Corona-Pandemie

Harter Kampf um Impfstoffe

Ein neues Corona-Vakzin wird zugelassen – doch die Liefermengen für die EU und damit Deutschland liegen deutlich unter den Zusagen. Ältere dürfen das Mittel gar nicht erst bekommen.

29.01.2021

Von Hajo Zenker

Der Impfstoff gegen Corona ist noch immer knapp. Foto: ©homeworker/shutterstock.com

Der Impfstoff gegen Corona ist noch immer knapp. Foto: ©homeworker/shutterstock.com

Berlin. Das Desaster ist perfekt: Noch vor der für den heutigen Freitag erwarteten Zulassung des Corona-Impfstoffs von Astra Zeneca hat auch ein drittes Krisengespräch zwischen der EU-Kommission und dem britisch-schwedischen Pharmakonzern kein greifbares Ergebnis gebracht. Nach EU-Angaben soll im ersten Quartal nur ein Viertel der bestellten Menge tatsächlich geliefert werden. Zudem sollen den Impfstoff nun nur unter 65-Jährige erhalten. Dabei sollte dieses leicht handhabbare und billige Vakzin das Impfen in Europa deutlich beschleunigen helfen.

Wie ist die Lage? Völlig verfahren. Seit Wochen aufgebaute Impfzentren bleiben unausgelastet, längst vergebene Termine werden verschoben – der Mangel an Impfstoff ist allgegenwärtig. Und er liegt auch darin begründet, dass die massenhafte Produktion höchst anspruchsvoll ist. Was etwa dazu geführt hat, dass sich das Marburger Unternehmen Biontech, der Entwickler des ersten in der EU zugelassenen Vakzins, frühzeitig mit dem US-Riesen Pfizer zusammentat.

Aber auch das half nicht, kurzfristige Lieferengpässe zu vermeiden: In den USA gilt durch ein Präsidentendekret, dass der gesamte in US-Werken produzierte Impfstoff in Amerika verbleiben muss. In Europa baute Pfizer kurzfristig die Produktion in seinem Werk im belgischen Puurs um, damit die Produktivität dort steigen kann. Das hatte dann sehr schnell auch Auswirkungen auf deutsche Impftermine, die nicht stattfinden konnten. Allerdings hat der Hersteller versprochen, nach der Umrüstung von Puurs alle Rückstände im ersten Quartal noch aufholen und letztlich planmäßig zu liefern. Im zweiten Quartal sollen die Lieferungen sogar deutlich über dem Vereinbarten liegen. Mit dem neuen Produktionsstandort in Marburg soll das im ersten Halbjahr noch einmal spürbar mehr werden.

Ganz anders die Lage bei Astra Zeneca. Hier ist überhaupt nicht absehbar, wann die vertraglich vereinbarten Mengen kommen – wenn sie denn wirklich vertraglich vereinbart sind. Unternehmenschef Pascal Soriot bestreitet jede Verpflichtung. Die EU-Kommission sieht das komplett anders. Man habe Astra Zeneca 336 Millionen Euro für Entwicklung und Fertigung vorgestreckt. Demnach hätte der Konzern seit Oktober auf Halde produzieren müssen, damit der Impfstoff sofort nach der Zulassung in der EU in großen Mengen zur Verfügung steht.

Stattdessen beliefert Astra Zeneca problemlos Großbritannien, kürzt aber gnadenlos die Mengen für die EU. Laut Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) könne bei der Produktion „immer was passieren, die Produktion von Impfstoffen ist sehr komplex“. „Aber dann muss es alle, die bestellt haben, gleich betreffen und nicht nur die Europäische Union.“

Belgien hat deshalb am Donnerstag Kontrolleure der Gesundheitsbehörden in das Werk in Seneffe geschickt, in dem der Impfstoff von Astra Zeneca produziert wird. Die Inspekteure sollen klären, ob die Erklärung des Konzerns für den Lieferengpass wirklich stimmt – oder ob dort in Wahrheit für Großbritannien produziert wird. Die EU-Kommission droht zudem, den Vertrag, der eigentlich vertraulich bleiben sollte, zu veröffentlichen. Inzwischen deutete der Konzern Gesprächsbereitschaft an.

Gibt es weitere Probleme mit Astra Zeneca? Allerdings. Am Donnerstag wurde auch die Empfehlung der Ständigen Impfkommission in Deutschland bekannt, nach der das Astra-Zeneca-Produkt im Gegensatz zu den beiden bereits zugelassenen Vakzinen nur an Menschen unter 65 Jahren verabreicht werden soll, weil aktuell keine ausreichenden Daten für Ältere vorlägen. Der Impfstoff solle also entsprechend der Priorisierung „jeweils nur den Personen angeboten werden, die 18-64 Jahre alt“ sind. „Abgesehen von dieser Einschränkung wird dieser Impfstoff ebenfalls als gleichermaßen geeignet angesehen“, hieß es. Das widerspricht komplett der deutschen Strategie, zunächst die Hochbetagten durch eine Impfung zu schützen. Kein Wunder, dass Jens Spahn nun ankündigte, wegen der Knappheit des Impfstoffes stünden „noch mindestens zehn harte Wochen“ bevor.

