Am Flughafen nachgefragt

„Die Quarantäne haben wir schon organisiert“

Geschäftsreisende, Touristen und Heimkehrende – es gibt verschiedene Gründe, auch in der Pandemie zu fliegen. Reisende erzählen von ihrer Motivation, ob sie Angst haben – und wie sie es mit der Quarantäne halten.

01.02.2021

Von DOROTHEE TOREBKO

Berlin. Ihre Zeit in Berlin hatte sich Simone Spechtenhauser ganz anders vorgestellt. Vor zwei Jahren war die Südtirolerin für ihren Job in der Aufnahmeleitung eines großen deutschen Fernsehsenders in die Hauptstadt gekommen. Dann kam Corona, und sie verlor ihren Broterwerb. Nun steht sie mit ihrem hüfthohen gelben Koffer am Flughafen BER im Südosten Berlins und wartet auf ihren Flug nach Innsbruck zu ihrer Familie. Das Ticket geht in eine Richtung, zurückkommen will sie erstmal nicht.

Wie der 21-Jährigen geht es vielen Reisenden hier: Viele wollen heim, einige sind auf Geschäftsreise, andere fliegen in den Urlaub. Täglich wickelt der Flughafen 7500 Passagiere ab. Das sind gerade einmal zehn Prozent des Vorjahresniveaus des Vorgängerflughafens Schönefeld. Für den BER, der erst vor wenigen Monaten eröffnete, ein wirtschaftlicher Totalausfall. Ähnlich desaströs sieht es auch bei anderen deutschen Airports aus. Laut dem Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft (BDL) ging mit 63 Millionen Passagieren die Nachfrage an deutschen Flughäfen gegenüber dem Vorjahr um 75 Prozent zurück.

Reisewarnungen und Quarantänepflicht schreckten viele ab. Aber nicht alle. Warum fliegen die Menschen und wohin? Ist das nicht kompliziert mit Tests und Quarantäne? Und: Lässt sich mit dem Wissen, dass daheim Corona wütet, der Urlaub genießen?

In der Wartehalle ist es gespenstisch still. Ab und an sagt eine Frauenstimme die Flüge auf Englisch durch, ansonsten hört man jedes Rollen der Koffer, jedes Klackern der Absätze, jedes Quietschen von Turnschuhen auf dem polierten Boden. In die Läden mit Zeitschriften und Büchern verirrt sich kaum ein Reisender, in den Auslagen der Cafés türmen sich Käsebrötchen, Muffins und Biskuitrollen. Hier hat schon lange keiner mehr etwas gekauft. Die meisten Fluggäste hocken auf den gepolsterten Stühlen oder stehen in der Schlange zur Kofferabgabe.

Eine der Wartenden ist Liudmila Fuchs. Dick eingepackt in Winterjacke, mit der hellblauen OP-Maske über Mund und Nase, sitzt sie auf einem der Stühle. In wenigen Stunden geht ihr Flieger in ihre zweite Heimat, Russland. „Ich fliege nach Moskau, um mich dort impfen zu lassen“, erzählt die Literaturwissenschaftlerin. „Dort ist das Impfen viel leichter. Hier in Deutschland ist es nicht gut organisiert“, erklärt die Neustrelitzerin. Von den Behörden in Deutschland ist sie genervt. In Russland hat sie bei einem ihrer letzten Flüge einen Corona-Test am Flughafen gemacht und hatte binnen zwei Stunden das Ergebnis, in Neustrelitz bekam sie erst sieben Tage nach ihrer Rückkehr nach Deutschland einen Anruf von der Gesundheitsbehörde, dass sie in Quarantäne muss. „Nach sieben Tagen – das ist doch absurd“, sagt die 64-Jährige.

Tests auch am Flughafen

Russland wird vom Robert-Koch-Institut als Risikogebiet eingestuft. Wer dort einreisen möchte, muss vorab keinen Test machen, kann das vor Ort tun. Ob er in Quarantäne muss, entscheidet das jeweilige Land. Wer hingegen in ein Hochrisikogebiet wie Mexiko oder ein sogenanntes Virusvarianten-Gebiet wie Großbritannien oder Brasilien fliegen will, muss maximal 48 Stunden vor der Einreise einen Test vorweisen können.

Wer es nicht geschafft hat, einen Test in Deutschland zu machen, kann das auch am Flughafen erledigen. Direkt am Eingang des Airports hat das Unternehmen Centogene, das auch an anderen deutschen Flughäfen testet, ein Zentrum aufgebaut. Bis zu 78 Euro kostet der Test. Man kann vor Ort in bar oder schon vorab per Mausklick bezahlen.

Heute ist nicht viel los, sagt ein Mitarbeiter, als eine Frau mit schwarz-glänzender Daunenjacke an ihm vorbeirauscht. „Drinnen können Sie ihren QR-Code einscannen“, ruft er ihr hinterher, doch da ist sie schon in den Test-Kabinen verschwunden. Wenige Minuten später kommt sie heraus. Draußen warten schon ihr Partner und die Tochter. Sie wollen nach Mallorca in den Urlaub, schließlich sind jetzt Winterferien in Berlin, erzählt der Mann. Ihre Namen wollen die Familienmitglieder nicht verraten. „Wir haben uns den Urlaub verdient. 21 Grad und Jet-Ski fahren – das machen wir jetzt eine Woche lang“, sagt der Mann. Ob sie ein schlechtes Gewissen haben? „Nein. Es steht ja jedem frei zu fliegen“, sagt die Frau. Und was ist mit der Quarantäne, wenn sie wiederkommen? „Das haben wir schon organisiert und Getränke und Lebensmittel gekauft“, erläutert der Mann, während seine Frau sich schon auf den Weg zur Kofferkontrolle macht.

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Erstellt:
01.02.2021, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 11sec
zuletzt aktualisiert: 01.02.2021, 06:00 Uhr

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