Sommerinterview

SPD-Landeschef Stoch: „Die Öffentlichkeit veralbert“

Wie SPD-Fraktions- und Landeschef Andreas Stoch mit seinem schlechten Abschneiden bei der Landtagswahl umgeht und warum er für die SPD bei der Bundestagswahl gute Chancen sieht.

09.08.2021

Von Jens Schmitz

Andreas Stoch (SPD) geht mit der CDU hart ins Gericht. Foto: MATTHIAS KESSLER

Andreas Stoch (SPD) geht mit der CDU hart ins Gericht. Foto: MATTHIAS KESSLER

Stuttgart. Dass Baden-Württembergs Grüne sich nach der Landtagswahl gegen eine Ampelkoalition entschieden haben, nagt noch an Andreas Stoch. Daraus macht er kein Hehl. Der Sozialdemokrat erklärt, wie er das in positive Energie umsetzen möchte. Und er wirbt für die Ampel im Bund.

Herr Stoch, Sie sind gerade von einer mehrtätigen Bergtour nach Vorarlberg zurückgekehrt. Schon ein bisschen erholt?

Andreas Stoch: Ich versuche immer, Anfang der Sommerferien drei oder vier Tage in die Berge zu fahren. Die körperliche Anstrengung tut mir gut, und man kriegt den Kopf frei. Jeden Tag so, dass man am Abend weiß, man hat was getan (lacht).

Im Land stehen Sie seit 2018 an der Spitze der SPD. Ihre Partei dagegen hat bei der jüngsten Landtagswahl mit elf Prozent ihre historische Talfahrt fortgesetzt. Sie haben eine Fehleranalyse in Auftrag gegeben. Gibt es schon Ergebnisse?

Wir haben die bewusst für nach der Bundestagswahl angekündigt. Auch die Landtagswahl ist natürlich eingebettet in eine bundespolitische Stimmung. Die war in den letzten Jahren für die SPD nicht sonderlich rosig, da hat sie ihren Teil dazu beigetragen. Zudem sind wir 2016 mit 12,7 Prozent aus der Regierung gefallen und mussten gegen einen sehr populären Ministerpräsidenten in die Opposition. Dann kam Corona; in Krisen steht die Regierung handelnd im Mittelpunkt. Auch der Wahlkampf war da nicht einfach. Aber ich glaube nicht, dass wir alles falsch gemacht haben.

Was steht auf der Habenseite?

Wir haben wichtige Themen wie Bildung für uns besetzt. Vor der Landtagswahl war der Oppositionspolitiker Andreas Stoch nach Ministerpräsident Kretschmann der Zweitbeliebteste. Ich glaube schon, dass die Menschen anerkennen, dass ich sehr viel Arbeit investiere, die Partei wieder zusammenzuführen. Wir haben sowohl im Land als auch im Bund aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt. Wenn unser Kanzlerkandidat, Vizekanzler und Finanzminister Olaf Scholz, für eine zerstrittene SPD stünde, läge er nicht bei der Frage, wem die Menschen das Kanzleramt zutrauen, mit deutlichem Abstand vorne.

Kanzler werden in Deutschland nicht direkt gewählt. Als Partei liegt die SPD im Bund in Umfragen aktuell knapp hinter den Grünen und deutlich hinter der CDU.

Bei dieser Bundestagswahl wird die Frage der Personen eine wichtige Rolle spielen. Für die SPD gibt es noch deutliches Potenzial nach oben, weil wir mit Olaf Scholz jemanden haben, bei dem jeder sieht: Der kann das. Der kann Führung, der hat das als Vizekanzler in so schwierigen Zeiten wie der Corona-Krise bewiesen. Olaf Scholz hat für mich da den Idealtypus des sozialdemokratischen Politikers verkörpert: Der Staat schaut nicht zu, sondern der Staat handelt. Viele Menschen sind noch unentschieden. Es ist die erste Bundestagswahl, bei der die amtierende Kanzlerin oder der amtierende Kanzler nicht mehr antritt. Armin Laschet (CDU) und Annalena Baerbock (Grüne) haben sich in den letzten Monaten nicht gerade mit Ruhm bekleckert. Wer möchte, dass Olaf Scholz Kanzler wird, der muss SPD wählen.

Sie haben als Ziel die Führung einer Koalition ohne die Unionsparteien ausgegeben, gleichzeitig aber festgestellt, dass die SPD mit einer FDP unter Christian Lindner kaum Politik machen könnte. Welche Konstellation bleibt da übrig?

Auf die Blockadehaltung der CDU hat in der SPD niemand mehr Lust. Ich hoffe, dass die SPD zweitstärkste Partei wird. Das wird nicht ganz reichen, um eine eigene rot-grüne Regierung zu stellen. Ich sehe durchaus einige Personen in der Bundespolitik der FDP, die in der Lage wären, eine Ampelregierung zu bilden. Die Ampel in Baden-Württemberg ist ja nicht daran gescheitert, dass die FDP nicht wollte.

