Krankenhauspersonal zur Pandemie

Intensivpflegerin: „Wir standen alleine da“

Anfangs gab es Applaus für Pflegekräfte, die an vorderster Front gegen Covid gekämpft haben – inzwischen ist die Ernüchterung groß, sagt eine Intensivpflegerin.

17.08.2021

Von DAVID NAU

Harter Job mit wenig Anerkennung: Ein Krankenpfleger kümmert sich um einen Covid-Patienten auf einer Intensivstation. Foto: Sebastian Gollnow/dpa

Harter Job mit wenig Anerkennung: Ein Krankenpfleger kümmert sich um einen Covid-Patienten auf einer Intensivstation. Foto: Sebastian Gollnow/dpa

Tübingen. Der Kontrast könnte kaum größer sein: Die Sonne stahlt, die Pflanzen blühen farbenfroh, die Vögel zwitschern. Franziska Strasser sitzt auf der Terasse ihres Hauses in einem ruhigen Wohngebiet am Rande von Wurmlingen bei Tübingen und erzählt von den Erfahrungen, die sie als Krankenschwester auf der Corona-Intensivstation am Tübinger Uniklinikum in den vergangenen eineinhalb Jahren machen musste.

Besonders in der ersten Welle im Frühjahr 2020 sei die Lage dramatisch gewesen: „Wir wussten am Anfang gar nicht, was wir tun können. Kein Patient hat so reagiert, wie wir es in den letzten 20 Jahren gelernt haben“, sagt die 52-Jährige, die seit 1990 in ihrem Beruf arbeitet. „Das war eine völlig unwirkliche Situation“, erinnert sich Strasser. Sie und ihre Kolleginnen und Kollegen hätten sich wie Fließbandarbeiter gefühlt. „Die Patienten kamen teils im Stundentakt, wurden intubiert und auf den Bauch gedreht.“

Sie selbst hat in dieser Zeit ihre Arbeitszeit von 40 Prozent auf 75 Prozent aufgestockt – um ihre Kolleginnen und Kollegen zu unterstützen. „Am Anfang habe ich eine große Solidarität und ein großes Gemeinschaftsgefühl gespürt. Die Kollegen haben gesagt: Wir halten zusammen.“ So habe man viel Personal für die Intensivstation akquirieren können. Auch die Anerkennung in der Bevölkerung war sehr hoch, abends applaudierte man den Pflegekräften für ihren Einsatz.

Nach wenigen Wochen sei dann aber die erste Ernüchterung eingetreten. Erst nach mehreren Anläufen bekamen die Mitarbeiter der Intensivstation eine monatliche Infektionszulage – in Höhe von gerade einmal 46 Euro. „Und das in einer Zeit, in der noch keine Rede von Impfungen war, die Schutzkleidung knapp wurde und wir stundenlang direkt neben hochinfektiösen Patienten standen“, sagt Strasser. „Wir standen vollkommen alleine da“, fasst die Intensivpflegerin ihre Gefühle von damals zusammen. Auch die Diskussion um eine Corona-Prämie für Pflegekräfte, die früh versprochen wurde, dann aber zunächst nur Altenpflegekräfte gewährt wurde, habe ihre Gefühlslage weiter verschlechtert. Die versprochene Anerkennung sei komplett aufgeweicht worden, während sie und ihre Kollegen weiter tagtäglich um das Leben der Covid-Patienten kämpften. „Wir waren einfach nur sauer. Das war eine Frechheit“, sagt Strasser heute.

Ist inzwischen ernüchtert: Franziska Strasser. Foto: Tobias Wuntke/Uniklinikum Tübingen

Ist inzwischen ernüchtert: Franziska Strasser. Foto: Tobias Wuntke/Uniklinikum Tübingen

Ihre anfängliche Hoffnung, dass die Pandemie auf die schlechten Arbeitsbedingungen in der Krankenpflege aufmerksam mache und dass sich etwas ändere, ist inzwischen einer großen Enttäuschung gewichen. „Ich kann niemandem mehr guten Gewissens raten, diesen Beruf zu wählen“, sagt sie. Sie mache ihre Arbeit wirklich gerne, es fehle aber die Anerkennung. „Und in unserer Gesellschaft zeigt sich Anerkennung nun mal in Form von Geld“, sagt die 52-Jährige. Gerade in der Intensivpflege passten Verantwortung und Bezahlung nicht mehr zusammen: „Wir übernehmen oft ärztliche Aufgaben, werden aber schlechter bezahlt als jeder Handwerker.“

Aktuell werden laut Universitätsklinikum drei Covid-Patienten auf der Intensivstation behandelt. Die Belastung für die Pflegekräfte ist dennoch weiterhin hoch, sagt Franziska Strasser. Aktuell würden viele Tumorpatienten behandelt, die während der Hochphasen der Pandemie zurückstecken mussten. Verbessert habe sich hingegen die psychische Belastung der Intensivpflege. Das hängt vor allem mit der Impfung zusammen. „Wir müssen uns zumindest keine Sorgen mehr machen, das Virus nach Hause zu tragen“, sagt Strasser. Außerdem kenne man die Krankheit inzwischen deutlich besser, habe Wege und Mittel gefunden, mit ihr umzugehen – und könne inzwischen auch akzeptieren, wenn man nicht jedem Patienten oder jeder Patientin das Leben retten könne.

Angst vor einer vierten Welle im Herbst hat Franziska Strasser nicht. Klar, die Zahl der Patienten werde wieder ansteigen, durch die Impfung könne man sich aber inzwischen gut schützen. „Die Patienten, die dann zu uns kommen werden, haben dieses Schicksal meist selbst gewählt“, sagt Strasser. Auch diese Patienten werde man selbstverständlich nach bestem Wissen und Gewissen versorgen – sie selbst werde aber nicht mehr so viel Empathie aufbringen können, wie sie es etwa in der ersten Welle tat.

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Erstellt:
17.08.2021, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 59sec
zuletzt aktualisiert: 17.08.2021, 06:00 Uhr

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