Sehr genau hinhören
Gäste der Woche: Jutta Schreiber, Sylke Busch und Daniel Zips
Wie Jutta Schreiber, Sylke Busch und Daniel Zips zur Palliativmedizin kamen.
Bis in die 90er Jahre, versichern die drei übereinstimmend, sei die Palliativmedizin im Studium praktisch nicht vorgekommen. „Nicht heilen können, das gab es bei uns nicht“, sagt Schreiber. Laut Zips herrschte damals die Überzeugung: „Wenn der Krebs zum Tode führt, haben wir den Kampf verloren.“ Der Tumor galt als Feind, der besiegt werden muss, um jeden Preis. Ein „Kampfdenken“, das sich hartnäckig hielt.
Dass sich dennoch allmählich ein anderes Bewusstsein verbreitete, ist einer britischen Krankenschwester, Ärztin und Sozialarbeiterin zu verdanken. Cicely Saunders gilt als Pionierin der Palliativ-Bewegung, sie gründete das erste Hospiz und zeigte, wie man Schwerkranken mit Hilfe von schon geringen Dosen Morphium die schlimmsten Schmerzen nehmen kann. Heute ist die Palliativmedizin fester Bestandteil des Medizinstudiums, in Tübingen müssen alle angehenden Ärzt/innen ein Seminar besuchen und lernen dabei auch Patienten der Palliativ-Station kennen.
Die Station, die 2018 gegründet wurde, ist eines der Projekte der diesjährigen TAGBLATT-Weihnachtsspendenaktion. Neun Betten sind in der Palliativstation dauerhaft für all jene Patienten reserviert, die nach Einschätzung der Ärzte nicht mehr vollständig von einer lebensbedrohlichen Krankheit geheilt werden können. Bei ihnen steht nicht mehr die Heilung im Mittelpunkt, sondern es geht um Lebensqualität. Individuell wird abgewogen, wie viele Nebenwirkungen ein Patient für ein möglicherweise nur etwas längeres Leben in Kauf nehmen will. Die Entscheidung darüber trifft der Patient. „Wir fragen immer“, sagt Busch, „was er noch für Ziele hat.“ Es sei manchmal gar nicht so einfach, die Ziele herauszufinden, schließlich gingen die Patienten während ihrer Erkrankungen durch viele verschiedene Phasen. „Da müssen wir schon sehr genau hinhören.“
Dass Patienten auf der Palliativstation auch sterben können, verschweigen die drei Mediziner nicht. Alle drei betonen aber auch den Unterschied zu einem Hospiz (wie es derzeit beim Paul Lechler Krankenhaus entsteht). Das Ziel der Palliativmediziner sei es, die Patienten so weit zu stabilisieren, dass sie die Klinik verlassen und die verbleibende Zeit mit einer guten Lebensqualität daheim oder an einem anderen Ort verbringen können. Ohne Schmerzen, Luftnot, Übelkeit oder dauerhafte Angst. Das gelingt in immerhin 80 Prozent der Fälle.
Warum wurde Sylke Busch Palliativärztin? „Bei mir kamen Neigung und Gelegenheit zusammen“, sagt sie. Schon früh interessierte sich die Internistin für Psychoonkologie und half beim Aufbau einer Palliativstation am Stuttgarter Katharinenhospital. Seit Mai ist sie jetzt in der Tübinger Station und findet ihre Arbeit „nach wie vor sehr spannend“. Der „ganzheitliche Ansatz“ ist es, der ihr an der Palliativmedizin besonders gefällt, und die Zusammenarbeit aller Beteiligten.
Dass sich Ärzte aus verschiedenen Fachrichtungen gemeinsam über die beste Therapie für eine/n Patienten/in verständigen, ist inzwischen Standard in der Krebstherapie, doch in der Palliativmedizin sei diese interdisziplinäre Kooperation noch ein bisschen intensiver, meint Zips. Das Besondere sei hier, dass auch Pfleger/innen, Ernährungsberater/innen und Seelsorger/innen in die Besprechungen einbezogen werden und dass selbst die Einschätzung des Musiktherapeuten ernstgenommen wird. „Die Pfleger verbringen schließlich mehr Zeit mit den Patienten als die Ärzte“, sagt der Radioonkologe. Das „multiprofessionelle Arbeiten“ und der regelmäßige Austausch zwischen allen Beteiligten ist auch das, was Jutta Schreiber an der Arbeit gefällt. Die Oberärztin kam über die Innere Medizin und einige biografische Zufälle zur Palliativmedizin. „Unsere Arbeit hier hat viel mehr Facetten“, findet sie.
