Einzelhandel

Corona-Regeln: „Niemand soll den Helden spielen“

Maskenverweigerer und Corona-Leugner machen den Angestellten das Leben schwer. Experten erklären, worauf es dann ankommt.

30.09.2021

Von CAROLINE STRANG

Kein Zutritt ohne Maske, gilt im Handel. Nicht alle wollen sich daran halten  zulasten des Personals. Foto: Hendrik Schmidt/dpa

Kein Zutritt ohne Maske, gilt im Handel. Nicht alle wollen sich daran halten zulasten des Personals. Foto: Hendrik Schmidt/dpa

Ulm. „Ich hau dir auf die Fresse.“ „Warte nur, wenn du heute Abend aus dem Laden kommst.“ Würden seine Mitarbeiter und er sich alles zu Herzen nehmen, was sie an Beleidigungen zu hören kriegen, könnten sie eigentlich gar nicht mehr arbeiten gehen, sagt der Betreiber zweier Lebensmittelmärkte in Ulm, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will. „Aber inzwischen sind wir abgehärtet, Beleidigungen hören wir schon gar nicht mehr.“ Übellaunige Kunden gab es schon immer, Corona und die damit verbundenen Regeln haben die Lage im Einzelhandel allerdings deutlich verschärft – bis hin zu der extremen Eskalation in Idar-Oberstein, wo ein Mann laut Ermittlungen einen Angestellten erschoss, weil dieser ihn auf die Maskenpflicht hingewiesen hatte.

Am Anfang habe er noch versucht, mit Maskenmuffeln zu reden, sagt der Lebensmittelhändler. „Aber viele lassen einfach nicht mit sich reden, das bringt nichts. Außerdem haben wir keine Zeit, endlose Diskussionen zu führen.“ Seit Beginn fährt er nun eine konsequente Linie. Wer ohne Maske den Laden betritt, wird aufgefordert, sie aufzusetzen. Tut der Kunde das nicht, muss er den Laden verlassen. Zu Beginn der Maßnahmen sei das häufig vorgekommen, inzwischen habe sich die strenge Linie herumgesprochen. Körperliche Gewalt mussten seine Mitarbeiter und er bisher nicht erleben, nur Drohungen.

Grundsätzlich nimmt die Aggression in der Gesellschaft wegen der Corona-Maßnahmen aber zu, wie Diplom-Psychologe Wilhelm Schilling, Vorstand der Sektion Wirtschaftspsychologie des Berufsverbands Deutscher Psychologinnen und Psychologen (BDP) bestätigt. „Die Stimmung ist sehr angespannt. Es gibt scheinbar keine gemeinsame Gesprächsgrundlage zwischen Meinungsgruppen. Manche sehen gerade die Maskenpflicht als gravierende Einschränkung der Freiheit, als Eingriff in die Persönlichkeitsrechte – und das ist einer aufgeputschten Grundstimmung“, erklärt er.

Zugenommen hat laut Karl-Josef Thielen, Pressesprecher der Berufsgenossenschaft Handel und Warenlogistik vor allem die subtile Gewalt, die sich durch eine erhobene Stimme oder erzwungene körperliche Nähe ausdrückt: „Ich könnte mir vorstellen, dass diese Stimmung auf die vermeintlich Schwächeren entladen wird. Menschen, die an der Kasse sitzen, werden nicht besonders wertgeschätzt, da traue ich mich, den Ärger rauszulassen.“

Bei der Frage, wie Angestellte auf aggressive Maskenverweigerer reagieren sollten, sind sich Psychologe und Berufsgenossenschaftler einig: Ruhig bleiben und sich selbst schützen. „Der Mitarbeiter sollte nicht diskutieren, nicht lehren, nicht provozieren, sondern Ruhe und Sicherheit zeigen, freundlich und wertschätzend bleiben und dem Gegenüber zeigen, dass er ihn ernstnimmt“, empfiehlt Schilling. „Ruhig bleiben, dreimal tief durchatmen. Kunden beobachten und einschätzen, ob jemand die Maske nur vergessen hat oder sich offensiv weigert“, empfiehlt Thielen. Sein Ratschlag: „Reagiert der Kunde provokant oder sogar aggressiv, rate ich, gar nichts mehr zu sagen und es durchgehen zu lassen.“ Das sei besser als in den Konflikt zu gehen.

Wird der Kunde wirklich aggressiv, sollten die Verkäufer sich schützen und im Team zusammenhalten. „Wenn ich das nicht vorher besprochen oder trainiert habe, fällt mir das schwer“, sagt Schilling. Er hält es für sinnvoll, die eigenen Gefühle stärker zu äußern, zu sagen: Ich habe Angst. Mit der Polizei zu drohen oder zu versuchen, sie anzurufen, sei in eher eskalierend. „Wenn es geht, weiter gelassen bleiben, die Probleme weglächeln. Grundsätzlich sollte niemand den Helden spielen.“

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Erstellt:
30.09.2021, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 39sec
zuletzt aktualisiert: 30.09.2021, 06:00 Uhr

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