich, sich von den Kolleginnen und Kollegen zu trennen. Das schmerzlichste für einen Betriebsrat überhaupt.“

249 Arbeitsplätze fallen am Standort Tübingen weg

Mitte Februar hatte die Geschäftsleitung von Siemens angekündigt, die Endmontage von Getriebemotoren von Tübingen ins tschechische Mohelnice zu verlagern, wo es bereits ein Siemens-Werk gibt.

Der Betriebsrat legte einen Rettungsplan für möglichst viele Stellen vor, den er mit den Beschäftigten, der IG Metall und einem Beraterteam erstellt hatte.

Politische Unterstützung erhielt er nach anfänglichem Zögern vom Tübinger OB, außerdem vom Gemeinderat und Abgeordneten.

Nach dem Abbauplan sollen bis Ende des Jahres die ersten 15 Arbeitsplätze wegfallen und die Reduzierung und Verlagerung bis September 2021 abgeschlossen sein.

Der Abbau soll durch Altersteilzeit-Regelungen, Versetzungen, freiwillige Aufhebungsverträge und Angebote zur Qualifizierung etwa über eine Beschäftigungsgesellschaft erfolgen. Betriebsbedingte Kündigungen sind bei Siemens per Tarifvertrag ausgeschlossen.

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Erstellt:
16.08.2017, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 56sec
zuletzt aktualisiert: 16.08.2017, 01:00 Uhr

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