Gewerbestrategie · Brachflächen sind zu billig

Keine Erweiterungsflächen mehr in ,Siebenlinden‘, sagt die Stadt · Der Augenschein spricht dagegen

Hier eine eingezäunte Freifläche, zirka ein Hektar groß; da ein paar hundert Quadratmeter, auf denen Autos parken; ein ehemaliges Firmenareal, auf dem alte Shedhallen verfallen; eine Art Bauhof, auf dem Dutzende leerer Mulden lagern – kein Mensch in Sicht, kein Betrieb an einem normalen Arbeitstag. Wer mit offenen Augen durchs Rottenburger Areal „Siebenlinden“ geht, den beschleichen Zweifel, ob der Begriff „Gewerbegebiet“ dafür überall zutreffend ist.

05.05.2018

Von Ulrich Eisele

Die größte unbebaute Gewerbefläche in Siebenlinden, das Elsässer-Areal zwischen Graf-Bentzel- und Röntgenstraße, steht nicht zum Verkauf. Bild: Eisele

Die größte unbebaute Gewerbefläche in Siebenlinden, das Elsässer-Areal zwischen Graf-Bentzel- und Röntgenstraße, steht nicht zum Verkauf. Bild: Eisele

Doch es gibt einen Unterschied zwischen Augenschein und Grundbuchakten. Und der ist entscheidend dafür, ob eine vermeintliche Freifläche für zukünftige gewerbliche Nutzung zur Verfügung steht oder nicht. Nicht alles, was ungenutzt herumliegt, ist auch verfügbar. Finanzbürgermeister Hendrik Bednarz rechnet vor:

In SiebenlindenI gibt es 33,3 Hektar Gewerbefläche, in SiebenlindenII 27,8 Hektar (Trennlinie ist die Osttangente); das macht zusammen 61,1 Hektar. Davon sind 5,9 Hektar unbebaut, 4 in Siebenlinden I und 1,9 in SiebenlindenII. Die Verwaltung hat nach Auseinandersetzungen um Leerstände in der Innenstadt eine neue Mitarbeiterin angestellt, die dabei ist, alle leer stehenden Gewerbeflächen und unbebauten Grundstücke zu erfassen.

Diese prüfe auch, welche Grundstücke Vorratsflächen von Unternehmen seien und welche tatsächlich nicht genutzt würden, sagt Bednarz. Danach sieht die Rechnung wieder anders aus: 3,9 von den 5,9 Hektar seien Erweiterungsflächen für bestehende Firmen. Bleiben nur noch 1,9 Hektar freie Fläche. Verfügbar sei diese aber nicht, da die Eigentümer kein Interesse an einer Verpachtung oder einem Verkauf hätten.

Wiese, Wohnwagen, Parkplätze

Beim Rundgang durch die beiden Rottenburger Gewerbegebiete drängen sich dennoch Fragen auf: Da ist zum Beispiel das ehemalige Kopp-Gelände in der Pfeiferstraße, an das sich eine ungenutzte Wiese anschließt: Die eine Hälfte davon liegt brach, die andere Hälfte wird als Wohnwagenabstellplatz genutzt. Zusammen rund ein Hektar ungenutztes Land.

Oder das Lidl-Gelände zwischen Graf-Wolfegg-, Graf-Bentzel- und Sofienstraße: Dort will der Discounter die Shedhallen abreißen, um Verkaufs- und Parkflächen zu erweitern. Daran entzündete sich jüngst Kritik im Gemeinderat: Rund ein Hektar Fläche nur fürs Parken und für mehr Ladenfläche? Geht das nicht auch kompakter? Zum Beispiel zweistöckig? Doch mehrstöckige Bauweise kostet mehr und ist im Bebauungsplan nicht vorgeschrieben. Die Stadt kann höchstens ans soziale Gewissen des Bauherrn appellieren.

