Serie

„Krisen haben auch Gutes“

Davide Licht (32) wurde mitten in der Pandemie Bürgermeister in Burladingen. Corona meistern, Stadt erneuern, alte Gräben schließen – er hat viel vor.

14.08.2021

Von TANJA WOLTER

Seit Dezember 2020 im Amt: Burladingens junger Bürgermeister Davide Licht hat große Pläne. Foto: privat

Seit Dezember 2020 im Amt: Burladingens junger Bürgermeister Davide Licht hat große Pläne. Foto: privat

Burladingen. Davide Licht empfängt so, wie man es sich bei einem jungen Bürgermeister voller Tatendrang vorstellt. Statt bei einer Tasse Kaffee am Besprechungstisch über seine Erfahrungen in der Corona-Krise zu reden, schlägt er eine Spritztour durch Burladingen vor. Gesagt, getan: Eine Stunde lang geht es im Ford Focus rauf und runter, über Dorfstraßen und holprige Waldwege zu alten Burgruinen, durch alle zehn Ortschaften – Gauselfingen, Hörschwag, Killer und so fort – und entlang eines Gewerbegebietes zurück in die Kernstadt.

38 Kilometer müssen danach ins Fahrtenbuch eingetragen werden. Burladingen im Zollernalbkreis ist mit 12?600 Einwohnern nur eine Kleinstadt, umfasst aber eine Fläche von 123 Quadratkilometer – und damit mehr als eine offizielle Großstadt wie Ulm (118,7 km2). „Wir sind der fünftgrößte kommunale Waldbesitzer in Baden-Württemberg“, sagt der Bürgermeister. Dass es auch vier verschiedene Telefonvorwahlen gibt, erwähnt er erst gar nicht.

Davide Licht (parteilos) hat sein Amt Anfang Dezember 2020 angetreten, als in ganz Deutschland noch die zweite Corona-Welle tobte. Mit seinen 32 Jahren gehört der Verwaltungsfachmann zum kommunalpolitischen Nachwuchs im Land. Wie heftig war der Sprung ins kalte Wasser für den Neuling in der Pandemie? „Nicht ganz so kalt“, sagt Licht. Vor seiner Wahl war er Mitglied des Corona-Stabs in Calw, wo er die Abteilung Liegenschaften leitete. Krisenbewältigung war also nicht ganz neu für ihn. „Aber wir waren gefordert“, betont Licht.

Die Krise ist das eine, die Überwindung von Gräben das andere. Lichts Vorgänger Harry Ebert hatte mit seinem unverhohlenen Rechtsdrall und späterem AfD-Beitritt der Stadt das Siegel einer rechtspopulistischen Hochburg aufgedrückt und viele Scherben hinterlassen. Über Ebert will der Nachfolger nicht sprechen, „die Vergangenheit lassen wir Vergangenheit sein“. Aber den Ruf der Stadt will er verbessern, „positive Akzente“ setzen. Offenheit und Zusammenhalt sind Wörter, die oft fallen. Sein Wahlergebnis von 92,1 Prozent signalisiert, dass nicht nur er die alten Gräben zuschütten will.

Als Zeichen für den Neustart hat Licht eine kleine Rotbuche am Marktplatz gepflanzt. Auch die ersten E-Ladesäulen stehen. Doch die Pandemie hat ihn in seinem Schaffensdrang gebremst. „Der eine wartet, dass die Zeit sich wandelt, der andere packt sie an und handelt!“ – dieses Zitat von Dante Alighieri stand im Wahlkampf auf seiner Homepage. Der Rathauschef aus deutsch-italienischem Elternhaus, aufgewachsen in Göppingen und Ludwigsburg, hätte es gerne schneller. Ein Machertyp also? „Ja, aber vor allem auch ein Teamplayer“, sagt er.

Das Team, das sind für ihn die 182 Mitarbeiter der Stadt – und die Vereine. Kommunikation sei elementar in der Krise: „Die Leute brauchen verlässliche Ansprechpartner. Sie müssen das Gefühl haben, dass sich da jemand kümmert.“ So nutzt Burladingen als Informationskanäle auch soziale Medien, Licht selbst ist auf Facebook und Instagram präsent. Zu den Themen Ehrenamt und Wirtschaft veranstaltete er Online-Foren, sportlich aktiven Bürgern verhilft die Stadt mit einer digitalen Ampel durch den Verordnungsdschungel. Und mit Hilfe von Vereinen kam der Lieferdienst „Burladingen bringt's“ zustande. „Die Pandemie hat vor Augen geführt, wie wichtig das Ehrenamt ist“, sagt Licht.

Es sind die kleinen Dinge, mit denen der 32-Jährige versucht, etwas Normalität in den Ausnahmezustand zu bringen. Das Große kam von oben. Geärgert hat es Licht, dass das Land die Kommunen allzu oft „kurz vor knapp“ mit neuen Corona-Bestimmungen konfrontierte. Wenn etwa eine neue Verordnung erst am Wochenende bekannt wird, aber schon am Montagmorgen in Schulen und Kitas umgesetzt sein soll. „Das löst Frust aus“, betont er. Auch die Verteilung von Tablets oder Computern für bedürftige Schulkinder sei problematisch verlaufen. Er sei ja „ein Fan des Föderalismus“, sagt Licht. Aber es wäre schneller und wirtschaftlicher gewesen, wenn der Bund die Beschaffung ohne die Länder geregelt hätte.

Insgesamt durchlebte Licht in seinen ersten acht Monaten „spannende Zeiten“. „Krisen haben auch etwas Gutes“, sagt er, „ich wurde dahingehend erzogen, immer auch das Positive zu sehen.“ Die Pandemie habe die Potenziale der Digitalisierung aufgezeigt und hier „Berührungsängste abgebaut“. Und sie habe riesige Innovationskräfte an den Tag gelegt. „Vieles, was früher völlig undenkbar war, ist plötzlich möglich.“

Burladingen gehörte bisher nicht zu den Corona-Hotspots im Südwesten. Rund 9350 Infizierte und 154 Todesfälle wurden seit Beginn der Pandemie im Zollernalbkreis gezählt, in Burladingen sind es laut Landratsamt 616 Infektionen und 10 Todesfälle. Aktuell liegt die Fallzahl bei Null.

Davide Licht brennt darauf, richtig loszulegen. Ein neues Stadtleitbild soll her, die Ortschaften will er stärken, die Dorfkerne verschönern, den Marktplatz wiederbeleben, den Glasfaserausbau vorantreiben und den sanften Tourismus fördern („Die Landschaft dafür haben wir!“). Auch eine Bürger-App ist in Planung. Es gibt alle Hände voll zu tun in Burladingen.

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Erstellt:
14.08.2021, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 26sec
zuletzt aktualisiert: 14.08.2021, 06:00 Uhr

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