Viel Fuchsschwanz, wenig Schwingel

Was eine Wiese zur schutzwürdigen Wiese macht, untersuchen Botaniker rund um Mössingen

Die Europäische Union schaut darauf, dass ihre Natura-2000-Schutzgebiete auch etwas für die biologische Vielfalt bringen. Deshalb werden zurzeit zwischen Hechingen und Metzingen die Wiesen untersucht. Es ist gar nicht so einfach, zu bestimmen, was eine Wiese zum EU-weit geschützten Lebensraum macht.

27.05.2016

Von Mario Beisswenger

Die Pflanzen werden in die Artenliste eingetragen.

Die Pflanzen werden in die Artenliste eingetragen.

Morgens bei Tau in die Wiese – und schon wird klar, was vor einem liegt. Nass bis zu den Knöcheln? Dann ist es ein Magerrasen. Nass bis zu den Knien? Dann ist es eine magere Mähwiese. Wird der Bauch nass, dann ist es eine Fettwiese.

Wenn es wirklich so einfach wäre, dann hätte Michael Koltzenburg wenig Arbeit (siehe Info-Box). Tatsächlich tigert der Botaniker zur Zeit mit gesenktem Haupt und konzentriertem Blick stundenlang über die Markung. Er zupft da ein Gras und krabbelt dort mit den Fingern ganz unten in der Kräuterschicht.

Neulich war eine Wiese an der B 27 dran – Richtung Hechingen linker Hand unterhalb des Modellflug-Platzes. Diese Wiese ist für Koltzenburg an der Schmerzgrenze: „Schön ist das alles nicht“, sagt er: „Ich muss da ein paar Bereiche herausnehmen.“ Dort, wo das Fuchsschwanz-Gras dichte Bestände bildet und sonst fast nichts mehr anderes hochkommt. Das ist keine Wiese, so wie sie die Europäische Union mit dem Ziel der biologischen Vielfalt bewahren will.

Die nicht geschützte Monokultur ist streng definiert: Wenn auf einer schnell abgeschrittenen Fläche von fünf auf fünf Meter zum Beispiel mehr als ein Drittel Fuchsschwanz wächst, ist die Wiese als magere Mähwiese untauglich. Aber Koltzenburg will die ganze Fläche nicht so schnell aufgeben.

Sie wurden vor gut zehn Jahren noch als FFH-Wiese aufgenommen. Das muss einen Grund gehabt haben. Und er findet die Gründe auch, wenigstens noch auf einigen Flecken: Den Roten Schwingel etwa oder Luzula campestris, das Hasenbrot und da, versteckt im Gräserfilz noch Blätter einer Flockenblume, einer demnächst violett blühenden Charakterblume von artenreichen Mähwiesen. Ohne geschultes Auge wäre der blütenlose Trieb nicht zuzuordnen. Koltzenburg weist auf die typisch wechselständigen Blätter. „Das sind für mich die Aufhänger.“

Er hakt die gesuchte Pflanze auf seiner Liste ab. Mehr als 20 Arten muss er schon zusammenbringen. Darunter müssen auf zehn Prozent der Fläche wertgebende Arten deckend auftreten, um die Wiese als FFH-tauglich ausweisen zu können. Er will dem Bauern ja keinen Ärger machen. Wenn Landwirte eine FFH-Wiese zum reinen Wirtschafts-Grünland verwandeln, bekommen sie weniger Geld. Außerdem gilt für die Gutachter: „Wir sind gehalten, konservativ zu kartieren.“

Soll heißen: Die Wiese soll möglichst weiter von Baden-Württemberg als europaweit bedeutender Lebensraum nach Brüssel gemeldet werden können. Kommt das Land seiner Verpflichtung nicht nach, das Natura-2000-Netz zu erhalten, gibt es Strafen aus Brüssel.

Die Wiese wird ein C bekommen. A wäre eine prächtige blütenbunte Wiese, wie sie noch vereinzelt gerade um Mössingen herum zu sehen sind. Prädikat: Zum Wiesenstrauß-Pflücken geeignet. B ist dazwischen und C ist der untere Erhaltungszustand wie an der B 27, der gerade noch Zuschüsse für den Landwirt möglich macht.

