Ökologie

Wortgewaltig für die Vögel

Der Ornithologe und „Naturschutzpapst“ Peter Berthold feiert seinen 80. Geburtstag. Der überaus streitbare Wissenschaftler hat sich international einen Namen gemacht.

29.04.2019

Von THOMAS KRUMENACKER

Öko-Pionier Peter Berthold wird 80. Foto: Thomas Krumenacker

Öko-Pionier Peter Berthold wird 80. Foto: Thomas Krumenacker

Owingen. Wer verstehen will, wie Peter Berthold tickt, sollte dorthin gehen, wo er am liebsten ist: In seinem Obstgarten bei Owingen-Billafingen nahe des Bodensees. Dort empfangen Sussex-Hühner die Besucher, Bertholds Schafe – und viele Wildvögel. Dutzende Haus- und Feldsperlinge stieben durchs Gebüsch. Gut 100 Nistkästen hängen auf einen Hektar verteilt, ebensoviele Sperlingspaare nisten hier. Dazu Zaunkönig, Heckenbraunelle und Stare. Ein Grünspecht ruft.

Unter dem Dach seines Holzlagers steht ein Holzstuhl ohne Kissen, aber mit gemütlichen Armlehnen. „Hier beende ich jeden Abend meinen aktiven Tag mit zehn Minuten Philosophieren“, sagt Berthold beim Besuch wenige Tage vor seinem 80.?Geburtstag. In dieser Idylle mit Blick über das Tal dürfte mancher Gedanke geboren worden sein, der Berthold zu dem gemacht hat, was er heute ist: ein international renommierter Wissenschaftler, ein streitbarer Öko-Aktivist.

Als einer der Nachfolger von Konrad Lorenz an der Spitze des Max-Planck-Instituts für Ornithologie in Radolfzell machte Berthold in der Zugvogelforschung bahnbrechende Entdeckungen. Etwa zu der Frage, wie Singvögel eigentlich den richtigen Zeitpunkt finden, ihren Flug in den Süden zu beginnen. Wie orientieren sie sich? Was ist erlernt, was ist genetisch vererbt? Das waren die Fragen, um die Bertholds Forschung kreiste.

Sein mittlerweile in siebter Auflage erschienenes Werk zum Vogelzug ist ein Klassiker der biologischen Literatur. Die Liste seiner wissenschaftlichen Veröffentlichungen ist mehr als 500 Einträge lang. Ebenso überbordend ist Bertholds Einsatz für die Natur und den Vogelschutz. Der Professor mit dem Rauschebart und der scharfen Rhetorik hat etwas erreicht, was so nur sehr wenigen gelungen ist: Er hat das Anliegen des Vogelschutzes in die öffentliche Debatte gebracht. Und er hält es dort auf der Tagesordnung. Unermüdlich wirbt er mit Dauerpräsenz in Talkshows, Radiosendungen und in Zeitungen für die Anliegen der Gefiederten.

Scheinbar nebenher schreibt Berthold Bestseller: Er plädiert ebenso leidenschaftlich für die ganzjährige Fütterung von Vögeln wie für eine Wende in der globalen Bevölkerungspolitik. Das ganz kleine und das ganz große Rad drehen zum Wohl von Mensch und Natur: Das ist Bertholds Lebensthema.

Vor allem aber will Berthold den Vogelschutz voran bringen. Im Erfolg des bayerischen Volksbegehrens für Artenvielfalt unter dem Motto „Rettet die Bienen“ sieht er erste Anzeichen für eine Wende im Bewusstsein. Doch warum haben die Vogelschützer mit ihren Warnungen vor einem „stummen Frühling“ nicht geschafft, was nun in Bayern mit Hilfe der Biene erreicht wurde?

„Ganz einfach“, sagt Berthold. „Wir haben es nicht geschafft, deutlich zu machen, dass auch Vögel existenziell bedeutsam für unser Überleben sind.“ Die „Vogelleute“ hätten die Schönheit der Vögel betont, weshalb man sie erhalten müsse. „Die Insektenforscher haben gesagt: Insekten sind lebenswichtig, sonst verrecken wir. Und das hat bei den Leuten gezündet.“

Mit 80 lässt Berthold es gelassener angehen. „Ich bin ja ein fast schon weiser, philosophischer Umweltkämpfer, kein Revoluzzer mehr.“ Sein Nachfolger an der Spitze des Max-Planck-Instituts, Martin Wikelski, erklärt: „Peter Berthold hat immer eine klare Meinung, die meistens stimmt und oft jahrzehntelang voraus ist. Mit seinen Studien, seiner Persönlichkeit und seiner Erscheinung hat er die Ornithologie und jetzt den Naturschutz geprägt wie kein anderer.“

Im Alter widmet sich Berthold seinem, wie er sagt, vielleicht wichtigsten Projekt. Gemeinsam mit der nach dem Tierfilmer benannten Heinz-Sielmann-Stiftung hat er es sich zum Ziel gesetzt, dass jede Gemeinde in Deutschland ein eigenes kleines Biotop als Refugium für Tiere und Pflanzen schafft. Auf diese Weise soll ein Biotopverbund entstehen, der Millionen Vögeln, Insekten und anderen Tieren hierzulande ein Überleben sichert.

Und was wünscht sich Berthold zu seinem 80. Geburtstag? „Ich fände es toll, wenn ich es noch erleben würde, dass eine Mehrheit erkennt, dass wir nur im Einklang mit der Natur eine Überlebenschance haben und wir eine ökologische Wende doch noch hinbekommen um eine Minute nach zwölf.“

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Erstellt:
29.04.2019, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 58sec
zuletzt aktualisiert: 29.04.2019, 06:00 Uhr

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