Finanzen

Meldeportal für Steuersünder: Fortschritt oder Fehltritt?

Was Baden-Württembergs neues Steuerbetrüger-Meldeportal bezwecken soll, welche Rolle Brüssel spielt – und woran sich die Kritik entzündet.

02.09.2021

Von ROLAND MUSCHEL

Finanzminister Danyal Bayaz: „Steuerhinterziehung ist ein Schlag ins Gesicht für alle, die ehrlich ihre Steuern zahlen.“ Foto: Marijan Murat

Finanzminister Danyal Bayaz: „Steuerhinterziehung ist ein Schlag ins Gesicht für alle, die ehrlich ihre Steuern zahlen.“ Foto: Marijan Murat

Von 2002 bis 2011 hat Thomas Eigenthaler das Finanzamt Stuttgart III geleitet. „Wir haben jeden Tag drei bis fünf anonyme Anzeigen erhalten. Die meisten sind gleich im Papierkorb gelandet, weil sie keine Substanz hatten. Aber wenn eine Anzeige Substanz hatte, wenn Ross und Reiter genannt wurden, sind wir dem natürlich nachgegangen“, blickt Eigenthaler zurück.

Inzwischen ist der Steuerexperte Bundesvorsitzender der Deutschen Steuergewerkschaft mit Sitz in Berlin. Anonyme Anzeigen gehören weiterhin zum Tagesgeschäft der Finanzbehörden – neuerdings auch in einer neuen Spielart: Anfang der Woche hat Baden-Württembergs Finanzminister Danyal Bayaz (Grüne) verkündet, dass die Steuerverwaltung des Landes das bundesweit erste Portal für anonyme Hinweise auf Steuerbetrug eingerichtet habe. Bis dahin war das in Baden-Württemberg bereits – wie in anderen Bundesländern auch – telefonisch, schriftlich, persönlich oder per E-Mail möglich gewesen.

Häufig, klagte Bayaz, hätten wesentliche Informationen gefehlt, aufgrund der Anonymität seien jedoch keine Rückfragen möglich gewesen. Durch das neue Hinweisgebersystem könnten Bürger trotzdem anonym mit der Steuerverwaltung kommunizieren. „So können wir Steuerbetrug besser verfolgen und für mehr Steuergerechtigkeit sorgen.“ Außerdem treibe man so die Digitalisierung voran und vereinfache den Kommunikationsweg zwischen Steuerverwaltung und Bürgern, begründete Bayaz den Vorstoß.

Eigenthaler sieht es im Gespräch mit dieser Zeitung nüchterner, aber mit grundsätzlicher Sympathie: „Im Grunde ist es ein neues Medium, das möglicherweise Hürden für Hinweise abbaut. Aber am inhaltlichen Vorgehen der Finanzbehörden wird sich nichts ändern“, ist sich der Gewerkschaftschef sicher. „Sie werden weiter das Steuerrecht durchsetzen, ohne mit Kanonen auf Spatzen zu schießen.“

Das sehen Politiker von FDP, CDU, CSU und teils auch SPD anders. In ihrer Mittwochausgabe titelte die Bild-Zeitung: „Grünen-Minister führt Steuer-Stasi ein“, nun tobt die Debatte. „Steuerhinterziehung ist ein Schlag ins Gesicht für alle, die ehrlich ihre Steuern zahlen“, wies Bayaz die Kritik zurück, zugleich versuchte er, Bedenken zu zerstreuen: Niemand müssen befürchten, dass die Steuerfahndung anrücke, weil man vom Nachbarn angeschwärzt werde. Es gehe vielmehr um gut begründete Anzeigen.

Dagegen sprach Baden-Württembergs FDP-Landeschef Michael Theurer von „Blockwart-Mentalität“. CSU-Generalsekretär Markus Blume twitterte, Steuerhinterziehern müsse das Handwerk gelegt werden. Aber statt sich um die Großen zu kümmern, wollten die Grünen „Denunziantentum fördern und Misstrauen unter Nachbarn säen“. Unions-Bundestagsfraktionsvize Thorsten Frei aus dem Schwarzwald-Baar-Kreis warnte: „Da zeigt sich schon jetzt einmal, wo die Reise mit rot-grün-roter Regierungsverantwortung hingehen würde.“

Jesko Trahms, Compliance-Experte bei der Hamburger Wirtschaftsprüfungsgesellschaft BDO Legal, hält die Debatte für fehlgeleitet. „Da ist jetzt viel Wahlkampf dabei“, sagte er dieser Zeitung. „Nüchtern betrachtet muss man feststellen: Die Einrichtung von Whistleblower-Meldesystemen wird aufgrund einer EU-Richtlinie, die alle Mitgliedsstaaten bis zum 17. Dezember 2021 umsetzen müssen, bald nicht nur verpflichtender Standard für Bundes- und Landesbehörden sein. Das wird auch alle Kommunen ab 10 000 Einwohnern und alle Unternehmen ab 250 Mitarbeitern betreffen.“ Hintergrund des „Hinweisgeberschutzgesetzes“ sei, dass in der EU Hinweisgeber vor persönlichen Repressalien besser geschützt werden sollen.

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Erstellt:
02.09.2021, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 30sec
zuletzt aktualisiert: 02.09.2021, 06:00 Uhr

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