Tübingen

Kolumne: Nicht alles lässt sich psychologisch erklären

Lisa Maria Sporrer denkt Weihnachten an Sankt Martin.

30.12.2022

Von Lisa Maria Sporrer

Es war immer die Attraktion für uns Kinder, nicht die Laternen, auch nicht das wirklich große Martinsfeuer, sondern vielmehr der Mann auf dem Pferd. Mir war schon klar, dass das ein Schauspieler sein musste, ich glaubte ja auch nie an Osterhase und Weihnachtsmann. Dennoch war es jedes Jahr wieder beeindruckend, auf der großen Wiese zu stehen in dem kleinen Dorf, in dem ich aufgewachsen bin, und im Flackern des großen Feuers zu beobachten, wie der Mann auf dem Pferd seinen Mantel zerschnitt, um einem Bettler einen Teil seiner Wärme abzugeben. Sie war beeindruckend, die Vorstellung, dass Helfen manchmal so einfach sein kann, so selbstlos, so hilfreich.

Eine Geschichte über den heiligen Sankt Martin eignet sich auf den ersten Blick vielleicht nicht sonderlich gut an Weihnachten. Aber daran muss ich jedes Jahr in der Weihnachtszeit denken. Wenn es ums Schenken geht. Wenn es um besinnliches Beisammensein geht. Wenn der Blick aus der Hektik des Alltags auch auf jene fällt, die am Rande der Gesellschaft stehen. Wenn es um Spenden an Weihnachten geht.

Die Weihnachtszeit ist für die meisten Hilfsaktionen die wichtigste Spendenzeit des Jahres. Und viele Menschen möchten gerade in der Weihnachtszeit jene unterstützen, denen es weniger gut geht. Es gibt wissenschaftliche Untersuchungen dazu, wieso Menschen spenden, es gibt eine regelrechte Psychologie des Spendens, deren Erklärungsmodelle darauf hinauslaufen, dass die Spendenbereitschaft dazu dient, das eigene Gewissen zu beruhigen und sich dadurch glücklicher zu fühlen.

Seit Kindertagen, seitdem ich mit meiner selbstgebastelten Laterne jedes Jahr wieder auf der großen Wiese in dem kleinen Dorf stand, beeindruckt mich diese Hilfsbereitschaft, und ich habe mich seitdem viel mit den Themen Güte, Anteilnahme und Barmherzigkeit beschäftigt. Und ich glaube nicht, dass Sankt Martin seinen Mantel geteilt hat, um sich besser zu fühlen. Ich glaube auch nicht, dass die Tugenden der Barmherzigkeit ausschließlich auf die christliche Tradition oder die monotheistischen Religionen zurückgeführt werden sollten, obwohl sie dort eine entscheidende Rolle spielen.

Ich habe im Laufe meines Lebens so viele Menschen erlebt, die im Großen, aber auch im Kleinen so viel Gutes getan haben. Mit Worten. In Taten. Kleine Aufmerksamkeiten. Aufopferungsbereitschaft. Manchmal auch nur eine kleine Geste, die wirklich viel bewirkt hat. Jedes Jahr zur Weihnachtsspendenaktion des TAGBLATTs werde ich daran erinnert. Denn immer wieder berichten die Verantwortlichen der Projekte von beeindruckenden Erlebnissen, die ihnen widerfahren. Von Menschen, die selber kein Geld haben, aber mit dem Wenigen, das ihnen bleibt, trotzdem andere Menschen unterstützen wollen.

Für einen therapeutischen Garten und für Tima spendeten die TAGBLATT-Leserinnen und Leser im vergangenen Jahr 114 487 Euro. Diesmal, in Zeiten von Energiekrise und Inflation gingen bereits 171 171 Euro auf dem TAGBLATT-Konto ein, und die Aktion läuft ja noch bis Ende Januar. Aber schon jetzt sei den zahlreichen Spendern gedankt, denen, die einen Teil ihres Mantels hergeben, egal, wie groß dieses Stück auch ist.

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Erstellt:
30.12.2022, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 31sec
zuletzt aktualisiert: 30.12.2022, 01:00 Uhr

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