Wie teuer sind Impfstoffe eigentlich? Ganz genau lässt sich das nicht sagen. Die Preise für die neuartigen mRNA-Impfstoffe, die Biontech, Moderna und Curevac anbiete, sind aber offenbar deutlich teurer als Mittel mit bekannten Technologien wie von Astra Zeneca. Zumal die Universität Oxford, die mit Astra Zeneca kooperierte, für ihre Beteiligung zur Bedingung gemacht hatte, das Vakzin auf einer gemeinnützigen, nicht gewinnorientierten Basis anzubieten. Und es damit auch für ärmere Länder erschwinglich zu machen. Nach Herstellerangaben soll das Mittel für zwei Euro pro Dosis erhältlich sein. Das Biontech-Vakzin kostet dagegen wohl zwölf Euro, der Impfstoff von Moderna rund 15 Euro.

Wie geht es weiter? Noch im Februar, so die Hoffnung in Brüssel und Berlin, könnte die Europäische Arzneimittel-Agentur EMA in Amsterdam als viertes Corona-Vakzin in der EU den Impfstoff des US-Konzerns Johnson & Johnson zulassen. Das wäre eine echte Verbesserung, weil dies der erste Impfstoff wäre, der grundsätzlich nur eine einzige Impfung pro Person benötigt. Aber auch hier gab es schon Berichte über Produktionsschwierigkeiten.

Um solche Probleme möglichst zu vermeiden, hat sich das Tübinger Unternehmen Curevac jüngst mit dem Pharmakonzern Bayer verbündet. Curevac galt zunächst als heißer Kandidat für einen schnell einsetzbaren Impfstoff, weshalb der deutsche Staat neben der Forschungsförderung noch über die Förderbank KfW mit 23?Prozent bei dem Unternehmen einstieg, um eine Übernahme aus den USA zu verhindern. Doch das Projekt zog sich hin. Geht jetzt alles gut, könnten im ersten Quartal alle Daten vorliegen, um die Zulassung zu beantragen.

Es gibt auch andere Kooperationen: Der französische Pharmakonzern Sanofi will ab Sommer mehr als 125 Millionen Dosen des Biontech/Pfizer-Impfstoffs für die EU im Sanofi-Werk in Frankfurt/Main produzieren, das jetzt dafür umgerüstet werde. Sanofi selbst galt lange Zeit in der EU als Hoffnungsträger für einen Impfstoff, musste dabei aber Rückschläge hinnehmen. Sanofi-Chef Paul Hudson rechnet jetzt mit einer Zulassung des eigenen Impfstoffs bis Ende dieses Jahres.

Unterdessen hat sich eine weitere Hoffnung zerschlagen: die Berliner Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD) hatte in Aussicht gestellt, dass das traditionsreiche Pharmaunternehmen Berlin-Chemie Impfstoff herstellen könne. In der DDR zählte Berlin-Chemie zu den größten ostdeutschen Chemie-Betrieben mit Arzneimittelherstellung. Penicillin und Insulin wurden dort produziert. Sie sei in „guten Gesprächen mit Berlin-Chemie“, ließ die Senatorin wissen. Allerdings stellte das Unternehmen selbst inzwischen klar, dass es keine Produktion von Corona-Impfstoffen plant. „Die Technologie, über die das Unternehmen verfügt, ist für die Produktion von Impfstoffen nicht geeignet“, heißt es in einer schriftlichen Erklärung. Seit 1992 gehört der Betrieb zur italienischen Menarini-Gruppe, einem Pharmaunternehmen mit Sitz in Florenz.

Gibt es denn gar keine gute Nachrichten? Biontech teilte am Donnerstag mit, dass sein Impfstoff auch gegen die so gefürchteten Virus-Mutationen aus Großbritannien und Südafrika wirksam sei. Erste Ergebnisse wiesen darauf hin, dass die Entwicklung eines neuen Impfstoffs für diese Varianten nicht notwendig sein sollte. Allerdings sei die Wirkung bei Mutanten der südafrikanischen Variante „geringfügig niedriger“ ausgefallen. Es sei jedoch unwahrscheinlich, dass dies „zu einer signifikanten Verringerung der Wirksamkeit“ des Impfstoffs führe, betonten die Unternehmen.

Die Tests sollten jedoch fortgesetzt werden, die bisher festgestellten und auch mögliche neue Virus-Varianten würden weiterhin auf mögliche Resistenzen gegen den Impfstoff beobachtet. Sollte es notwendig sein, könnte der Impfstoff angepasst werden. Am Montag hatte bereits der US-Hersteller Moderna erklärt, dass sein Impfstoff gegen die britische und die südafrikanische Variante wirkt.

Harter Kampf um Impfstoffe

Zum Artikel

Erstellt:
29.01.2021, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 4min 34sec
zuletzt aktualisiert: 29.01.2021, 06:00 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen

Sie möchten diesen Inhalt nutzen? Bitte beachten Sie unsere Hinweise zur Lizenzierung.

Push aufs Handy

Die wichtigsten Nachrichten direkt aufs Smartphone: Installieren Sie die Tagblatt-App für iOS oder für Android und erhalten Sie Push-Meldungen über die wichtigsten Ereignisse und interessantesten Themen aus der Region Tübingen.

Newsletter


In Ihrem Benutzerprofil können Sie Ihre abonnierten Newsletter verwalten. Dazu müssen Sie jedoch registriert und angemeldet sein. Für alle Tagblatt-Newsletter können Sie sich aber bei tagblatt.de/newsletter auch ohne Registrierung anmelden.
Das Tagblatt in den Sozialen Netzen
    
Faceboook      Instagram      Twitter      Facebook Sport
Newsletter Recht und Unrecht
Sie interessieren sich für Berichte aus den Gerichten, für die Arbeit der Ermittler und dafür, was erlaubt und was verboten ist? Dann abonnieren Sie gratis unseren Newsletter Recht und Unrecht!