Tübingen/Bern

Weltweit erste Schnellladestation für Batteriezüge erfolgreich getestet

Die Tübinger Stadtwerke haben mit dem eidgenössischen Unternehmen „Furrer+Frey“ die weltweit erste Schnellladestation für Batteriezüge entwickelt. „Voltap“ könne demnach einen wichtigen Beitrag für die Dekarbonisierung im Eisenbahnverkehr leisten.

26.02.2021

Von ST

 So könnte es aussehen: Eine Voltap-Schnellladestation mit Batteriezug (BEMU). Visualisierung: Furrer+Frey, Rechte: Stadtwerke Tübingen / Furrer+Frey

So könnte es aussehen: Eine Voltap-Schnellladestation mit Batteriezug (BEMU). Visualisierung: Furrer+Frey, Rechte: Stadtwerke Tübingen / Furrer+Frey

Wie die Tübinger Stadtwerke (SWT) am Freitagmorgen mitteilen, soll die Gemeinschaftsentwicklung eine Lücke im Schienenpersonennahverkehr (SPNV) schließen. Die weltweit erste Schnellladestation für Batteriezüge soll demnach die Weichen für mehr E-Züge dieser Art stellen. Voltap könnte damit einen wichtigen Beitrag für die Dekarbonisierung im Eisenbahnverkehr leisten.

Im SPNV kommen aktuell weit verbreitet noch Dieseltriebwagen zum Einsatz, die auch auf Streckenabschnitten mit bestehender Oberleitung mit Diesel fahren – obwohl ein Großteil der Gleise mit Oberleitungen elektrifiziert sind. Das Problem sind Teilstrecken oder Stichstrecken ohne Oberleitung. In Deutschland sind nach SWT-Angaben rund 40 Prozent des Schienennetzes nicht elektrifiziert.

Um diese Lücken zu überwinden, setzen Eisenbahnunternehmen nach wie vor auf Dieselzüge. Auf solchen Strecken bieten sich jedoch Batteriezüge (BEMU – Battery Electric Multiple Unit) als eine Lösung an – inklusive alternativem und klimaschonendem Antriebskonzept ohne Dieseleinsatz. Diese Batteriezüge fahren auf Strecken mit Oberleitung rein elektrisch. Batterien ermöglichen eine Reichweitenverlängerung in der Größenordnung von 60 bis 80 Kilometern auf nicht elektrifizierten Abschnitten, so die Stadtwerke.

Doch auch diese Antriebsmaschinen hätten ein Grundproblem: Ist die Batterie leer, endet die Fahrt, wenn nicht rechtzeitig ein elektrifizierter Abschnitt erreicht wurde. Das restliche Schienennetz nur mit Oberleitungen zu elektrifizieren, stehe insbesondere im ländlichen Raum in einem ungünstigen Kosten-Nutzen-Verhältnis. Denn der Oberleitungsbau sei nicht nur mit hohen Investitionskosten verbunden, sondern verschlingt auch vor allem durch Planfeststellungsverfahren lange Zeiträume von bis zu zehn Jahren.

Eine technische Lösung für dieses Dilemma liefere die neu entwickelte Schnellladestation namens Voltap. Sie ermögliche es Batteriezügen, betrieblich notwendige Stand- und Haltezeiten zum Aufladen zu nutzen, was Einsatzmöglichkeiten und Reichweiten erheblich vergrößere. Die Innovation aus Tübingen und Bern könne der Batteriezugtechnik als Element einer funktionalen und zuverlässigen Lade-Infrastruktur im Schienenverkehr auf die richtige Spur verhelfen. Eisenbahnunternehmen würden sich neue Horizonte öffnen. Die Investitionskosten liegen laut den Stadtwerken mit „Voltap“ – beispielsweise im Vergleich zu herkömmlichen Umrichterwerken – um den Faktor fünf niedriger.

