Kreis Tübingen

Bauern wollen ab Montag in der Region protestieren

Auch nach dem Teil-Rückzieher aus Berlin wollen Bauern, teils zusammen mit LKW-Fahrern, kommende Woche für ihre Sache demonstrieren.

04.01.2024

Von Michael Wanner

Mindestens 1200 Landwirte, Handwerker und LKW-Fahrer demonstrierten am Mittwochabend in Rangendingen gegen die Sparpläne der Ampelkoalition. Ab Montagmorgen könnten sich die Proteste noch verschärfen, mit Behinderungen für Berufspendler ist zu rechnen.Bild: Ulmer

Mindestens 1200 Landwirte, Handwerker und LKW-Fahrer demonstrierten am Mittwochabend in Rangendingen gegen die Sparpläne der Ampelkoalition. Ab Montagmorgen könnten sich die Proteste noch verschärfen, mit Behinderungen für Berufspendler ist zu rechnen.Bild: Ulmer

Korrektur: Familie Bechtle aus Waldhausen nimmt an den Protesten teil.
Es rumort unter den Bauern. Einführung einer KFZ-Steuer für ihre Traktoren und Verteuerung von Diesel-Kraftstoff bringen sie auf die Palme. „Das hat das Fass zum überlaufen gebracht“, sagt Jörg Kautt, Vorsitzender des Kreisbauernverbandes Tübingen. Bei einer Sitzung am 3. Januar diskutierte er mit Bauern-Kollegen kontrovers darüber, wie sich die Landwirte an der Aktionswoche des Bundesbauernverbandes beteiligen wollen. Auf jeden Fall sei damit zu rechnen, dass „ab 8. Januar sehr Viele sehr motiviert sind“, so Kautt. Am Mittwoch, 10. Januar, könnte es im Kreis Tübingen eine „Veranstaltung mit Traktoren“ geben, die zu Verkehrsbeeinträchtigungen führen könnte.

Am Donnerstag ruderte die Bundesregierung teilweise zurück: Die KFZ-Steuerbefreiung für Bauern soll nun doch nicht gestrichen werden. Und die Steuerbegünstigung beim Agrardiesel soll 2024 zunächst um 40 Prozent gekürzt und erst bis 2026 vollständig abgeschafft werden. Dem Deutschen Bauernverband reicht das nicht. Dessen Präsident Joachim Rukwied sagte: „Beide Kürzungsvorschläge müssen vom Tisch. Es geht hier ganz klar auch um die Zukunftsfähigkeit unserer Branche und um die Frage, ob heimische Lebensmittelerzeugung überhaupt noch gewünscht ist.“ An der angekündigten Aktionswoche hält der Verband fest.

Wie am Donnerstagnachmittag aus Kreisen von Landwirten zu hören war, sollen trotz der Zugeständnisse aus Berlin ab dem frühen Montagmorgen, 8. Januar, Schlepper-Demos auf Straßen im Landkreis Tübingen stattfinden, die den Berufsverkehr beeinträchtigen könnten – etwa zwischen Rottenburg und Tübingen sowie im Steinlachtal. Auch von Blockaden verschiedener Auffahrten der A 81 durch Landwirte und LKW-Fahrer war die Rede.

Mit bei der Aktionswoche dabei sind Ulrich Bechtle und sein Sohn Rüdiger. Sie betreiben auf Waldhausen einen Hof mit 50 Milchkühen, bauen aber auch Getreide, Raps und Soja an. Ihrer Ansicht nach greift eine Reduktion des Protests auf Kraftstoffpreis und KFZ-Steuer viel zu kurz. „Es geht nicht nur um den Diesel“, sagt Ulrich Bechtle. Die Landwirtschaft werde seit Jahren systematisch drangsaliert und gegängelt. Sie ersticke in realitätsfernen Gesetzen und Verordnungen aus Brüssel, Berlin und Stuttgart. Bechtle beklagt, dass er zur Einhaltung von gesetzten Ernteterminen verpflichtet sei ohne Rücksicht darauf, ob das Wetter dies überhaupt zulasse. Einmal habe ihn ein staatlicher Kontrolleur gerügt, weil er mit seinem Pflug zehn Zentimeter zu weit in seine eigene Wiese hinein geraten sei. Die Medien, auch das TAGBLATT, hätten diese Probleme der Landwirtschaft viel zu lange vernachlässigt, kritisiert Ulrich Bechtle.

