Ofterdingen

500 Jahre Mauritiuskirche: Netzgewölbe mit Niveau

Die Mauritiuskirche wird 500 Jahre alt. Und Ofterdingen feiert dieses Wochenende mit Aktionen für Kinder, mit Konzert, Vortrag und Führungen, Theaterstück und Festgottesdienst.

25.05.2022

Von Susanne Wiedmann

Hier steht sie seit 500 Jahren, mitten im alten Dorfkern: die Ofterdinger Mauritiuskirche. Bilder: Manfred Grohe

Hier steht sie seit 500 Jahren, mitten im alten Dorfkern: die Ofterdinger Mauritiuskirche. Bilder: Manfred Grohe

Er ragt weit über die Dächer des Ortes hinaus. Wer auf der Bundesstraße nach Ofterdingen fährt, erblickt schon von fern den Kirchturm, 45 Meter hoch, mit Satteldach und Zinnen bekrönt. Ursprünglich gehörte er zu einer Burg. Aber vor 500 Jahren wurde er vom Wehrturm zum Kirchturm. Und längst ist er ein Wahrzeichen der Gemeinde.

Als Ofterdingen 1417 von der Ortsherrschaft der Herter von Dußlingen an das Kloster Bebenhausen verkauft wurde, da stand die Pfarrkirche noch auf dem Ofterdinger Berg, oben bei der Beginenklause, wo noch heute der Ofterdinger Friedhof liegt.

Abt Johann von Fridingen hatte nicht nur in Bebenhausen einige spätgotische Gebäude errichten lassen. Er war auch dafür verantwortlich, dass am 10. Juni 1522 mit dem Bau der heutigen Ofterdinger Kirche begonnen wurde. Davon zeugt der gemeißelte Schmuckstein am Nordportal. Über der Inschrift links: das Wappen des Klosters. Rechts: das Wappen des Abtes.

Seit 500 Jahren steht sie also hier. Wenn das kein würdiger Anlass für ein Fest ist! Die Ofterdinger gestalten ein ganzes Festwochenende von Freitag bis Sonntag, 27. bis 29. Mai (siehe Kasten). Da der eigentliche Jubiläumstag mitten in den Pfingstferien liegt, schon zwei Wochen früher. Für Pfarrer Fabian Kunze bedeutet das Jubiläum eine besondere Chance und Verantwortung. Das Fest solle die Vielfalt widerspiegeln, für die das Gebäude stehe, sagt er. Aber auch die Kirche als Teil des Ortes – außerhalb der evangelischen Kirchengemeinde. Dass dies gelingt, zeigt sich schon daran, dass der Pfarrer nie den Eindruck hatte, nicht genügend Freiwillige zu finden, um das Fest überhaupt zu stemmen.

Wer etwas über die Kirchengeschichte erfahren möchte, hört am besten Kunzes Vorvorvorvorgänger Albrecht Esche zu. Von 1983 bis 1994 war er Ofterdinger Pfarrer, trug in seinen Büchern Geschichte und Geschichten zusammen – und noch heute ist er mit dem Ort verbunden. Zum Auftakt des Jubiläums spricht er am Freitag, öffnet den Tresor, zeigt Kirchenschätze wie das Abendmahlgerät. Dazu werden Bilder des Fotografen Manfred Grohe auf die Leinwand projiziert. „Er hat wunderbare Fotos gemacht“, sagt Kunze. Auch die Metzlerorgel wird erklingen.

„Das Spätmittelalter ist eine unglaublich spannende Zeit“, findet Kunze. Nicht nur kirchengeschichtlich, auch gesamtgesellschaftlich. Nur zwölf Jahre nach Baubeginn wurde 1534 – im Jahr der württembergischen Reformation – der erste evangelische Gottesdienst abgehalten und die Kirche an die Gemeinde übergeben. „Der damalige Pfarrer musste gehen, weil er nicht reformatorisch predigen wollte“, sagt Kunze.

