Interview

Lisa Federle: „Ich eigne mich für Krisen“

Was die Tübinger Ärztin Lisa Federle von der Corona-Strategie des Landes hält, warum sie für kontrollierte Lockdown-Lockerungen ist und wo sie Kraft für ihr Turbo-Engagement tankt.

11.02.2021

Von ALFRED WIEDEMANN

Lisa Federle: Die bald verfügbaren Tests für daheim sind nicht so sinnvoll. Foto: Tom Weller

Lisa Federle: Die bald verfügbaren Tests für daheim sind nicht so sinnvoll. Foto: Tom Weller

Tübingen/Ulm. Über Mittag schiebt sie den Termin schnell dazwischen fürs Interview per Telefon: Lisa Federle, Notärztin, DRK-Kreisvorsitzende und Initiatorin der Tübinger Corona-Testaktionen, die landauf, landab Schule machen. Die Zeit nehme sie sich gern, sagt Federle. Ihr sei wichtig, für mehr Schnelltests zu werben. Und dafür, dass auch die Landesregierung auf mehr Tests setze.

Testen, testen, testen: Im Kreis Tübingen passiert das in Heimen schon seit April, gratis für alle seit November. Das Land setzt dagegen vor allem auf Tests bei Verdacht. Warum ist das Aufspüren der symptomlos Infizierten so wichtig?

Lisa Federle: Weil die meisten ja symptomlos infiziert sind, und von denen geht die größte Gefahr aus. Wenn jemand Krankheitsanzeichen hat, hält er sich in der Regel schon von allein zurück. Werden Infizierte ohne Symptome entdeckt, lassen sich Infektionsketten unterbrechen. Deshalb ist es total wichtig, viel zu testen.

Das Virus lasse sich nicht wegtesten, sagt Gesundheitsminister Manne Lucha.

Das finde ich ziemlich unsinnig. Da kann ich auch sagen, ich brauche nicht zur Krebsvorsorge, weil dadurch der Krebs auch nicht verschwindet und auch mal was übersehen wird. Trotzdem ist beides sinnvoll: Krebsvorsoge und Corona-Schnelltests.

Er sagt auch, zum Schutz der Heime gebe das Land alles.

Das ist völlig unglaubwürdig. Schon im März 2020 habe ich systematische Tests in Heimen gefordert, im Oktober habe ich nochmals dazu aufgerufen. Es hat massiven Druck gebraucht, bis sich das Land langsam bewegt hat und die Heime endlich unterstützt hat.

Sie kritisieren den Grünen-Politiker immer wieder. Würde Sie nicht reizen, selbst Luchas Job zu machen? Sie sind ja bei der Polit-Konkurrenz, der CDU, aktiv?

Ich eigne mich für Krisen. Das war mit dem Arztmobil bei den Flüchtlingen 2015 so, das ist jetzt wieder so. Ich bin eine, die gern zupackt. Und ich liebe meinen Beruf als Ärztin und den Umgang mit meinen Patienten. Da kann ich ganz konkret helfen.

Für den Kreis Tübingen haben Sie mit viel Unterstützung einen eigenen Weg durchgesetzt. Kommunen können also selber auch machen. Warum machen es nicht mehr nach?

Es macht doch inzwischen Schule in vielen Landkreisen. Ich bekomme praktisch pausenlos Anfragen von Landräten und anderen Verantwortlichen, ich schaffe es nicht mehr, alle zu beantworten. Da wird nach dem Tübinger Konzept gefragt oder nach Bezugsquellen für Schnelltests. Gerade hat eine bayerische Landtagsabgeordnete angefragt, ob ich nicht in ihren Landkreis kommen und das Konzept erklären kann, sie wollen es sofort umsetzen. Vor lauter Anfragen komme ich kaum noch zu meiner Arbeit, ich bin ja Notärztin, habe eine Praxis.

Vielleicht ist auch nur in Tübingen denkbar, für 100.000 Euro Schnelltests zu bestellen, ohne zu wissen, wer's bezahlt. Die Unterstützung von Seiten der Politik, der örtlichen Zeitung „Schwäbisches Tagblatt“, von vielen Engagierten ist schon besonders.

