Fußball-Weltmeisterschaft: Les Bleus oder rot-weiß kariert?

Kroaten und Franzosen in der Region fiebern dem Endspiel entgegen · Fan-Artikel sind ausverkauft

Das rot-weiß gewürfelte Trikot der kroatischen Fußball-Nationalmannschaft gehört spätestens seit dieser Woche zum Stadtbild, die Euphorie nach dem ersten Einzug überhaupt ins Endspiel einer Fußball-Weltmeisterschaft ist grenzenlos.

13.07.2018

Von ST

Erstmals in einem WM-Finale: So feierten die kroatischen Fußballer und Fans in Moskau nach dem Halbfinale. Bild: Ulmer

Erstmals in einem WM-Finale: So feierten die kroatischen Fußballer und Fans in Moskau nach dem Halbfinale. Bild: Ulmer

Wer heute noch auf die Schnelle ein Frankreich- oder Kroatien-T-Shirt kaufen möchte, kommt zu spät. Bei Sport-Räpple in der Karlstraße Tübingen waren schon beim Achtelfinale sämtliche kroatischen Shirts (und Fan-Artikel) verkauft. Das letzte französische Trikot ging am Mittwoch über die Verkaufstheke. Neue Shirts nachbestellen können die Sportgeschäfte nicht, bedauert Filialleiter Tim Lange. „Wir müssen die Ware weit im voraus bei den großen Herstellern ordern.“ Weil die Geschäfte auch keine Shirts zurückgeben können, wandern jetzt, trotz 50 Prozent Rabatt, relativ viele Deutschland-Trikots ins Lager. Zahlen will Lange wegen der Konkurrenz nicht nennen, aber der Anteil der Deutschland-Trikots am gesamten WM-Angebot liege bei 95 Prozent.

Er hätte nicht gedacht, dass er Kroatien mal in einem WM-Finale erleben würde, sagt Josip Micic, 40, Pressesprecher beim SV Croatia Reutlingen. „Wir hatten in der Vergangenheit schon große Spieler, die aber nie als Team aufgetreten sind“, erklärt der in Rommelsbach wohnende Einkäufer bei Daimler. Vor dem Halbfinale gegen England habe er kein gutes Gefühl gehabt, „aber fürs Finale bin ich zuversichtlich. Auch wenn ich ein bisschen Bammel vor Kylian Mbappé habe.“ Doch wenn einer Frankreich schlagen könne, dann Kroatien. „Weil wir Rückstände wegstecken und nie aufgeben“, sagt Micic.

Eine Riesengeschichte

Die erste Mannschaft von Croatia Reutlingen spielt in der Fußball-Bezirksliga und hat zweimal hintereinander den Bezirkspokal gewonnen. Die Hälfte der Kicker sind Kroaten oder haben kroatische Wurzeln. „Wir sind ein kleines Volk, für uns ist das eine Riesengeschichte“, sagt Croatia-Präsident Nikola Solic, 57, Verkäufer beim Autohaus Menton. „Das Finale bedeutet uns unendlich viel. Normal haben wir gegen Frankreich keine Chance – aber wir werden sie trotzdem nutzen“, sagt der Pfullinger. Wenn es nicht klappen sollte mit dem Titel, wird eben die Vize-Weltmeisterschaft gefeiert. „Auch das ist mehr, als wir uns erhoffen konnten.“

Nikola Silic aus Riederich im Luschnikistadion. Privatbild

Nikola Silic aus Riederich im Luschnikistadion. Privatbild

Und der SV Croatia Reutlingen hat sogar einen Mann vor Ort in Moskau: Nikolai Silic, 26, ist am Dienstag nach Russland geflogen, hat sich das Halbfinale angeschaut und ist auch beim Endspiel dabei. Der in Riederich wohnende Vertriebsmitarbeiter ist der Sohn von Ivica Silic, der früher für den SSV Reutlingen, Spvgg Mössingen und FC Rottenburg kickte.

Jeder WM-Auftritt der Kroaten wurde auch im Sportheim der SF Dußlingen übertragen – die Wirtsfamilie Ilic stammt aus Kroatien. Tochter Josipa Ilic überlegt derzeit noch, welche Spezialität beim Endspiel am Sonntag angeboten wird. Beim Halbfinale brutzelte ein Spanferkel, nach dem Sieg in der Verlängerung war die Euphorie riesig. „Aber bei uns schauen auch viele Deutsche, die Stimmung ist friedlich“, sagt Ilic.

