Oberstufe Gemeinschaftsschulen: Die Kuh hat bereits Flügel

Die Oberstufe der drei Tübinger Gemeinschaftsschulen kommt · Ein Gespräch über die Planungen

Die junge Oberstufe – in drei Jahren zum allgemeinbildenden Abitur.“ Das steht handschriftlich auf der orange-blauen Broschüre. Klappt man sie auf, wird klar, was den vier Projektgruppen für die Oberstufe der Tübinger Gemeinschaftsschulen (GMS) noch bevorsteht: das Feintuning.

11.01.2018

Von Lorenzo Zimmer

Symbolbild: ©Thomas Reimer - stock.adobe.com

Symbolbild: ©Thomas Reimer - stock.adobe.com

Hier und da fehlt ein Komma, einzelne Begriffe sind durchgestrichen, andere handschriftlich notiert. Neben manchen Zeilen steht „Ausführlicher?“, bei anderen einfach nur ein großes Fragezeichen. Die Oberstufe und vor allem wie sie sich präsentiert, ist noch in der Entstehungsphase.

Zum Schuljahr 2018/19 soll sie mit drei 11. Klassen am Standort der Gemeinschaftsschule West anlaufen. „Bei den Planungen geht es zunächst um Klasse 11. 12 und 13 kommen dann später“, sagt Tübingens Erste Bürgermeisterin Christine Arbogast. Die Stadtverwaltung arbeite eng mit den zuständigen Schulleitern der Gemeinschaftsschulen (Angela Keppel-Allgaier der Gemeinschaftsschule West, Christoph Schnittert der Gemeinschaftsschule an der Geschwister-Scholl-Schule und Ralf Weber an der Französischen Schule) und dem Staatlichen Schulamt zusammen. Auch Manfred Niewöhner, Fachbereichsleiter der Stadt für Soziales und Sport, sitzt im Boot. „Wir können, was die Oberstufe angeht, nichts aus der Konservendose ziehen, sondern wir entwickeln das aufsteigend“, so Arbogast.

Keppel-Allgaier betont: „Ich würde sagen, dass wir konzeptionell schon relativ weit sind – so weit es sich aus heutiger Sicht vorplanen lässt.“ Inhaltliche Unklarheiten liegen vor allem im Spielfeld der Landespolitik: „Es gibt zum nächsten Schuljahr eine Reform der Oberstufenreform“, so Keppel-Allgaier. „Es liegt noch keine hundertprozentige Ausarbeitung der Bildungspläne vor und auch organisatorisch ist noch nicht alles geklärt.“ Derzeit arbeiten sie und die anderen Schulleiter mit einer vorläufigen Stundentafel: „Das geht aber den allgemeinbildenden Gymnasien ganz genauso“, sagt Keppel-Allgaier. Ob Mathe fünf- oder sechsstündig unterrichtet werde, sei noch nicht klar, so Roland Hocker, Schulamtsdirektor im Staatlichen Schulamt. „Auch bei den zwei- oder dreistündigen Fächern gibt es Fragezeichen.“

Grundsätzlich sollen alle wählbaren Fächer auch in der GMS-Oberstufe angeboten werden können: „Wir müssen sehen, wie viele Schüler wir haben. Die müssen dann eine Vorwahl ihrer Kurse machen“, so Keppel-Allgaier. Sieben vorläufige Anmeldungen gibt es bisher. Vorläufig, weil die definitive Zusage erst erteilt wird, wenn das Versetzungszeugnis aus Klasse 10 oder das Realschulzeugnis mit dem entsprechenden Notendurchschnitt vorliegt. Schüler, die vom gymnasialen E-Niveau (erweitertes Niveau) der Gemeinschaftsschule kommen, brauchen nur eine Versetzung; Schüler, die auf M-Niveau (Mittleres Niveau) der GMS den Realschulabschluss gemacht haben, brauchen in Deutsch, Mathe und Englisch zwei Zweien und eine Drei – sowie einen Durchschnitt nicht schlechter als Vier.

Interessenten für die Anmeldung gebe es sehr zahlreich, verrät Schnittert: „Wir fragen bei Schülern mit entsprechenden Leistungen eine Tendenz ab und es wird recht deutlich, dass es ausreichende Anmeldungen für die Dreizügigkeit geben wird.“

Auch mit ihren Planungen für die Personalausstattung zeigen sich die Verantwortlichen schon jetzt sehr zufrieden: „Die meisten Lehrer kommen mit einer Teilabordnung aus den drei bestehenden Gemeinschaftsschulen“, so Schulamts-Chef Hocker. Zwingen müsse man dazu niemanden: „Es gibt Lehrkräfte aus dem ganzen Bundesgebiet, die von der Oberstufe erfahren haben.“ Für einige von ihnen sei sie eine neue Herausforderung: „Sie wünschen sich von selbst, bei diesem spannenden Vorreiter-Projekt mitwirken zu können“, bestätigt Schnittert.

Weg zum Abitur war vorgesehen

Hocker: „Es hat schon eine andere Qualität, wenn ein Lehrer nicht unterrichten muss, sondern fragt, ob er darf.“ Dies werde auch dem Unterricht anzumerken sein. Stellen, die nicht aus den bestehenden Gemeinschaftsschulen besetzt werden können, werden über das Schulamt ausgeschrieben. „An den Gymnasien ist der Lehrermangel nicht prekär – wir werden Lehrkräfte finden“, gibt sich Keppel-Allgaier zuversichtlich.

