Natur

Wie Frankreich mit der Ausbreitung der Raubtiere umgeht

Die Raubtiere breiten sich in Frankreich aus und nähern sich nun auch der Hauptstadt. Die Menschen reagieren mit gemischten Gefühlen. Von Peter Heusch

04.12.2021

Von heu

Der Europäische Wolf (Canis lupus lupus) breitet sich aus.

Der Europäische Wolf (Canis lupus lupus) breitet sich aus.

Paris. So manchem Leser der Tageszeitung „Le Parisien“ dürfte diese Woche das Frühstückscroissant aus der Hand geglitten sein. „Der Wolf ist vor den Toren von Paris“ lautete die Schlagzeile auf der Titelseite des Blattes, der ein großes Foto des Raubtiers als Blickfang diente. Und tatsächlich: Unweit des 70 Kilometer westlich der französischen Hauptstadt gelegenen Dorfes Blaru war zwei Tage zuvor ein von Experten einwandfrei als solcher identifizierte Wolf über die Äcker getrottet.

Ganz abgesehen davon, dass Blaru dann doch mehr als nur einen Steinwurf von Paris entfernt ist, hat die Nachricht weder Zoologen noch Tierschützer sonderlich überrascht. Schon seit dem Beginn der 1990er Jahre ist der Wolf in Frankreich wieder heimisch geworden. Mittlerweile wird der Bestand auf rund 600 Exemplare geschätzt. Hauptsächlich leben sie zwar im Südosten des Landes, doch auch in den Departements der Pariser Region wurden in den letzten zwei Jahren wiederholt einzelne Tiere gesichtet.

So ganz geheuer freilich ist das vielen unserer Nachbarn nach wie vor nicht. Bei manchen kochen sogar uralte Ängste hoch, denn mit dem Wolf spaßt man nicht in Frankreich und seinen tief verwurzelten bäuerlichen Traditionen. Das gilt insbesondere für die Alpenbewohner, die man früher auch Wolfsbrenner rief, weil sie sogar ihre Wälder anzündeten, um das Raubtier endlich loszuwerden.

Solch drastische Maßnahmen sorgten dafür, dass der Isegrim seit Anfang des vorigen Jahrhunderts als ausgestorben galt. Erst vor 30 Jahren sind die ersten Wölfe aus Italien wieder in die französische Alpenregion eingewandert – und standen streng unter Naturschutz. Offiziell zumindest darf ihnen kein Haar gekrümmt werden.

Und in der Praxis? „Nur ein toter Wolf ist ein guter Wolf“, erklärt Rene Tavan jedem, der es hören möchte und streichelt grimmig seine Flinte: „Wenn ich eines der Biester zu Gesicht bekomme, knall’ ich es ab!“ Und dann erzählt der 54-jährige Schäfer von jener letzten Woche im August. Frühmorgens glich seine Weide nördlich von Grenoble einem Schlachthof. 15 Schafe lagen mit durchgebissener Kehle im Gras, ein weiteres Dutzend war in panischer Flucht von den umliegenden Felsen gestürzt.

Etwa 600 Weidetiere sind seit Januar in den französischen Alpen gerissen worden. Freilich weiß niemand genau, wie viele davon wirklich auf das Konto der Wölfe gehen. Schließlich fallen in ganz Frankreich jedes Jahr weit über 1000 Schafe und Ziegen streunenden Hunden zum Opfer. Für solche Verluste aber erhalten die Züchter keinen Cent staatliche Entschädigung, während die Behörden „Wolfsschäden“ komplett erstatten. Grund genug für die Schäfer, hinter jedem Strauch einen Wolf zu sehen, spotten die Naturschützer.

Allerdings haben sich die Gemüter der Schäfer nachhaltig beruhigt, seitdem viele von ihnen zu einem uralten Mittel greifen, um ihre Herden vor den Wölfen zu schützen: Sie halten sich Hunde. „Ich habe kein einziges Tier mehr verloren, seitdem ich mir vor fünf Jahren zwei Border Collies zugelegt habe, bestätigt der in den Hochsavoyen lebende Ziegenzüchter Yves Lachenal. Ein Freund der Wölfe ist er zwar keineswegs, räumt aber ein, dass das Raubtier „hier genau genommen seit jeher sein Heim- und Lebensrecht hat.“

So sieht das auch die Pariser Regierung, die im Namen der Biodiversität energisch auf die „gebotene Koexistenz“ zwischen Wolf und Mensch pocht.

600

Wölfe leben Schätzungen zufolge in ganz Frankreich. Zum Vergleich: In Deutschland sind es laut WWF rund 275 erwachsene Tiere.

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Erstellt:
04.12.2021, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 43sec
zuletzt aktualisiert: 04.12.2021, 06:00 Uhr

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