Jahresausklang in der Unistadt: Glückwünsche im Nebel

Neckarbrücke hat sich zum Silvestermagneten entwickelt

In der Tübinger Silvesternacht waren ganz traditionell Sekt und Böller, aber auch klassische Musik zwei der Hauptattraktionen: Das feuerwerkdurchblitzte Anstoßen auf der Eberhardsbrücke um Mitternacht und die Spätmotette in der Stiftskirche.

01.01.2016

Von DOROTHEE HERMANN

Blutrote Glut und explodierende Funkenfäden: Das Silvester-Feuerwerk auf dem Tübinger Österberg.Bild: Franke

Blutrote Glut und explodierende Funkenfäden: Das Silvester-Feuerwerk auf dem Tübinger Österberg.Bild: Franke

Tübingen. Die Neckarbrücke wandelt sich in der letzten Nacht des Jahres zu einem symbolischen Zentrum Tübingens. So gemischt wie dort wird nirgends gefeiert: Familien mit Kindern treffen auf Austauschstudenten und ältere Leute. Flüchtlinge stehen zwischen Teenies und der berufstätigen mittleren Generation. Sektkorken knallen, Wunderkerzen kreisen. Jede Menge fast andächtig emporgehaltene Smartphones halten die Szenerie für die Ewigkeit fest.

Mittendrin stößt Marie Hoffmann mit Freunden an. Sie arbeitet für eine Tübinger Biotech-Firma und lebt erst seit kurzem in Kusterdingen. Zum Feiern findet sie Tübingen unvergleichlich. Die Gruppe war zuvor im El Chico essen und will später noch ein bisschen Party machen. „Alle, die mich hier besuchen, sind so begeistert von Tübingen.“

Die Fahrbahn der Eberhardsbrücke diente als Abschussrampe für die beliebten Funkenregen-Raketen – als wollten die Feuerwerker eine Zukunft als autofreie Feiermeile herbei illuminieren. Vereinzelt passierende Fahrzeuge wurden prompt durchgelassen. Ein Streifenwagen bekam ein freundliches Winken ab. Feuerwerksrauch und feuchter Nebel verdichteten sich rasch zu wallenden weißen Schwaden, als könnte jeden Moment Jack the Ripper umgehen – oder sämtliche Geister von Halloween.

Im Landestheater Tübingen (LTT) waren sämtliche Vorstellungen schon vorab ausverkauft. „Theatersport“ nachmittags und abends ebenso wie das Doppel von Heiner Kondschaks musikalischer Zeitreise „Forever 27“ und ab 22 Uhr die Weihnachtskomödie „Der Messias“. Für den Entringer GAL-Gemeinderat Andreas Steinacker und seine Familie gehört der LTT-Besuch unbedingt zu Silvester. Eigentlich „Theatersport“-Fans, entschieden sich die Steinackers diesmal für Kondschaks Musik-Revue „Forever 27“. Bei einem stärker wort-orientierten Programm hätte der Gastschüler aus Brasilien, der derzeit bei der Familie wohnt, noch zu wenig mitbekommen. Ins Neue Jahr hinein feiern sie privat nach dem Theater.

Gegen 22 Uhr strebten drei Motettenbesucher die Pfleghofstraße hinauf Richtung Stiftskirche. „Ich habe Sekt mit. Ich habe Kuchen mit. Ich habe Becher mit. Wir können doch nicht im Seitenschiff Schlange stehen“, sagte eine der drei, die zuviel Andrang beim Umtrunk in der Kirche nach dem Konzert fürchtete. „Hoffentlich ist es nicht schon voll“, meinte der zweite. „Glaube ich nicht, Bach ist nur etwas für Oldies“, so die dritte. So war es aber nicht. Offenbar zieht ein besinnlicher Jahreswechsel zur Musik von Johann Sebastian Bach alle Generationen an, wie sich in der sehr gut besuchten Stiftskirche zeigte (siehe Regionale Kultur).

Wer nicht im Theater war, traf sich in der Stadt zum Vorglühen und brachte sich mit einzelnen Krachern in Stimmung – beispielsweise auf der nebelumwaberten Platanenallee. Über dem Französischen Viertel stieg schon gegen 20.30 Uhr die erste grüne Rakete in den Nachthimmel.

Ein weiterer Tübinger Silvester-Klassiker sind Festmenüs wie im Restaurant Casino am Neckarufer, im „Ludwig’s“ oder im Hotel Krone. 78 Euro kostete das Silvesterbüffet im „Ludwig’s“, Aperitif und Champagner an der Outdoor-Bar um Mitternacht inklusive. Alle Tickets waren vorab ausgebucht. Auf die Gäste wartete unter anderem Lachs mit dreierlei Dips oder Maki-Sushi mit Algensalat. Vegetarier wählten statt Lammkeule oder Zandermaultäschle Kartoffelstrudel oder Ratatouille. Küchenchef Axel Grözinger und Sous-Chef Philip Brenner haben sich das internationale Menü ausgedacht, das mit Kirsch-Mandelcrumble, Hugo Sorbet oder am Schokoladebrunnen mit Früchten zum Dippen abgerundet wurde. Wer es schlichter mochte, holte sich gegenüber beim Imbiss „Istanbul“ die habhafte Grundlage für die längste Nacht des Jahres.

Für Taxifahrer ist Silvester eine von drei Spitzennächten

Für Tübinger Taxifahrer ist es selbstverständlich, die letzte Nacht des Jahres nicht beim Bleigießen, sondern hinter dem Steuer zu verbringen. „Das kann sich kein Taxler entgehen lassen“, sagte Dieter Keim, seit fast 40 Jahren im Gewerbe, am Taxistand in der Wöhrdstraße. „Silvester, Halloween und Walpurgis sind die drei Nächte im Jahr, in denen richtig viel los ist.“ Sein Kollege Harald Kirsamer ergänzte: „Wir machen unser Silvester am Neujahrsabend. Wenn die anderen verkatert sind und nichts mehr von der Welt wissen wollen.“ Mindestens 50 Taxis waren allein in Tübingen im Einsatz. Nach zwei oder drei Uhr, wenn der erste Schwung nach Hause will, kann es eng werden. „Manche laufen bis zum Bahnübergang Richtung Freibad, um aus dem Neckartal zurückkehrende Taxen abzufangen“, so Keim.

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Erstellt:
01.01.2016, 16:02 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 05sec
zuletzt aktualisiert: 01.01.2016, 16:02 Uhr

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