Corona

Was wird aus dem Unterricht?

Schule hat Priorität – das sagen eigentlich alle. Aber was das in Pandemie-Zeiten heißt, ist noch unklar.

05.01.2021

Von L. BAUTZE, E. HASENKAMP, K. SCHMIDT UND D. TOREBKO

Stefanie Hubig (SPD), Bildungsministerin von Rheinland-Pfalz, auf einer Pressekonferenz. Foto: Andreas Arnold/dpa

Stefanie Hubig (SPD), Bildungsministerin von Rheinland-Pfalz, auf einer Pressekonferenz. Foto: Andreas Arnold/dpa

Als der Dezember-Lockdown begann, standen die Weihnachtsferien zum Glück für alle Beteiligten schon vor der Tür. Doch nun sind langfristige Konzepte für die Schulen in der Pandemie gefragt.

Wie soll es in den nächsten Wochen weitergehen? Noch ist vieles unklar, eines aber scheint sicher: Präsenzunterricht für alle Schüler wie in Vor-Corona-Zeiten ist vorerst „nicht vorstellbar“. So sagt es jedenfalls Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU). Ihr Parteikollege und Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus fordert sogar, die Schulen müssten „ganz geschlossen“ bleiben. Was aber heißt das nun? Verschiedene Modelle sind denkbar: Rein theoretisch könnten die Weihnachtsferien verlängert und die Schulen buchstäblich dicht gemacht werden. Allerdings hatte die Politik stets versprochen, genau das zu verhindern – und in einigen Bundesländern hat der Unterricht am Montag ohnehin wieder begonnen.

Also wird es wohl auf Online-Lernen hinauslaufen. Entweder wird – wie im Frühjahr – vollständig auf Distanzunterricht umgestellt, das heißt, die Schüler bekommen ihre Aufgaben auf elektronischem Wege und werden im besten Fall auch per Video-Schulstunden unterrichtet. Denkbar ist auch ein Wechselmodell zumindest für einige Jahrgänge: Dann würden Klassen und Kurse geteilt und abwechselnd in stark verkleinerten Gruppen und mit ausreichendem Abstand in der Schule unterrichtet, während die jeweils andere Hälfte zu Hause lernt.

Wer entscheidet eigentlich, wie der Unterricht gestaltet wird? Wer selber Schulkinder zu Hause betreut, hat in den vergangenen Monaten gelernt, wie sehr sich der Online-Unterricht nicht nur von Bundesland zu Bundesland, sondern auch von Schule zu Schule, ja sogar von Lehrer zu Lehrer unterscheidet. Während der eine hin und wieder kaum lesbare Scans von Arbeitsblättern verschickt, stellt die andere ein abwechslungsreiches Video-Programm auf die Beine. Nach Ansicht der schleswig-holsteinischen Bildungsministerin Karin Prien (CDU) ist die konkrete Gestaltung vor allem Sache der Schulen, diese würden schließlich auch die schulinternen Lehrpläne erarbeiten. Die Lehrer wiederum müssten „jede einzelne Unterrichtseinheit“ dem Online-Lernen anpassen.

Was spräche dafür, die Schulen offen zu lassen? Berufstätige Eltern müssen sich bei geschlossenen Schulen erneut um eine Betreuung kümmern und diese notfalls selbst übernehmen, was zu erneuten Arbeitsausfällen führen würde. Zudem bedeutet eine Verlängerung der Schulschließungen, dass Kinder und Jugendliche, die von häuslicher Gewalt betroffen sind, weiter isoliert bleiben.

Auch die Lernkluft würde sich weiter vertiefen. Davor warnt Bildungsforscher Rolf Strietholt von der Technischen Universität Dortmund. Mittlerweile zeigten erste Studien sowie die Erfahrungen aus dem Frühjahr, dass der Fernunterricht die Bildungsschwachen weiter zurückwerfe. „Unterricht bedeutet Kommunikation, und Lehrer können aus der Distanz nur schwer erkennen, ob das Vermittelte wirklich verstanden wurde“, erklärt der Hochschulprofessor. Von hybriden Formen, bei denen ein Teil der Schüler anwesend wäre und der Rest per Videoschaltung teilnimmt, hält er nichts. „Das funktioniert einfach nicht, weil für diejenigen zu Hause die Anbindung fehlt“, fügt er hinzu.

