Arbeitsrecht

Wenn den Chef die kurze Hose stört

Wilde Haare, schrille Kleidung und womöglich eine Tätowierung: Der Arbeitgeber darf sich nicht in jedem Fall einmischen, wenn ihm das Auftreten eines Mitarbeiters nicht behagt.

26.10.2021

Von jkl mit dpa

Bei Mitarbeitern mit Kundenkontakt ist dieses Outfit möglicherweise nicht erlaubt. Foto: © Andrey_Popov /Shutterstock.com

Bei Mitarbeitern mit Kundenkontakt ist dieses Outfit möglicherweise nicht erlaubt. Foto: © Andrey_Popov /Shutterstock.com

Ulm/Köln. Für den einen ist das neueste Tattoo auf dem Handrücken Kunst oder die zerrissene Jeans Ausdruck des individuellen Lebensgefühls. Doch was ist, wenn dem Chef zufolge das äußere Erscheinungsbild der Mitarbeiterin oder des Mitarbeiters so gar nicht in das Unternehmenskonzept passt? „Dazu gibt es keine gesetzliche Regelung“, sagt Nathalie Oberthür, Fachanwältin für Arbeitsrecht. „Stattdessen wird bei jedem Konflikt einzeln geprüft, ob in diesem Fall eine Vorschrift berechtigt ist oder nicht.“

Somit muss jedes Mal aufs Neue abgewogen werden, ob das unternehmerische Interesse so stark ist, dass die Persönlichkeitsrechte eines Mitarbeiters eingeschränkt werden dürfen. „Und dafür muss es eine gute Begründung geben“, sagt Oberthür.

Einschränkungen können gelten, wenn es etwa um die Arbeitssicherheit oder die Hygiene am Arbeitsplatz geht, erklärt Michael Henn, Fachanwalt für Arbeitsrecht. Schmuck, Schminke oder Nagellack können etwa in der Pflege oder Gastronomie verboten werden. „Im medizinischen Bereich ist häufig nicht einmal der Ring am Finger erlaubt“, sagt Henn. Geht es hingegen ausschließlich um das Firmenimage, müssen Arbeitgeber gute Gründe liefern, um sich in das Auftreten ihrer Angestellten einmischen zu dürfen. „Es geht es darum, ob der oder die Betroffene Außenkontakt hat oder nicht“, erklärt Henn. Ist dies nicht der Fall, könne das Unternehmen nur schwer Vorgaben machen.

Zudem können nur sichtbare Teile des Erscheinungsbildes Gegenstand der Vorschrift sein. Ein stets verdecktes Tattoo oder eine unter dem Hemd versteckte Kette dürfen nicht kritisiert werden. Ein sichtbares Piercing dagegen ist bei der Arbeit abzulegen, wenn der Arbeitgeber das will. Dieser kann das Piercing aber nicht komplett verbieten. Nicht zuletzt muss es ein legitimes Interesse des Arbeitgebers geben, auf ein bestimmtes Erscheinungsbild etwa in Form einer Dienstkleidung zu bestehen. „Zum Beispiel muss nachgewiesen werden, dass Kunden in einem Geschäft ohne einheitliche Kleidung nicht erkennen, wer zu den Mitarbeitern gehört. Oder dass ein gepflegtes Erscheinungsbild wichtig ist, wenn man als repräsentativer Vertreter des Arbeitgebers auftritt“, sagt Patrizia Chwalisz, Fachanwältin für Arbeitsrecht.

Sollten bei Konflikten religiöse Symbole wie eine Kreuzkette, ein Kopftuch oder eine Kippa betroffen sein, greifen aber nicht nur die Persönlichkeitsrechte, sondern auch die Religionsfreiheit. Hier müssen Unternehmen noch stärkere Argumente liefern, um in die Rechte ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eingreifen zu dürfen. „Arbeitgeber können sich darauf berufen, politisch und religiös komplett neutral zu sein“, erklärt Chwalisz. Sie müssten jedoch dann beweisen, dass ihnen konkrete negative Konsequenzen drohen, wenn sie religiöse Symbole dulden.

„Im Prinzip kann der Arbeitgeber nur wenig vorschreiben“, sagt Henn. „Es gibt aber auch nur sehr wenig Streit darüber.“ Bevor es zu einer gerichtlichen Auseinandersetzung kommt, sollten Beschäftigte andere Wege der Konfliktlösung ausloten. „Ich würde erst einmal empfehlen, mit dem Betriebsrat zu sprechen, wenn es zu Problemen kommt“, rät Oberthür. Oft ließen sich Kompromisse finden. Arbeitgeber haben jedoch die Möglichkeit, mit Gesprächen und Abmahnungen zu arbeiten. „Betriebe können aber auch schon vor der Einstellung Kandidaten aufgrund ihres Äußeren aussieben“, sagt Henn. Das lasse sich meist jedoch nur schwer nachweisen. jkl, dpa

Gesellschaftliche Normen ändern sich

Die Vorstellungen von gesellschaftlich akzeptiertem Auftreten seien ständig dem Wandel unterworfen, sagt Anwältin Patrizia Chwalisz. „Noch in den 1960er Jahren urteilte ein Gericht, dass eine Beatles-Frisur nicht gehe, die Haare seien viel zu lang.“ Mittlerweile dürfte eine solche Frisur wohl kein Grund mehr für einen Gerichtsprozess sein. Mitunter kann der Wandel sehr schnell gehen. „Noch Anfang der 2000er Jahre hat ein Gericht entschieden, dass ein Polizist mit Männerdutt unzumutbar sei.“ Heutzutage sei das etabliert. dpa

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Erstellt:
26.10.2021, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 49sec
zuletzt aktualisiert: 26.10.2021, 06:00 Uhr

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