Stuttgart

Ampel-Sondierung: Knackpunkte für Grün-Rot-Gelb

Die Grünen verhandeln getrennt mit FDP und SPD über eine mögliche Koalition. Welche Schnittmengen finden sich in den Programmen? Wo liegt man über Kreuz?

24.03.2021

Von A. HABERMEHL, J. SCHMITZ

Finden sie in einem Ampel-Bündnis zusammen? SPD-Spitzenkandidat Andreas Stoch, FDP-Spitzenkandidat Hans-Ulrich Rülke und Ministerpräsident Winfried Kretschmann (von links nach rechts) am Wahlabend im Landtag.  Foto: Marijan Murat/dpa

Finden sie in einem Ampel-Bündnis zusammen? SPD-Spitzenkandidat Andreas Stoch, FDP-Spitzenkandidat Hans-Ulrich Rülke und Ministerpräsident Winfried Kretschmann (von links nach rechts) am Wahlabend im Landtag. Foto: Marijan Murat/dpa

Stuttgart. Die Sondierungen zur Bildung einer neuen Landesregierung unter Führung der Grünen starten in die zweite Runde. Nach dem Auftakt der Verhandlungen, die ausloten sollen, ob die Öko-Partei ihr Bündnis mit der CDU fortsetzt oder aber eine „Ampel-Koalition“ mit SPD und FDP eingeht, gehen die Gespräche weiter. Noch sei alles offen, versichert der umworbene Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) am Dienstag. Eine Vorentscheidung gebe es nicht. Doch wie sieht es inhaltlich aus? Was haben die drei „Ampel“-Parteien ihren Wählern vor der Wahl versprochen? Was verbindet und was trennt sie?

Ordnungspolitik Kein Einzelthema trennt Liberale und Sozialdemokraten so sehr wie das unterschiedliche Verständnis von der Rolle des Staates. Die SPD sieht in der Corona-Pandemie einen neuerlichen Beweis, dass ein starker, handlungsfähiger Staat unabdingbar ist. Die Grünen haben ein ähnliches Verständnis, vor allem in Bezug auf die Klima-Politik. Die FDP dagegen bekräftigt in ihrem Wahlprogramm, ihr Leitbild sei „ein schlanker Staat“.

Daraus ergeben sich ideologische Konflikte, aber auch finanzielles Streitpotenzial. Der Riss zieht sich durch fast alle Themen: Die SPD will den Wandel der Arbeitswelt „aktiv gestalten“, die FDP sieht allenfalls „behutsame staatliche Maßnahmen“ vor. Die SPD will das Bildungszeitgesetz des Landes behalten, die FDP es abschaffen – und das Tariftreue- und Mindestlohngesetz gleich mit. „Der Markt allein ist nicht in der Lage, bezahlbaren Wohnraum für alle Menschen zu schaffen“, heißt es im SPD-Programm, das unter anderem eine Landeswohnraumgesellschaft vorsieht und Kommunen Baulandkäufe erleichtern will. „Land und Kommunen sind nicht in der Lage, dieses Defizit zu beseitigen“, stellt dagegen die FDP fest. Vielmehr müssten die Voraussetzungen für private Investoren verbessert werden. Eingriffe wie die Mietpreisbremse, die Grüne und SPD befürworten, lehnt die FDP ab.

Umwelt Der staatsphilosophische Unterschied zwischen Liberalen einerseits sowie SPD und Grünen andererseits wird auch in der Klimapolitik deutlich. Zwar bekennen sich alle drei Parteien zu den Zielen des Pariser Klimaschutzabkommens. „Den Weg dorthin soll aber nicht der Staat, sondern die Bürgerinnen und Bürger sowie Unternehmen bestimmen“, heißt es im Wahlprogramm der FDP. Sie will den internationalen Emissionshandel deckeln und ein CO2-Limit festlegen; den Rest sollen Innovationsanreize und der Markt regeln. Der SPD ist das nicht genug. Sie will ein eigenes CO2-Budget für Baden-Württemberg, den Ausbau von Windkraftanlagen und ein wirksames Klimaschutzgesetz, in dem auch die verpflichtende Installation von Solaranlagen auf allen Neubauten festgeschrieben wird. Die Grünen wollten dies schon in der Koalition mit der CDU durchsetzen, scheiterten für Wohngebäude aber an der Union. Auch die FDP lehnt den Plan ab. Sie will zudem bei Windkraftanlagen den Abstand zu Wohnbauten auf 1500 Meter erhöhen. Die Liberalen sind auch gegen die Forderungen des Volksantrags „Rettet die Bienen“ und eine von ihnen festgestellte „Bevorzugung des Ökolandbaus“ in Förderprogrammen des Landes. Die SPD will umweltschonendes Wirtschaften fördern und Öko-Landbau bis 2030 auf mindestens 40 Prozent ausbauen.

Mobilität Die Liberalen bekennen sich zur Zukunft des Verbrennungsmotors, das war eine zentrale Aussage im Wahlkampf. SPD und Grüne wollen den Ausstieg organisieren. Alle drei Parteien erwähnen nichtfossile Kraftstoffe als Zukunftshoffnung, so dass hier eine Schnittmenge möglich scheint. In der Hauptsache setzt die SPD auf Elektro- und Wasserstoffmobilität, die Grünen fordern „eine schnelle Elektrifizierung aller Kraftfahrzeuge“. Für die FDP ist die „einseitige Fokussierung auf die Elektromobilität“ ein Irrweg. Sie hat eine Wasserstoffstrategie zur einzig harten Bedingung einer Koalition erhoben. Was das bedeutet, dürfte zu einer Kernfrage der Sondierungen werden. Das Land hat nämlich bereits eine „Wasserstoff-Roadmap“; neben der SPD halten auch die Grünen Wasserstoff für einen wichtigen Energieträger. Sollte es den Liberalen lediglich darum gehen, dafür etwas mehr Geld auszugeben, dürfte das kein Problem sein. Wollen sie aber im Gegenzug der E-Mobilität Steine in den Weg legen, etwa beim Ausbau von Ladestationen, so führt dieser Weg wohl in die Opposition.

Bildung Große Unterschiede gibt es in der Bildungspolitik. Bei den Kleinsten hat die SPD die Forderung nach gebührenfreien Kitas zum Markenzeichen erhoben, die FDP hält das für unnötig, die Grünen aktuell für zu teuer. Angesichts der Finanzlage ließe sich die Diskussion wohl vertagen. Grundsätzlicher wird es beim Ringen um Grundschulempfehlung und Gemeinschaftsschulen. Die FDP will die Empfehlung für die weiterführende Schule wieder verbindlich machen, dürfte damit aber neben der SPD auch bei den Grünen auf Granit stoßen. „Eine verbindliche Grundschulempfehlung lehnen wir ab“, heißt es im Grünen-Programm.

Zur Gemeinschaftsschule, die Grüne und SPD ausbauen wollen, schreiben die Liberalen in ihrem Wahlprogramm, man wolle sie „nicht abschaffen, aber ihre Privilegierung gegenüber anderen weiterführenden Schulen beenden“. Zudem dürften keine neuen Oberstufen an der Schulart mehr zugelassen werden. Stattdessen sollen Haupt- und Werkrealschulen gestärkt werden – ein Gegensatz zu den Sozialdemokraten, die ein System aus Gymnasien und integrierten Schulen anstreben. Eine mögliche Schnittmenge ist die von den Liberalen gewünschte Stärkung der beruflichen Bildung.

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Erstellt:
24.03.2021, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 31sec
zuletzt aktualisiert: 24.03.2021, 06:00 Uhr

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