„Beim Umstieg der Eisenbahnbranche auf rein elektrische Antriebe offenbaren sich Zielkonflikte: Ohne elektrifizierte Infrastruktur bleiben Batteriezüge in der Nische – und erst wenn es die passende Infrastruktur gibt, wird es mehr reine E-Züge geben“, wird Ortwin Wiebecke, Geschäftsführer der Stadtwerke Tübingen, in der Mitteilung zitiert. „Die SWT sind als Bahnstrom-Pionier der ersten Stunde sehr erfolgreich beim Bahnstromvertrieb für private Eisenbahnverkehrsunternehmen in Deutschland und haben ein umfangreiches Knowhow im technischen Strombereich. Mit unserem Anspruch, ein Wegbereiter der Energiewende zu sein, haben wir mit unserem Partner Furrer+Frey bei der Eigenentwicklung Voltap eine intelligente und für Bahnunternehmen finanziell attraktive Lösung. Unsere neue Schnellladestation soll damit der Dekarbonisierung im Eisenbahnverkehr einen Schub geben.“

Zwei Jahre Entwicklungsarbeit stecken demnach in Voltap. Als Innovation stellt die Schnellladestation besondere elektrotechnische Ansprüche. Die Stadtwerke Tübingen bündeln hierfür ihre Kompetenzen mit der Expertise des Schweizer Unternehmens Furrer+Frey AG, einem Spezialisten für den Oberleitungsbau und mehrjähriger Erfahrung im Bereich Ladeinfrastruktur für E-Busse. Die umfangreichen Testreihen in Tübingen seien erfolgreich verlaufen und hätten bewiesen: Voltap funktioniert. Um von vornherein die Voraussetzungen für eine spätere Zulassung zu schaffen, ließen die Projektpartner die Testreihen durch den TÜV Süd begleiten.

Es galt, besondere Anforderungen zu lösen. Während das allgemeine Stromnetz mit einer Frequenz von 50 Hertz arbeitet, kommt beim Bahnstrom bislang die Frequenz 16,7 Hertz zum Einsatz. Das Gleichrichten der Wechselspannung zur Aufladung der Batterien übernimmt dann die Leistungselektronik des Zuges. Allerdings, so der Ansatzpunkt von Voltap, kommen moderne Batteriezüge dank ihrer Grundauslegung auch mit 50 Hertz Frequenz zurecht. Eine Umwandlung der Frequenz für den Zug scheint nicht mehr notwendig zu sein – und damit sei direktes Laden möglich.

Das schnelle Aufladen leistungsstarker Batterien, wie sie in Batteriezügen zum Einsatz kommen, stellt dennoch hohe Ansprüche an das vorgelagerte Stromnetz und die elektronischen Komponenten im Umfeld des Zuges. Während des Ladeprozesses ist das Netz hohen Belastungen ausgesetzt, die ausgeglichen werden müssen. Ein besonderes Augenmerk lag auf der sogenannten Unsymmetrie, die ein elektrisches Bahnfahrzeug in Form einer einphasigen Last erzeugt und die für ein Stromnetz problematisch sein kann. Unter dieser Konstellation Mittelspannungsnetz-Ladestation-Batteriezug eine Netzverträglichkeit herzustellen, ist der entwicklungstechnische Knoten, den die Entwickler mit Voltap gelöst haben wollen: Batteriezüge lassen sich mit der neuen Technologie mit Leistungen von bis zu 1,2 MW je Zugeinheit netzverträglich aufladen.

Als nächsten Schritt planen die beiden Projektpartner, Voltap an die Schiene zu bringen, um mit entsprechenden BEMU-Prototypen die Praxistauglichkeit nachzuweisen – ein weiterer Meilenstein auf dem Weg zur Serienreife. In der Eisenbahnbranche selbst, so hoffen die Entwickler, könnte mit der Marktverfügbarkeit dieses neuen Elements in der E-Infrastruktur auch insgesamt die Attraktivität für Batteriezüge steigen. Was wiederum eine wichtige Grundlage für die Mobilitätswende im privaten Bahnverkehr in Deutschland und Europa wäre.

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Erstellt:
26.02.2021, 10:04 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 28sec
zuletzt aktualisiert: 26.02.2021, 10:04 Uhr

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