Leicht ist die Arbeit mit Schwerstkranken nicht. Täglich werden die Mediziner mit großem körperlichem und seelischem Leid konfrontiert. Ohne Supervision geht das nicht. Trotzdem erleben alle drei auch immer wieder schöne Momente. Intensive Gespräche mit Patienten und auch Angehörigen, die dankbar sind, weil ihnen geholfen werden konnte.
Die große Herausforderung bei der Betreuung von Schwerstkranken sei es, sagt Busch, „empathisch zu sein, ohne in Sympathie oder Zynismus zu verfallen“. Als Ärztin müsse sie ihre Patienten „einfühlsam wahrnehmen“, und trotzdem professionell mit der Situation umgehen.
Zur Arbeit gehört es auch, schlechte Nachrichten zu überbringen. Als Radioonkologe ist Daniel Zips das gewohnt, es ist Teil seines Jobs. Wo lernt man, die richtigen Worte zu finden? Zips halfen persönliche Vorbilder, die eigene Lebenserfahrung und: dass er sich fachlich sicher fühlt. „Vor allem jüngere Ärzte tun sich schwer mit solchen Gesprächen“, stellte er fest. Es gelte allerdings auch: „Ein Grundinventar an Kommunikationsfähigkeit sollte man als Arzt mitbringen.“
Gemeinsam mit den beiden Ärztinnen wirbt Zips jetzt um Spenden für die Palliativstation. Zwar wird die medizinische Behandlung von den Kassen übernommen. Doch für viele wichtige Extras fehlt das Geld, für Kunst- und Musiktherapie etwa, aber auch für etwas so Selbstverständliches wie einen Balkon. Ein Balkon öffnet neue Aussichten, dort können die Patienten Luft schnappen und kommen kurz mal raus. Und das ist ja das große Ziel der Palliativmedizin: Die Patienten wieder rauszubekommen aus der Station, sie einigermaßen gestärkt ins Leben zu entlassen.
Prof. Daniel Zips
1970 geboren in Dippoldiswalde
1989 Abitur, Dresden
1991-1997 Studium der Humanmedizin Charité, Berlin,
1997-1999 Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Uniklinikum Dresden
1999-2004 Arzt im Praktikum
2003 Research Fellow, Cancer Genetics, Houston,
2006 Habilitation, Uniklinik Dresden
2006 Forschungsgruppenleiter für experimentelle Strahlentherapie
2010 Stv. Klinikdirektor Strahlentherapie, Uniklinikum Dresden
seit 2012 Ärztlicher Direktor der Universitätsklinik für Radioonkologie Tübingen
seit 2013 Sprecher des CCC Tübingen
Daniel Zips ist verheiratet
Dr. med Jutta Schreiber
1972 geboren in Mainz
1991 Abitur in Wiesbaden
1991 - 98 Medizinstudium in Mainz
1997 University of Florida
1999 Promotion in Mainz
1998 - 2005 Assistenzärztin in Mainz
2005 - 06 Medical Affairs Physician bei Altana Pharma
2006 - 08 Medical Affairs Physician bei Merck
2008 - 09 Medical Leader, Merck
2010 Senior Medical Director bei ImClone Systems, Heidelberg
2010 - 2014 Assistenzärztin am Klinikum Darmstadt
2015-2020 Ärztin am Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen
seit 2020 Oberärztin an der Palliativstation und Universitätsklinik für Radioonkologie Tübingen
Dr. med Sylke Busch
1971 geboren in Gießen
1990 Abitur in Frankfurt
1990 Freiwilliges soziales Jahr am Paul-Lechler-Krankenhaus
1994 Abschluss der Ausbildung zur Krankenschwester
2000 Abschluss Medizinstudium in Marburg
2002 Arztin im Praktikum am Klinikum Stuttgart
2004 Ärztin in der Hämatologie-Onkologie, Klinikum Stuttgart
2012 Fachärztin für Innere Medizin
seit 2018 Funktionsoberärztin Palliativmedizinischer Konsiliardienst, Stuttgart
seit 2020 Fachärztin auf der Palliativstation, Uniklinikum Tübingen
Sylke Busch ist verheiratet und hat ein Kind
Zum Dossier: TAGBLATT-Spendenaktion 2020