Er weist zudem darauf hin, dass nicht nur Kinder und Jugendliche aus sozial schwächeren Familien Probleme in der Schule haben können, sondern sich diese durch alle Schichten ziehen. Er räumt jedoch ein, dass die Benachteiligung auch mit der häuslichen Ausstattung einhergeht: „In manchen Haushalten gibt es ein Arbeitszimmer, doch woanders müssen sich mehrere Kinder um einen Küchentisch setzen und haben nicht einmal einen Drucker, so dass sie nur eingeschränkt am Distanzunterricht teilnehmen können.“ Statt Schulschließungen schlägt Strietholt vor, dass sich ganze Schulklassen wöchentlich mit der Präsenz im Schulgebäude abwechseln könnten.

Sind Schüler ansteckend? Lange hieß es, Schulen seien keine Infektionstreiber. Mittlerweile gibt es immer mehr Wissenschaftler, die von einem erheblichen Infektionsgeschehen in Schulen sprechen. In Österreich führen vier Universitäten im Auftrag des Bildungsministeriums derzeit eine Dunkelziffer-Studie durch. Untersucht werden Kinder bis 14 Jahre und Lehrer, die in die Schule gehen und sich für nicht infiziert halten. Die Studie läuft noch, doch erste Ergebnisse zeigen, dass sich knapp 0,4 Prozent der 10 000 untersuchten Personen ohne ihr Wissen mit Covid-19 ansteckten. Studien aus England bestätigen das. Christian Drosten, Virologe an der Berliner Charité, twitterte Mitte Dezember die Ergebnisse einer britischen Reihenuntersuchung. Demzufolge sind die Infektionsraten „im gesamten Schulalter über dem Durchschnitt der Bevölkerung“.

Das Robert-Koch-Institut (RKI) weist im Gegenzug darauf hin, dass der Anteil an Covid-19-Schulausbrüchen gemessen an allen Covid-19-Ausbrüchen klein ist. Zudem sei das Ausmaß der Übertragung innerhalb der Schulen und von den Schulen in die Haushalte weitgehend unklar und müsse weiter untersucht werden. In Deutschland haben deshalb die Universität Köln und das Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung eine Studie zum Infektionsgeschehen an Schulen gestartet. Ergebnisse soll es erst in der zweiten Jahreshälfte geben.

Was ist eigentlich mit dem milliardenschweren Digitalpakt? Mit dem bereits 2019 verabschiedeten „Digitalpakt Schule“ wollen Bund und Länder für eine bessere Ausstattung der Schulen mit digitaler Technik sorgen. Bis zum Ende des vergangenen Jahres konnten Infrastrukturen und Inhalte zusammen beantragt und gefördert werden. Insgesamt stellt der Bund über einen Zeitraum von fünf Jahren dafür insgesamt fünf Milliarden Euro zur Verfügung. Dazu kommen noch zehn Prozent Förderung von den Bundesländern obendrauf.

Zusätzlich zu dem Milliardenpaket stehen 500 Millionen Euro für diejenigen Schüler zur Verfügung, die zu Hause auf kein mobiles Endgerät zugreifen können. Seit November werden auch 500 Millionen Euro zur Förderung von Administratoren, die sich um die digitale Technik kümmern sollen, bereitgestellt. Auch Lehrer sollen nicht zu kurz kommen – auch sie bekommen 500 Millionen Euro für Laptops. Die Vereinbarungen hierfür werden noch verhandelt.

Die Länder entscheiden dann, nach welchem Verfahren die Geräte für die Schulen beschafft werden. Verteilt werden sie durch die Schulen selbst.

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Erstellt:
05.01.2021, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 50sec
zuletzt aktualisiert: 05.01.2021, 06:00 Uhr

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