Einfach so bestellt habe ich ja nicht, ich wusste von Anfang an, ich habe maximale Unterstützung von Landrat Joachim Walter. Ich wusste, der lässt mich nicht im Stich. Das Sozialministerium hat mich dagegen im Frühjahr, als unklar war, wer die Tests in Pflegeheimen bezahlt, abgespeist, die Kosten würden nicht übernommen, nur bei Bewohnern mit Symptomen. Als im Herbst die Schnelltests freigegeben wurden, habe ich noch in der Nacht bestellt. Innerhalb von fünf Stunden hatte ich die Zusagen der Bürgermeister und Oberbürgermeister im Kreis, auch von OB Palmer, dem der Schutz der Heime ebenfalls ein großes Anliegen ist. Beim Sozialministerium, das die Tests in größeren Mengen sicher billiger bekommen hätte, bin ich wieder abgeblitzt. Erst später hat das Ministerium wenigstens teilweise eingelenkt.

Wird es die kostenlosen Tests in Tübingen weiter geben?

Ja. Dass Tübingen Ende Januar der erste Landkreis im Südwesten war mit einer 7-Tage-Inzidenz unter 50, ist auch auf dieses Angebot zurückzuführen. 300 Menschen haben wir seit November herausgefischt, die sonst andere angesteckt hätten. Alles asymptomatisch, die mit Symptomen haben wir sofort in die Fieberambulanz geschickt.

Wie sinnvoll sind die bald verfügbaren Schnelltests für daheim?

Die finde ich momentan nicht so sinnvoll. Bei unserem Test-Angebot, das wir fünf- bis sechsmal in der Woche machen, sind manche positiv Getesteten total geschockt. Manche sind aber auch so lässig, dass fraglich ist, ob sie ihr Ergebnis dem Gesundheitsamt melden, wenn sie den Test daheim machen. Wir können aber Geschockten helfen, und wir melden jeden Positiven dem Gesundheitsamt und schicken ihn sofort zum PCR-Test.

Was halten Sie von der Befürchtung, dass eine schlimme dritte Welle droht wegen Mutationen und möglicher Lockerungen?

Ich bin nicht für unkontrollierte Lockerungen. Ich bin Ärztin, und ich bin überzeugt davon, dass wir die Menschen beschützen müssen. Es gibt inzwischen aber so viele Kollateralschäden, dass der Lockdown in absehbarer Zeit kontrolliert gelockert werden sollte – wenn es möglich ist, damit sich die psycho-sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Schäden nicht noch weiter vergrößern. Man darf nicht vergessen: Wir haben nicht nur Tote in Heimen, wir haben zunehmend auch Leute, die depressiv sind, die Angststörungen entwickeln. Ich bekomme auch Mails von Menschen, die wirklich Panik haben vor Corona. Auch an die Kinder muss man denken, an die familiären Auswirkungen, an Unternehmer, die bankrottgehen, das hat alles Riesenauswirkungen.

Alle sind geschlaucht im Corona-Tunnel. Wo holen Sie die Kraft für Ihr Turbo-Engagement her?

Ich bin jemand, der es gewohnt ist, schnell zuzupacken. Wenn ich als Notärztin einen schweren Einsatz nach dem anderen fahre, komme ich auch nicht zum Mittagessen. Die andere Seite ist: Ich habe eine supertolle Familie, ich wohne mit ältestem Sohn und Schwiegertochter im gleichen Haus, habe Enkelkinder, wir haben ein super Verhältnis, auch mit meinen anderen Kindern. Da hole ich mir sehr viel Kraft. Auch die Dankbarkeit der Menschen gibt mir enorm viel Kraft, die tausenden Zuschriften und Überraschungen wie die, dass mir ein bekannter Künstler anbietet, dass ich mir eines seiner Bilder aussuchen darf. Oder die ältere Frau aus dem Schwarzwald, die erzählt, dass ihr Mann die Gratulanten darum bat, für das Arztmobil zu spenden, statt ihm Geschenke zu machen. Das ist rührend. Tausende solcher Sachen könnte ich aufzählen. Da erlebt man viel Anerkennung, da?freue ich mich natürlich darüber.

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Erstellt:
11.02.2021, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 4min 09sec
zuletzt aktualisiert: 11.02.2021, 06:00 Uhr

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