Der neue Koalitionsvertrag zwischen Grünen und CDU in Baden-Württemberg trägt klar die Handschrift der Grünen. Warum hätte Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) die Risiken eines Dreierbündnisses eingehen sollen?

Die Frage ist ja: Welchen Anspruch habe ich an eine Regierung? Die letzten fünf Jahre sind ein Beweis dafür, dass Grüne und CDU sich bei vielen grundsätzlichen Themen gegenseitig blockieren. Man kann am Anfang immer einen schönen Vertrag schließen. Die CDU hat durch ihre Ministerien enormes Blockadepotenzial.

Nehmen Sie denn der CDU ihren umweltpolitischen Sinneswandel nicht ab?

Ich glaube der CDU da kein Wort. Konkret heißt Klimaschutz, dass man sich dort hinstellt, wo zum Beispiel ein Windrad entstehen soll, und den Bürgerbewegungen sagt, dass das notwendig ist, damit die Energiewende stattfinden kann. Dass ich klarmache, wir brauchen zusätzliche Flächen für Freiflächen-Photovoltaik, auch wenn ich mit dem Landwirt streite. Das sehe ich in keinem kommunalen Gremium, wenn ich CDU-Vertreter reden höre. Für Kretschmann ist die CDU im Moment sicher der bequemere Partner, weil sie sich ja vor ihm in den Dreck geworfen hat. Die SPD und auch die FDP wären anstrengender gewesen. Aber ich sage anstrengender im positiven Sinne, weil wir den Anspruch gehabt hätten, dieses Land in die Zukunft zu führen und nicht bloß zu warten, was so passiert.

Sie haben die Regierung für den Nachtragshaushalt kritisiert, in dem nochmal eine Kreditermächtigung über 1,2 Milliarden Euro steht. Gleichzeitig haben Sie die Niederlande dafür gelobt, dass dort wegen Corona acht Milliarden Euro mehr an die Schulen fließen. Wie passt das zusammen?

Wir kritisieren die Landesregierung nicht dafür, dass sie Corona-Politik macht, die Geld kostet. Wir sagen, es ist zu wenig. Aber für die Finanzierung dessen, was sie jetzt gemacht haben, hätten sie keine neuen Schulden gebraucht. Die Regierung hat in ihren Sparstrümpfen richtig viel Geld. Das letzte Jahr hat trotz Corona einen Haushalts-Überschuss von 2,6 Milliarden Euro erbracht. Allein das reicht schon, um diesen Nachtragshaushalt verfassungswidrig zu machen, das sagt ja auch der Rechnungshof. Es sind aber noch mehr Milliarden da. Da wird die Öffentlichkeit veralbert.

Apropos Corona – Sie haben erklärt, dass der Löwenanteil derjenigen, die sich noch nicht haben impfen lassen, Impfungen gar nicht ablehne, der Staat womöglich aber an ihnen vorbei agiere. Was schlagen Sie vor?

Der Mannheimer Oberbürgermeister Peter Kurz (SPD) hat mobile Teams in Stadtviertel mit hohen Inzidenzen geschickt, hat an den Türen klingeln lassen, und dort, wo Menschen leben, die nicht Deutsch als Muttersprache haben, waren Vertreterinnen und Vertreter aus der Community dabei. Das sind keine Menschen, die die Regionalzeitung lesen oder abends im SWR vom Sozialminister hören, dass sie sich bitte schnell impfen lassen sollen. Wir müssen im Sinne einer aufsuchende Sozialarbeit dahin gehen, wo Menschen sind. Sobald es medizinisch von der Stiko empfohlen wird, sollten wir auch eine Impfung zumindest von 12- bis 17-Jährigen dort anbieten, wo alle Kinder sind. Das ist im Zweifel die Schule. Ich möchte es nicht noch mal erleben, dass wir Schulen schließen müssen. Bisher tut die Landesregierung nichts dafür, dass wir diesen Zustand verhindern.

Sie waren schon einmal Minister, hätten es jetzt wieder werden können. Wie frustriert sind Sie persönlich?

Die Entscheidung, die Herr Kretschmann in seinem Elfenbeinturm getroffen hat, ist schlecht fürs Land. Er hat seinem politischen Willen gemäß entschieden, nämlich sich möglichst wenig anstrengen zu müssen. Das nagt an mir, das gebe ich ganz offen zu. Aber ich setze das jetzt in positive Energie um und versuche, auf diese Regierung Druck auszuüben mit meiner Fraktion. Bei Themen wie Wohnungsbau, sicheren Arbeitsplätzen oder Bildungsgerechtigkeit zum Beispiel. Es ist mein Ziel, dass wir als SPD von den Menschen in den nächsten fünf Jahren als bessere Alternative wahrgenommen werden. Dann haben wir auch wieder ein besseres Wahlergebnis.

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Erstellt:
09.08.2021, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 4min 49sec
zuletzt aktualisiert: 09.08.2021, 06:00 Uhr

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