Die Mauritiuskirche entspricht den Formen einer spätgotischen Dorfkirche: einschiffiges Langhaus, nach Osten abgeschlossen von einem vieleckigen Chor. Immer wieder wurde das Kirchenschiff renoviert – und verändert. Im 17. Jahrhundert entstanden etwa zusätzliche Emporen. Die ursprüngliche Westempore unterscheidet sich durch ihre Farbgebung und geschafteten Säulen. 1824 wurde die bemalte gotische Holz-Kassettendecke des Kirchenschiffs durch eine Gipsdecke ersetzt. Es war unangenehm aufgefallen, dass durch Spalten und Astlöcher der Holzbretter „Spreuer-Staub“ herunterrieselte auf Altar, Kanzel, Taufstein. Aber 1863 fiel noch viel mehr herab: nämlich fast die ganze Gipsdecke. Und es wurde ein neues Gebälk eingezogen. 1903 malte man die Kirche im Geschmack der Jahrhundertwende aus. Doch zwischen 1953 und 1957 erhielt sie ihr gotisches Aussehen zurück. 1985/86 wurde das Holzwerk der Empore freigelegt und das spätgotische Netzgewölbe des Chors erhielt wieder seine ursprüngliche Bemalung. Und genau darin unterscheidet sich das Ofterdinger Bauwerk von anderen Dorfkirchen: „Die außergewöhnliche Form des Chorgewölbes und die hohe Qualität der Ausführung lassen die Architektur der Mauritiuskirche über das übliche Niveau einer Dorfkirche hinauswachsen“, schrieb die Kunsthistorikerin Ulrike Vogelmann.

Licht flutet durch fünf hohe Maßwerkfenster in den Chor, auf die Metzlerorgel und auf das Chorgestühl. Es stammt noch aus der Bergkirche, um 1500 gebaut für die Beginen, mit kunstvollen, geschnitzten Flachreliefs, Blumenornamenten und Fabeltieren, an den Wangen Halbfiguren. Und auch die Kanzel stammt aus der Erbauungszeit. Fabian Kunze sagt: „Wenn man überlegt, dass die Kirche und die Gemeinde seit 500 Jahren bestehen, flößt das auch Ehrfurcht ein.“

Der Heilige Mauritius mit Schild und Kreuzesfahne in einem Schlussstein des Chorgewölbes.

Der Heilige Mauritius mit Schild und Kreuzesfahne in einem Schlussstein des Chorgewölbes.

Freitag, 19.30 Uhr: Der ehemalige Ofterdinger Pfarrer Albrecht Esche hält unter dem Titel „Lasst Mauritius im Dorf – Ein bedeutendes Kapitel der Ortsgeschichte“ einen Vortrag.Dazu sind Fotografien von Manfred Grohe zu sehen. Anschließend gibt es einen Sektempfang.

Samstag, 11 bis 17 Uhr: Aktionen für Kinder und Familien. Zwischen 11 und 14 Uhr: Kirchen-Rallye, sozusagen eine Schnitzeljagd in der Kirche.

Zwischen 12 und 14 Uhr: Kirchen- und Kirchturmführungen.

Um 14 Uhr macht die Orgelfledermaus eine besondere Orgelführung. Ein kleines Theaterstück für Kinder ab fünf Jahren und junggebliebene Erwachsene. Theaterpädagogin Simone Benzinger ist die Orgelfledermaus und zeigt Akrobatik an einem Vertikaltuch. Und Gilla Sauerbeck spielt an der Orgel.

Um 17 Uhr beginnt ein Konzert mit den Ofterdinger Singvögeln, mit dem Posaunenchor, mit Mauritiuskantorei, Gospelchor und dem Bürgergesangverein. Die Chöre singen sowohl einzeln als auch gemeinsam.

Mittags und Abends gibt es Essen und Trinken. Am Samstag ab 12 Uhr kommt die Narrenzunft mit ihrem Pizzawagen. Die Jungschar verkauft Waffeln, der Eismann ist am Nachmittag da. Auf dem Kirchplatz sind Zelte aufgebaut.

Sonntag, 10 Uhr: Festgottesdienst mit Dekanin Elisabeth Hege und Pfarrer Fabian Kunze. Musikalisch begleitet von Gilla Sauerbeck an der Orgel und Trompeter Jörg Günter. Bürgermeister Joseph Reichert spricht ein Grußwort. Zum Abschluss gibt es Mittagessen.

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Erstellt:
25.05.2022, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 43sec
zuletzt aktualisiert: 25.05.2022, 01:00 Uhr

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