Landwirtschaft

Zwischen Boom und Pleite

Die Schweinepreise sind im Keller, viele Bauern im Südwesten in ihrer Existenz gefährdet. Auswege bieten Verbünde wie die Erzeugergemeinschaft Schwäbisch Hall.

06.02.2021

Von CAROLINE STRANG

Bilddfdfdzeile Foto: © Roman Melnyk/shutterstock.com

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Stuttgart. Vergangene Woche zogen wieder Traktoren mitten durch Berlin bis vor das Landwirtschaftsministerium. Tagelang haben Landwirte dort protestiert – gegen Auflagen und niedrige Preise für das, was bei ihnen im Stall oder auf den Feldern steht. Auch Bauern aus Baden-Württemberg sind frustriert, vor allem konventionelle Schweinehalter haben schwer zu kämpfen. Die Marktpreise für Schweinefleisch und Ferkel sind im Keller.

Der Schlachtschweinepreis liegt bei 1,19 Euro je Kilogramm. Damit es sich für den Bauern rechnet, müsste er mindestens 50 Cent höher sein. Ein Ferkel ist für unter 30 Euro zu haben, Experten gehen davon aus, dass 50 Euro für die Kostendeckung nötig wären. Schweine sind für viele Bauern ein Minusgeschäft.

Dafür gibt es mehrere Gründe. Zum einen hat das wichtige Exportland China einen Einfuhrstopp verhängt, seit bei Wildschweinen in Deutschland die Afrikanische Schweinepest festgestellt wurde. Die Schließungen und Einschränkungen einiger Schlachthöfe führten zu einem Angebotsstau. Die Ställe sind voll, auch wenn sich die Situation langsam etwas entspannt.

Klaus Mugele, Vizepräsident des Landesbauernverbands Baden-Württemberg, fasst die Lage zusammen: „Fast alle Bereiche in der Landwirtschaft stehen momentan unter Preisdruck. Aber bei der Schweinehaltung ist die Lage dramatisch.“ Diese befinde sich in der größten Krise seit Jahrzehnten. „Die Kredite der Investitionen der vergangenen Jahre laufen weiter und für künftige Investitionen fehlt das Geld.“

In den vergangenen zehn Jahren habe sich die Zahl der Schweinehalter im Land halbiert. Knapp 4000 Betriebe mit Schweinehaltung gibt es laut Statistischem Landesamt noch, davon sind 2000 Betriebe darauf spezialisiert und davon wiederum 800 Schweinezüchter. Innerhalb des vergangenen Jahres haben allein 100 Schweinezüchter aufgehört.

Dafür haben die Betriebe im Durchschnitt mehr Tiere. Im November des vergangenen Jahres wurden in Baden-Württemberg 1,65 Millionen Schweine gehalten, ein Anstieg um 2,3 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Vor allem die Zahl der schlachtreifen Tiere stieg stark, auch bei den Ferkeln und Jungschweinen sei ein Mehrbestand festzustellen, so die Statistiker.

Während die konventionellen Betriebe um ihre Existenz kämpfen und deshalb die Alarmglocken laut läuten, herrscht andernorts entspannte Ruhe. Als „angenehm ruhig“ beschreibt Rudolf Bühler, Vorsitzender der Bäuerlichen Erzeugergemeinschaft Schwäbisch Hall und selbst Bauer, die Stimmung auf seinem Hof mit 150 Schwäbisch-Hällischen Weidemastschweinen derzeit.

Von acht Bauern vor 33 Jahren gegründet, umfasst die Erzeugergemeinschaft mit Sitz in Wolpertshausen inzwischen 1450 Betriebe, davon produziert mehr als ein Drittel Fleisch und Wurst mit Bio-Siegel, der Rest ist Teil der Qualitätsfleischinitiative, die ebenfalls klare Vorgaben an die Haltungsbedingungen stellt.