Was die Anmeldungen angeht, erhoffen sich alle Beteiligten eine höhere Akzeptanz der Schulform bei der Tübinger Bevölkerung. „Es war bei der Gemeinschaftsschule von vornherein vorgesehen, auch einen direkten Weg zum Abitur anzubieten“, betont Arbogast. Weber fügt hinzu: „Es war für mich der ganz entscheidende Gedanke der Gemeinschaftsschule, dass konsequent darauf geachtet wird, dass die Schüler das aus sich herausholen, was in ihnen steckt.“

So sei das Anreizsystem aus seiner Sicht – „wenn die Mischung stimmt, und das tut sie“ – viel besser als im alten Schulsystem. Demnach sei es doch gesellschaftspolitisch wünschenswert, dass auch solchen Schülern, die bisher nicht ans Abitur gedacht hätten, ein Weg dorthin freigemacht wird: „Wenn sie mit ihren Aufgaben wachsen und Potenziale entwickeln, können sie es zum Abitur schaffen“, so Weber. Dies sei aus dem Blickwinkel der Gerechtigkeit „ganz entscheidend“. Hocker fügt hinzu: „Und es ist eben das Abitur nach 13 Schuljahren – auch das kann für den ein oder anderen eine sehr reizvolle Alternative zum G8-Modell sein.“

Die Kuh in den Wind schubsen

Und die GMS-Oberstufe lockt nicht nur mit einem verlängerten Zeitraum bis zur Reifeprüfung. So können Schüler, die in ihrer bisherigen Schullaufbahn nur eine Fremdsprache (Englisch) gelernt haben, dennoch den Weg zum Abitur antreten. „Man kann mit Beginn der elften Klasse eine zweite Fremdsprache neu lernen“, bestätigt Keppel-Allgaier. Dies könne auch für wechselwillige Gymnasiasten reizvoll sein, die auf ihrer alten Schule „in Sachen Fremdsprache falsch abgebogen sind“, so die Schulleiterin. Etwa nach Frankreich oder ins alte Rom. „Sie können mit Spanisch neu anfangen.“

„Sie merken es“, betont Arbogast zum Ende des Gesprächs mit dem TAGBLATT hin. „Wir sind wild entschlossen, diese Kuh zum Fliegen zu bringen.“ Niewöhner: „Flügel hat sie schon – jetzt müssen wir sie nur noch ein bisschen anschubsen, damit sie auch in den Wind kommt.“ Bild: Fotolia/Thomas Reiner

Symbolbild: ©Thomas Reimer - stock.adobe.com

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Das Zukunftsproblem mit den Räumen

Neben den Unklarheiten des Bildungsplans ist die größte Baustelle bei der GMS-Oberstufe weiterhin die Raumfrage. Eine Baustelle könnte sie an der GMS-West auch im wörtlichen Sinne werden. Klar ist: Die Klassen 11, 12 und 13 der GMS werden vollständig am Standort der Gemeinschaftsschule West untergebracht. Bisher war dafür der Langbau der Schule in der Westbahnhofstraße vorgesehen. „In der Zwischenzeit haben wir auch viele andere Modelle erwogen, es kann auch anders kommen“, so GMS-West-Schulleiterin Keppel-Allgaier. „Vielleicht lagern wir auch die Klassenstufen 5 bis 7 in den Langbau aus und haben dann die Klassen 8 bis 11 im kommenden Schuljahr zusammen im Hauptgebäude.“ Im Schuljahr 2018/19 kommt dann die zwölfte Klasse hinzu – dafür wird der Platz noch ausreichen. Eng wird es, wenn neben Elft- und Zwölftklässlern auch die Jahrgangsstufe 13 jeden Tag auf der Matte steht. Deshalb arbeite die Stadtverwaltung „mit Hochdruck an einer baulichen Lösung“, bestätigt der städtische Fachbereichsleiter Niewöhner: In den nächsten Jahren wird es irgendwie gehen müssen, aber in drei Jahren werden wir hoffentlich schon am Bauen sein.“ Bis dahin müsse man „schauen, dass man die vorhandenen Räume so herrichtet, dass sie für die Oberstufe tauglich sind“, so Niewöhner weiter. Die Klassenstufen 8 bis 10 sind an der GMS-West im Moment noch vierzügig – inzwischen ist die Schule auf drei Züge gedeckelt. Sind alle Klassen nur noch dreizügig, so Keppel-Allgaier, werde das etwas Platz schaffen: „Aber Fakt ist: Es wird eng und keine Dauerlösung sein.“ Wie ein An- oder Neubau der GMS-West konkret aussehen kann, ist noch nicht entschieden. Arbogast: „Es ist ja nicht so, als würden da zwei, drei Personen gemeinsam an einem Tisch sitzen und irgendwas Schönes beschließen und fertig ist die Laube.“

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Erstellt:
11.01.2018, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 4min 36sec
zuletzt aktualisiert: 11.01.2018, 01:00 Uhr

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