Integration von Flüchtlingen

Walter: „Wer bestellt, muss auch zahlen“

Landkreistagspräsident Joachim Walter fordert vom Land eine auskömmliche Kostenerstattung für Aufgaben wie die Integration von Flüchtlingen.

12.08.2019

Von ROLAND MUSCHEL

„Mär von den reichen Kommunen“: Landkreistagspräsident Joachim Walter. Foto: Ulrich Metz

„Mär von den reichen Kommunen“: Landkreistagspräsident Joachim Walter. Foto: Ulrich Metz

Tübingen. Bei der Integration der Flüchtlinge legen die Kreise kräftig drauf, sagt Landkreistagspräsident Joachim Walter. Ein Gespräch über die Finanzverhandlungen mit dem Land – und die Forderungen der Kommunen.

Herr Walter, den Kommunen geht es finanziell gut, während das Land die konjunkturelle Eintrübung spürt. Keine guten Voraussetzungen für Finanzverhandlungen, oder?

Joachim Walter : Die Mär vom armen Land und den reichen Kommunen hält doch der Realität nicht stand. Das Land selbst geht für seinen Bereich für die Jahre 2020 und 2021 von Mindereinnahmen gegenüber der Herbst-Steuerschätzung in Höhe von 1,2 Milliarden Euro aus, während den Kommunen im gleichen Zeitraum Mindereinnahmen von 2?Milliarden Euro drohen. Das sind wohlgemerkt die Zahlen, die das Stuttgarter Finanzministerium errechnet hat. Außerdem wird uns ja immer vorgehalten, wir hätten bei den letzten Finanzverhandlungen auf Kosten des Landes wahnsinnig gut abgeschnitten.

Stimmt das nicht?

Auch das ist falsch. Wir haben zu dem Paket mit dem Land 600 Millionen Euro an Eigenmitteln beigesteuert, das wird auf Landesseite gerne vergessen. Zudem haben wir beim Kompromiss über die Ausgaben für geduldete Flüchtlinge 174 Millionen Euro pro Jahr als Ausgangsbasis genommen. Wir haben gesagt: 40 Millionen Euro davon tragen wir. Tatsächlich kommen Stadt- und Landkreise aber nun auf bis zu 265 Millionen Euro für das Jahr 2018! Das heißt: Da legen wir kräftig drauf – obwohl es ganz klar eine staatliche Weisungsaufgabe ist, die wir hier erfüllen.

Was folgt daraus?

Eigentlich müsste das Land uns die Kosten voll erstatten. Aber weil uns die Einhaltung von Verträgen wichtig ist, akzeptieren wir die für uns bitteren Zahlen für 2018. Klar ist aber auch: So kann es definitiv nicht weitergehen! Die Berechnungen für 2018 müssen nun Grundlage für die Abschlagszahlungen für das Jahr 2019 sein. Wir brauchen auch endlich eine gesetzliche Regelung. Es kann nicht sein, dass wir bei einer staatlichen Weisungsaufgabe bei jedem Haushalt neu verhandeln, ob wir dafür auskömmlich Geld erhalten oder nicht. Andere Bundesländer haben das längst geregelt.

Entlastet der Rückgang der Flüchtlingszahlen die Kreise nicht?

Es kommen immer noch mehr Flüchtlinge als vor der Hochphase 2014 bis 2016. Jetzt sind es zwar weniger als vor drei, vier, fünf Jahren. Aber die Menschen, die während der Krise gekommen sind, müssen wir jetzt integrieren. Vor allem aber gibt es eine wachsende Zahl von Menschen ohne Bleibeperspektive, für die wir aufkommen müssen. Von Entspannung können wir Kreise noch nicht reden.

Wie zufrieden sind Sie mit der Arbeit der Integrationsmanager?

In Tübingen haben wir bereits mit Integrationsmanagern gearbeitet, bevor das Land die Idee aufgenommen hat. Ich kann nur sagen: Die Arbeit der Integrationsmanager hat sich bewährt, sie trägt Früchte. Die individuellen Etappenziele, die die Integrationsmanager mit Flüchtlingen etwa über das Erlernen der Sprache vereinbaren, führen in aller Regel zu Erfolgen. Die Zahl derer, die solche Gespräche verweigern, ist minimal. Aber klar ist auch: Ein Großteil der Leute ist noch nicht fit für den Arbeitsmarkt, die Aufgaben der Integrationsmanager sind nicht kleiner geworden. Das ist kein Kurzstreckenlauf, sondern ein Marathon. Es gibt aber natürlich auch Kritiker.

Was sagen Sie denen?

Den Zweiflern sage ich immer: Wenn ihr alle anderen Argumente beiseiteschiebt und das Ganze nur rein ökonomisch betrachtet, müsstet ihr schon zustimmen. Wenn wir es nicht schaffen, alle Integrationsfähigen und -willigen auch tatsächlich zu integrieren, werden wir dafür später die Quittung über die Sozialkassen erhalten. Wir müssen den Menschen klipp und klar sagen: Wir wollen euch als vollwertige Mitglieder dieser Gesellschaft. Wir wollen nicht, dass ihr euch mit anderen zurückzieht und abschottet, die sich auch abgelehnt fühlen.

Ist die weitere Arbeit der Integrationsmanager finanziell gesichert?

Leider ist unklar, wie es weitergeht. Wir drängen auf ein schnelles Signal des Landes, weil viele Integrationsmanager auch andere Angebote haben. Wenn die sich verabschieden, fangen wir in gewisser Weise wieder von vorne an. Wir müssen verhindern, dass wir hier einen Scherbenhaufen produzieren, den wir dann nur mühsam zusammenkehren können.

Welche Forderungen richten Sie noch ans Land?

Eine unserer Hauptforderungen ist die Erstattung der Mehrkosten für die Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes, das die Lebenssituation von Menschen mit Behinderungen verbessert. Da geht es allein in 2020 und 2021 um jeweils einen hohen zweistelligen Millionenbetrag. Wir haben schon jetzt hohe Sozialausgaben. Das können wir in wirtschaftlich guten Zeiten relativ klaglos stemmen. Aber in wirtschaftlich schlechteren Zeiten, wie sie am Horizont aufscheinen, gehen die Sozialausgaben steil nach oben und die Einnahmen zurück.

Städte-, Gemeindetag- und Landkreistag haben einen gemeinsamen Forderungskatalog aufgestellt. Um welche Gesamtsumme geht es?

Wir reden im Kern über rund 500 Millionen Euro pro Jahr, die Gemeinden, Städte und Kreise beim Land geltend machen. Wohlgemerkt: Für Aufgaben, die wir für das Land auf dessen Wunsch oder Weisung hin erfüllen. Dass der Besteller auch bezahlt, sollte eigentlich klar sein.

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Erstellt:
12.08.2019, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 29sec
zuletzt aktualisiert: 12.08.2019, 06:00 Uhr

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