Alle fiebern mit

Und die Franzosen in der Region? Sind eine Spur zurückhaltender als die Kroaten, aber ebenfalls siegessicher: „Natürlich ist Kroatien stark, aber ich glaube, es klappt – denn Frankreich hat Mbappé und Griezmann“, sagt Sandrine Sequaris-Thies (45). Für Sonntag hat sich die Französin mit Freunden zum Gucken verabredet. Die Kunst- und Museumspädagogin lebt seit sechs Jahren in Tübingen – und war beim Halbfinale in einem Gewissenskonflikt: Ihr Vater ist Belgier. „Aber er ist jetzt auch für Frankreich, alle fiebern mit“, sagt Sequaris-Thies. Der aktuelle Erfolg bei der WM sei für Frankreich mehr als nur ein sportlicher Sieg: „Es tut gut zu sehen, wie die Menge auf den Champs Elyssées feiert, denn im Hinterkopf haben wir eben immer noch den Terror“, sagt Sequaris-Thies.

Freitags das Sommerfest des Instituts Franco-Allemand auf dem Österberg, am 14. Juli der Nationalfeiertag, tags darauf das Endspiel – könnte ein perfektes Wochenende werden aus französischer Sicht. Treffpunkt für alle Anhänger von „Les Bleus“, wie die Franzosen ihr Team nennen, ist die Hintere Grabenstraße: Im Kino Arsenal gibt es wie bei allen WM-Spielen Frankreichs auch am Sonntag ein Public Viewing – die Fans hoffen auf den zweiten WM-Titel nach 1998.

Einer der ganz wenigen Franzosen, der am Sonntag keinen Fußball schauen wird, ist der Tübinger Künstler Serge Le Goff. Der ehemalige französische Soldat hasst Fußball. „Wenn eine Nation ihren Stolz in einen Ball stecken muss“, erklärte er dem TAGBLATT, „dann liegt die Ehre der Nation am Boden.“ Er werde am Sonntagnachmittag im Gartenhaus die Ruhe genießen.

Autokorso nach dem Halbfinal-Erfolg Kroatiens

Rund 1800 kroatische Fans, so schätzt die Polizei, bejubelten den Halbfinal-Sieg ihres Teams am Mittwochabend bei einem Autokorso mit etwa 200 Fahrzeugen in Reutlingen. Für etwa 45 Minuten wurde die Karlstraße komplett gesperrt, anschließend zogen etwa 300 Fans zum Marktplatz und feierten dort bis etwa 0.30 Uhr weiter. Auch in Mössingen waren etwa 35 Fahrzeuge laut hupend unterwegs, etwa 250 kroatische Fans säumten die Straßen. Während der Feier kam es zu zahlreichen Beschwerden wegen Ruhestörungen, vereinzelt wurden Schüsse mit Schreckschusspistolen gemeldet oder Bengalos gezündet. Insgesamt

zeigten sich die Einsatzkräfte mit dem friedlichen Verlauf der Feiern zufrieden. Vereinzelt mussten die Beamten eingreifen und die Fans daran erinnern, „dass Autodächer während der Fahrt keine geeignete Sitzmöglichkeiten sind oder dass in Cabrios keine Stehplätze vorgesehen sind“, heißt es im Polizeibericht. Sollte Kroatien auch das Finale gewinnen, ist mit einem weiteren Autokorso am Sonntagabend zu rechnen.

Zum Artikel

Erstellt:
13.07.2018, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 37sec
zuletzt aktualisiert: 13.07.2018, 01:00 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen

Sie möchten diesen Inhalt nutzen? Bitte beachten Sie unsere Hinweise zur Lizenzierung.

Push aufs Handy

Die wichtigsten Nachrichten direkt aufs Smartphone: Installieren Sie die Tagblatt-App für iOS oder für Android und erhalten Sie Push-Meldungen über die wichtigsten Ereignisse und interessantesten Themen aus der Region Tübingen.

Newsletter


In Ihrem Benutzerprofil können Sie Ihre abonnierten Newsletter verwalten. Dazu müssen Sie jedoch registriert und angemeldet sein. Für alle Tagblatt-Newsletter können Sie sich aber bei tagblatt.de/newsletter auch ohne Registrierung anmelden.
Das Tagblatt in den Sozialen Netzen
    
Faceboook      Instagram      Twitter      Facebook Sport
Newsletter los geht's
Nachtleben, Studium und Ausbildung, Mental Health: Was für dich dabei? Willst du über News und Interessantes für junge Menschen aus der Region auf dem Laufenden bleiben? Dann bestelle unseren Newsletter los geht's!