Diese Bauern profitieren von zwei Garantien: Ihre Tiere werden sicher abgenommen – und das zu einem festen Preis. Für Ferkel gibt es 55 Euro, für ein 100-Kilo-Mastschwein zwischen 162 bis 420 Euro. Ein großer Unterschied zu den Preisen für konventionell gehaltene Tiere. „Wir sind die älteste Regionalinitiative in Deutschland und haben rechtzeitig auf Regionalität und Qualität gesetzt. Wir haben von Beginn an die Wertschöpfungskette in bäuerlicher Hand belegt, strukturiert und durchorganisiert“, sagt Bühler. „Damit haben wir Strukturen geschaffen, die uns durch Krisenzeiten wie diese tragen.“ Nicht nur das, Krisen hätten die Strukturen der Initiative stets gestärkt, sagt er.

Die Produkte werden direkt an rund 500 Fachmetzgereien im süddeutschen Raum vermarktet. „Das ist eine echte Partnerschaft zwischen Bauern und Metzgern.“ Solche Strukturen könne man auch in anderen Regionen schaffen. „In Bayern gibt es 3500, in Baden-Württemberg 2200 Metzger, da ist auch noch Platz für andere Erzeugergemeinschaften“, sagt Bühler, der sein Projekt auch gerne anderen Bauerngruppen zeigt.

Auch Bauernverbandsvertreter Mugele kann sich weiter Gemeinschaften vorstellen. Seine Empfehlung an Schweinehalter: „Sie sollten sich auf jeden Fall mit den verschiedenen Tierwohl-Initiativen aktiv auseinandersetzen und in Erzeugergemeinschaften organisieren. Nur so lassen sich die erforderlichen Erzeugerpreise durchsetzen und falls erforderlich alternative Vermarktungswege erschließen.“

Aber zwingt eine Krise die Verbraucher nicht zum Sparen, sind sie bereit, mehr Geld für regionale Wurst auszugeben? Bühler lacht. Die Krise habe den Trend sogar verstärkt, dass Verbraucher wertige und regionale Lebensmittel erwerben wollen. „Wir haben eine sehr solidarische Verbrauchersituation und gehen gestärkt aus der Krise hervor, weil das Bewusstsein in der Bevölkerung großer geworden ist, dass eine gute bäuerliche Struktur in der Region wichtig ist.“ Das Wort solidarisch fällt auch noch in einem anderen Zusammenhang: Die Zusammenarbeit in der Erzeugergemeinschaft sei „solidarisches und gemeinwohlorientiertes Wirtschaften“, sagt Bühler.

Aber nicht nur die Schweinehalter selbst haben ihre Zukunft in der Hand. Mugele formuliert auch Forderungen an die Politik. Die Bauern bräuchten verlässliche Rahmenbedingung in der Tierhaltung. Neue Haltungsverordnungen erforderten häufig teure Um- oder Neubauten, die Erteilung der erforderlichen Genehmigungen dauere viel zu lange. „Wer heute einen Stall plant, weiß nicht, ob die Bestimmungen bei Fertigstellung noch gelten.“ Er nennt ein Beispiel eines Dilemmas: „Von Tierwohlseite sind möglichst offene Ställe mit Auslauf gewünscht, diese sind aber unter den aktuellen Umweltvorgaben kaum genehmigungsfähig.“ Er hält ein verpflichtendes staatliches Tierwohlkennzeichen für sinnvoll und einheitliche gesetzliche Standards innerhalb der EU.

Für Mugele ist klar: „Schweinefleisch bleibt beliebt und gefragt.“ Gesellschaftliche Akzeptanz könne erreicht werden – wenn Vorzüge der heimischen Herkunft verständlich gemacht würden, das bleibe eine Daueraufgabe für die Branche. Ein Bestandsabbau stehe Regionen in Nordwest-Deutschland mit ihren vielen Tieren bevor. „Baden-Württemberg hat das schon hinter sich, so dass für die verbliebenen Betriebe Chancen bestehen – wenn der Aufwand für mehr Tierwohl attraktiv honoriert wird.“

Zwischen Boom und Pleite

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Erstellt:
06.02.2021, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 45sec
zuletzt aktualisiert: 06.02.2021, 06:00 Uhr

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