China

Triumph der neuen Weltmacht

Die Volksrepublik geht aus dem Krisenjahr 2020 als Gewinner hervor. Gegenüber dem Ausland verfolgt Peking seine Interessen aggressiver denn je.

11.01.2021

Von FABIAN KRETSCHMER

Jubelnde Chinesen am letzten Tag des Jahres 2020, das ihr Land stärker denn je gemacht hat. Foto: Noel Celis/afp

Jubelnde Chinesen am letzten Tag des Jahres 2020, das ihr Land stärker denn je gemacht hat. Foto: Noel Celis/afp

Peking. Sympathiepunkte hat die Volksrepublik China im vergangenen Jahr ohnehin keine gesammelt. Dass aus Ablehnung jedoch Groll wird, dafür sorgen Vorfälle wie jener vorweihnachtliche Eklat bei den Vereinten Nationen: Bei der letzten Sitzung des Sicherheitsrats wagte es Deutschlands scheidender UN-Botschafter Christoph Heusgen, Peking um die Freilassung von zwei inhaftierten Kanadiern zu bitten. Michael Spavor und Michael Kovrig sitzen bereits seit zwei Jahren als politische Geiseln und ohne Hoffnung auf einen fairen Prozess in chinesischer Haft. „Weihnachten ist der richtige Moment für eine solche Geste“, sagte Heusgen, der nun in Rente geht. Die Retourkutsche fiel wenig subtil aus: „Aus tiefstem Herzen: ein Glück, dass wir Sie los sind“, entgegnete Chinas Amtskollege Geng Shuang.

Der Westen wird sich in Zukunft auf einen deutlich raueren Ton einstellen müssen. Denn das Reich der Mitte geht aus dem Krisenjahr 2020 als Gewinner hervor: Epidemiologisch hat es als eine von wenigen Nationen das Infektionsrisiko innerhalb der eigenen Landesgrenzen de facto gebannt. Und ökonomisch wird China als einzige große Volkswirtschaft das Kalenderjahr mit einem Plus abschließen. Der Internationale Währungsfonds schätzt, dass das Bruttoinlandsprodukt Chinas um knapp 1,9 Prozent wachsen wird.

Dementsprechend selbstbewusster wird die Staatsführung unter Xi Jinping auch ihre eigenen Interessen durchsetzen – trotz des politischen Gegenwinds aus dem Ausland. In der Sonderverwaltungszone Hongkong hat Peking im Sommer mit der Einführung eines nationalen Sicherheitsgesetzes eine eindrückliche Machtdemonstration hingelegt, die nicht nur die Protestbewegung praktisch über Nacht niedergeschlagen, sondern auch sämtliche politische Opposition in der ehemaligen Sonderverwaltungszone unmöglich gemacht hat. Ebenso wenig kompromissbereit zeigt sich die Kommunistische Partei, wenn es um die Menschenrechtsverbrechen gegen die muslimische Minderheit in Xinjiang geht. Mit dem Verweis auf „innere Angelegenheiten“ wird sämtliche Kritik aus dem Westen weggewischt. Und wer dennoch die Vergehen Chinas auf diplomatischem Parkett offen anspricht, bekommt umgehend wirtschaftliche Vergeltungsmaßnahmen zu spüren.

All das führt dazu, dass China im Ausland an Ansehen verloren hat. Laut dem „Global Attitudes Survey“ des US-Pew-Forschungsinstituts hat China in praktisch allen 14 befragten Industrienationen 2020 so schlecht abgeschnitten wie noch nie zuvor. In Deutschland etwa hegen demnach 71 Prozent aller Befragten ein negatives Bild vom Reich der Mitte, fast doppelt so viele wie noch zur Jahrtausendwende.

Missverständnisse und Ignoranz

Mindestens ebenso interessant ist jedoch die Eigenwahrnehmung, die gegensätzlicher gar nicht ausfallen könnte: Laut einer aktuellen Umfrage der Global Times, des Propagandaorgans der Kommunistischen Partei, glauben knapp 78 Prozent aller Chinesen, dass sich der internationale Ruf ihres Heimatlandes in den letzten Jahren verbessert habe – allem voran, weil man so erfolgreich bei der Eindämmung von Covid war. Wesentlich deutlicher lässt sich nicht illustrieren, wie stark die Beziehung zwischen China und dem Westen von Missverständnissen und Ignoranz geprägt sind.

Fest steht: Die Volksrepublik China entfernt sich auf absehbare Zeit politisch immer stärker von Europa. Die Meinungsfreiheit wird unter Staatschef Xi Jinping so stark unterdrückt wie zuletzt unter Mao Zedong, die Zivilgesellschaft wurde längst vollständig an den Staat gekettet, ebenso der heimische Journalismus. Die Bevölkerung ist zudem vom freien Informationsfluss des Internets abgeschnitten, da die Zensurbehörden sämtliche kritische Plattformen wie Twitter, Google oder die New York Times gesperrt haben.

Doch dies ist nur eine Seite der Medaille. „Wir müssen mit einem China leben, das existiert – und nicht mit einem China, von dem wir uns wünschen, dass es existieren würde“, sagt etwa der Politikwissenschafter Kishore Mahbubani aus Singapur, der bereits seit Jahren vom „asiatischen Jahrhundert“ spricht. Mit schelmischer Leidenschaft stellt er die Arroganz des Westens heraus, das bevölkerungsreichste Land der Welt nach seinen Wertevorstellungen formen zu wollen. „Wieso denkt ein Land wie die USA mit nicht mal 250?Jahren Geschichte und dem Viertel der Bevölkerung Chinas, dass es China ändern kann – und nicht umgekehrt?“, sagt Mahbubani.

Denn beim Diskurs über China geht allzu oft unter, dass die Staatsführung seit Öffnung der Wirtschaft Ende der 70er Jahre für die wohl rasanteste Verbesserung der Lebensqualität des Volks gesorgt hat. Das Bruttoinlandsprodukt hat sich mehr als verdreißigfacht, die Lebenserwartung ist um über zehn Jahre gestiegen.

Für den Westen ist die vielleicht größte Herausforderung am „chinesischen Weg“ der Beweis, dass Wirtschaftswachstum und gesellschaftliche Entwicklung auch ohne Demokratie und Meinungsfreiheit möglich sind – zumindest bislang. Das Corona-Jahr hat zudem die Staatsführung Pekings in ihrer Macht deutlich gestärkt – und das Gros der 1,4 Milliarden Chinesen dazu gebracht, ihren Blick künftig stärker nach innen zu richten.

März 2020: Patienten packen neben ihren Betten im provisorischen Krankenhaus von Wuhan ihre Habseligkeiten zusammen. Der autoritäre Staat erzielt beim Kampf gegen die Pandemie schnelle Erfolge. Foto: Fei Maohua, dpa

März 2020: Patienten packen neben ihren Betten im provisorischen Krankenhaus von Wuhan ihre Habseligkeiten zusammen. Der autoritäre Staat erzielt beim Kampf gegen die Pandemie schnelle Erfolge. Foto: Fei Maohua, dpa

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Erstellt:
11.01.2021, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 18sec
zuletzt aktualisiert: 11.01.2021, 06:00 Uhr

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