Auch Bio-Landwirt Eckart Wizemann wird nicht an den geplanten Protesten im Raum Tübingen teilnehmen. Stattdessen hat er vor, im Rahmen der Grünen Woche in Berlin für einen Umbau der Landwirtschaft zu demonstrieren.

Wizemann sieht dabei die Gefahr einer „Rechtsorientierung“ des Bauernprotests. „Rechte Parolen“ möchte er auf keinen Fall unterstützen. Wichtig ist ihm vielmehr, „sachlich“ zu bleiben. Auch von Traktoren mit Galgen, an denen Ampeln hängen, und der Forderung „Die Ampel muss weg!“ hält er nichts.

Zugleich ist er deutlich „verschnupft“. Als Biolandwirt mit Großvieh sowie Anbau von Getreide und Gemüse erbringe er bereits jetzt durch seine klimafreundliche Wirtschaftsweise einen großen Beitrag zum Schutz der Natur. So verwende er keinen mineralischen Stickstoffdünger, keine chemisch-synthetischen Pflanzenschutzmittel, vermeide Massentierhaltung und ernähre seine Tiere ausschließlich mit Futter, das von eigenen Flächen stammt.

Die geplanten Maßnahmen träfen konventionell arbeitende und biologisch orientierte Landwirte wie ihn gleichermaßen. Unterschiede ergäben sich vielmehr aus dem Betriebstyp. Ein Landwirt mit reiner Weidetierhaltung werde weniger stark betroffen sein als ein Biogashof, der auf ständiges Heranfahren von neuem Grünmaterial angewiesen sei.

Zurück zu den Bechtles. Eine Rechtsorientierung des Bauernprotestes sehen sie nicht. Möglich sei, dass es „Trittbrettfahrer“ gebe. Aber wie weit deren Einfluss gehen könne, „kann ich nicht beantworten, ich bin kein Politikwissenschaftler“, erklärt der Junior.

Viel mehr Sorgen als wegen des Dieselpreises macht sich der Senior wegen des Sterbens ehemals leistungsfähiger Höfe. Auch im Raum Tübingen gebe es immer weniger Landwirte. Das habe viele Ursachen. Das Ausweisen ständig neuer Baugebiete und die steigenden Kosten der Bauern seien nur zwei. Die Kostensteigerungen brächten jedoch auch bei ihm das Fass zum Überlaufen, regt sich Ulrich Bechtle auf.

Ganz ähnlich sieht das Bio-Bauer Wizemann. Sein Bemühen um eine ökologische Landwirtschaft koste viel Geld. Jetzt kämen weitere finanzielle Belastungen auf ihn zu. Allein durch den Wegfall der Steuerrückerstattung erwartet Wizemann zusätzliche Kosten von rund 3000 Euro pro Jahr. Und er habe keinerlei Möglichkeit, sie zu vermeiden oder zu verringern: Er müsse seine sechs Fahrzeuge benutzen, um das Futter für die Tiere von den entfernt liegenden Feldern zu holen, ob er wolle oder nicht. Wizemann beschreibt die Situation drastisch: „Uns Bauern geht es an den Kragen.“

Vater und Sohn Bechtle akzeptieren nur legale Protestformen. Schließlich wolle man die Bevölkerung informieren und nicht gegen sich aufbringen. Wizemann stimmt ihnen uneingeschränkt zu – und hofft auf Verständnis. Denn es seien die Verbraucher, die die höheren Produktionspreise letztlich zu spüren bekämen.

Berichtigung

In einer früheren Version des Artikels war zu lesen: „Nicht bei der Aktionswoche mitmischen wollen Ulrich Bechtle und sein Sohn Rüdiger.“ Diese Aussage stimmt nicht und wurde entsprechend angepasst.

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Erstellt:
04.01.2024, 17:16 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 37sec
zuletzt aktualisiert: 04.01.2024, 17:16 Uhr

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