Wenn die Naturschutzbehörden in den Landkreisen ihre Arbeit ernst nehmen, führt eine ehemals erfasste, nun aber gelöschte Wiese zu einem Gespräch mit dem Bewirtschafter, was passieren muss. „Da geht dann die Ursachenforschung los“, sagt der Botaniker. Wurde zu viel gedüngt? Hat der Landwirt mit starkwüchsigen Gräsern nachgesät, um mehr Ertrag zu bekommen?

Das interessiert das naturschützerische Herz von Michael Koltzenburg. Er wird aber als Gutachter nur Vorschläge machen. Aushandeln müssen es dann die Kreisbehörden für Naturschutz und Landwirtschaft.

Nach gut zwei Stunden Zick-zack-laufen über die taunasse Wiese zeigt sich der Wert guter Gummistiefel. Die Artenliste ist länger geworden als erwartet. Trotzdem: Ein Hotspot der Artenvielfalt ist die Wiese nicht. „20 Arten sind jetzt nicht der Hammer.“ Das ist so die Grenze, wo die Wiese noch Entwicklungspotenzial hat zu einem bunterem Anblick.

Der Botaniker Michael Koltzenburg vergewissert sich mit der Nase: Klare Sache, das nach Waldmeister duftende Ruchgras. Bei zwei ziemlich ähnlichen Rispengräsern schaut er genau nach der Ligula, dem Blatthäutchen. Ist es lang? Dann ist es das viel Nährstoffe anzeigende Poa trivialis. Ist es kurz? Dann ist es Poa pratensis, das auf eine artenreiche Wiese gehört. Bilder: Beißwenger

Der Botaniker Michael Koltzenburg vergewissert sich mit der Nase: Klare Sache, das nach Waldmeister duftende Ruchgras. Bei zwei ziemlich ähnlichen Rispengräsern schaut er genau nach der Ligula, dem Blatthäutchen. Ist es lang? Dann ist es das viel Nährstoffe anzeigende Poa trivialis. Ist es kurz? Dann ist es Poa pratensis, das auf eine artenreiche Wiese gehört. Bilder: Beißwenger

Das Grün dominiert: Hier eine Wiese mit fast reinem Fuchschwanz-Bestand.

Das Grün dominiert: Hier eine Wiese mit fast reinem Fuchschwanz-Bestand.

Wiesen-Gutachter im Auftrag der EU

Rings um Mössingen sind zur Zeit Gutachter unterwegs, die prüfen, wie es um das europäische Schutznetz Natura-2000 bestellt ist. In so genannten Management-Plänen fassen sie den Natur-Zustand zusammen und machen Vorschläge zu seiner Verbesserung.

In der Umgebung Mössingens spielen flächenmäßig vor allem die durch die Flora-Fauna-Habitat (FFH)-Richtlinie geschützten so genannten mageren Flachland-Mähwiesen eine Rolle. Die Gutachter kontrollieren aber auch Orchideen-Wiesen und Kalktuff-Quellen oder suchen nach Hirschkäfer oder der Spelz-Trespe. Für die Mähwiesen, EU-Kürzel Lebensraumtyp 6510, hat Baden-Württemberg europaweit eine besondere Verantwortung. Anderswo sind es Sanddünen, mediterrane Hartlaub-Wälder oder Hochmoore. Nach einer offiziellen Einschätzung von 2013 ist der Erhaltungszustand im Land aber ungünstig bis schlecht. Erhalten werden können die Wiesen großflächig nur durch Landwirte. Die bekommen dafür Extra-Subventionen für die zum Erhalt notwendige nicht intensive Nutzung. Zur Zeit sind das 280 Euro pro Hektar. Bauern – und auch kleine Gütlesbesitzer – haben sogar die Pflicht, die Flächen in einem guten Zustand zu erhalten. Bei Zerstörung einer bunten Wiese werden Landwirten auch andere EU-Direktzahlungen gekürzt.

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Erstellt:
27.05.2016, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 22sec
zuletzt aktualisiert: 27.05.2016, 01:00 Uhr

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