Rund vier Hektar Land umfasst das ehemalige Elsässer-Areal zwischen Graf-Bentzel- und Röntgenstraße – die größte Freifläche im Gewerbegebiet Siebenlinden. Laut Finanzbürgermeister Hendrik Bednarz wären davon nur 1,3 Hektar bebaubar – wenn denn der Eigentümer diese Fläche frei geben würde. Die Stadt habe sich mehrfach darum bemüht, doch ein Kauf sei bisher stets gescheitert. Woran, könne er nicht sagen, sagt Bednarz, da Grundstücksangelegenheiten vertraulich zu behandeln seien.

Neben diesen großen Flächen gibt es aber noch viele kleinere Grundstücke, bei denen die Nutzung unklar ist – eine rund 32 Ar große Fläche zwischen Graf-Bentzel- und Maieräckerstraße zum Beispiel, die bislang als Baumwiese und Parkplatz genutzt wird. Zudem verkümmern viele bebauten Grundstücke als Lager- und Abstellflächen. Zweifellos für Betriebe wichtig – aber sind solche Nutzungen in einem Gewerbegebiet auch sinnvoll? Schließlich werden Gewerbegebiete mit der Begründung erschlossen, dass dort Arbeitsplätze entstehen sollen.

Hebel zur Veränderung

„Man muss auch Lagerflächen als gewerblich genutzt ansehen“, sagt Finanzbürgermeister Hendrik Bednarz, „so lange sie baurechtlich genehmigt sind. Auch wenn da nur Zeug rumsteht.“ Den Ansatz zur Veränderung sieht der SPD-Mann in der Einführung einer neuen Flächensteuer. Bei den augenblicklichen Zinsen sei es für Eigentümer lukrativer, Grundstücke ungenutzt herumliegen zu lassen, als zu verkaufen und den Erlös in Geldanlagen zu stecken – auch wenn sie Jahr für Jahr dafür Grundsteuer zahlen müssen. Der Wertzuwachs der Grundstücke sei allemal höher als die Höhe der Unterhaltskosten und entgangenen Zinsen.

Nun aber habe das Bundesverfassungsgericht mit seinem Urteil zur Reform der Grundsteuer einen Hebel geliefert, meint Bednarz, um daran etwas zu verändern. SPD und CDU hätten im Koalitionsvertrag vereinbart, eine Grundsteuer „C“ für unbebaute Grundstücke einzuführen – allerdings nur für Wohnbaugrundstücke. Wenn man diese Steuer auf Gewerbegrundstücke ausdehnen würde, wäre es für Besitzer unattraktiv, Freiflächen ungenutzt zu lassen.

Skeptisch ist Bednarz hingegen hinsichtlich eines städtischen Anreizprogramms für die Eigentümer von Gewerbegrundstücken: Dabei müsse man gut aufpassen, sagt er, dass „soziale Fehlgewichtungen“ vermieden werden. Von Anreizprogrammen für den Wohnbau würden wenigstens die Mieter profitieren, von Anreizen für Gewerbeflächen nur die Unternehmer. Das sei so etwas wie ein verkappter Zuschuss für Gewerbetreibende und führe unter Umständen zu Wettbewerbsverzerrungen. Es sei also auch juristisch angreifbar.

Grundsteuer C gab es schon einmal 1961 und 1962

Bisher gibt es die Grundsteuer in zwei Varianten. Für landwirtschaftliche Flächen gilt die Grundsteuer A, für alle restlichen bebauten oder bebaubare Grundstücke die Grundsteuer B. Mit der im Koalitionsvertrag vereinbarten „Grundsteuer C“ sollen auch Brachflächen höher besteuert werden können. Dies soll die Spekulationen eindämmen, indem die Kosten für unbebaute Grundstücke steigen. Die Grundsteuer C gab es schon einmal in den Jahren 1961 und 1962. Sie wurde jedoch wieder abgeschafft, da sich das Grundstücksangebot dadurch nicht erhöhte und viele Bürger die Steuer als ungerecht empfanden und klagten.

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Erstellt:
05.05.2018, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 21sec
zuletzt aktualisiert: 05.05.2018, 01:00 Uhr

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