Schule

Von wegen letzte Hürde

In zehn Jahren soll jeder Grundschüler bundesweit den Anspruch auf einen Ganztags-Betreuungsplatz haben. Doch in Baden-Württemberg ist noch vieles unklar.

04.12.2020

Von AXEL HABERMEHL

Über die Betreuung von Schülern  hier ein Lernzimmer in einer Ganztagsschule  wird viel gestritten. Foto: Felix Kästle/dpa

Über die Betreuung von Schülern hier ein Lernzimmer in einer Ganztagsschule wird viel gestritten. Foto: Felix Kästle/dpa

Stuttgart. Bis zum Jahr 2029 soll jeder Grundschüler in Deutschland einen einklagbaren Platz an einer Ganztagsschule oder Nachmittagsbetreuung haben. Das hat Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am Mittwoch nach einer Besprechung mit den Ministerpräsidenten der Bundesländer angekündigt. Man habe beim Thema „Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung“, das sich CDU und SPD im Koalitionsvertrag vorgenommen haben, „in den vergangenen Monaten beträchtliche Fortschritte erzielt“, befand Merkel.

So sei klar, in welchem Mechanismus ein solcher Rechtsanspruch umgesetzt werden würde: nämlich stufenweise von 2025 an. Bis 2029 solle der Anspruch dann jahrgangsweise „aufwachsend“ umgesetzt werden.

Jedoch sei man bei der Finanzierung noch nicht ganz einig, schränkte Merkel ein. Das solle nun eine Arbeitsgruppe klären. Sie sei aber „hoffnungsvoll, dass wir auch noch die letzte Hürde nehmen können“.

Auszahlungssperre an alle?

Die letzte Hürde? Blickt man auf die verfahrene Lage in Baden-Württemberg und die Auseinandersetzungen, die hier zu dem Thema laufen, ist das eine erstaunliche Metapher. Denn die Landesregierung ist drauf und dran, eine Bundesförderung für alle Länder zu blockieren.

3,5 Milliarden Euro sollen die Länder erhalten, um Schulen und Horte auszubauen sowie zusätzliches Personal anzuwerben. Doch das Geld kann nicht fließen. Grün-Schwarz sieht sich als einzige Landesregierung außerstande, die hiesigen Betreuungsangebote regulatorisch so zu formatieren, dass sie der Bund als förderfähig akzeptiert.

Daher weigert sich Stuttgart hartnäckig, eine zwischen Bund und Ländern ausgehandelte Verwaltungsvereinbarung zu unterschreiben – und sperrt die Auszahlung an alle. Die Front ist festgefahren.

Seit Monaten schreiben sich die zuständigen Fachministerinnen aus Bund und Land Briefe. Darin erläutert Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) die Spezialitäten hiesiger Betreuungsangebote, die vereinfacht gesagt darin bestehen, dass es hier kaum „echte“ Ganztagsschulen gibt, dafür aber viele kommunale Betreuungseinrichtungen, die keine Betriebserlaubnis nach dem Sozialgesetzbuch haben.

Die Bundesministerinnen für Familie, Franziska Giffey (SPD), und Bildung, Anja Karliczek (CDU), antworten dann immer höflich, aber in der Sache hart. So hart, dass sich nun Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) genötigt sah, einzuschreiten. Baden-Württemberg sei an der Aushandlung der Verwaltungsvereinbarung nicht beteiligt gewesen, schrieb er an Merkel und bat die „liebe Angela“, das Bundesfamilienministerin solle nochmal mit seinem Kultusministerium „Gespräche und Verhandlungen“ aufnehmen.

Ohne Erfolg. Merkel antwortete dem „lieben Winfried“, die Vereinbarung sei schon in Ordnung und sehe ja auch eine großzügige Frist für nötige Änderungen vor. Alle anderen Länder hätten unterschrieben. „Ich möchte Sie daher darum bitten, sich der im Länderkreis getroffenen Vereinbarung anzuschließen.“

Dass das Papier neu verhandelt wird, glaubt auch in Stuttgart kaum noch einer. Grün-Schwarz dürfte kaum darum herumkommen, in den sauren Apfel zu beißen, also die kommunalen Angebote unter Schulaufsicht zu stellen oder sie zu zwingen, förmliche Betriebserlaubnisse zu erwirken. Ein heißes Eisen, denn es geht um die Frage, wie stark der Bund über finanziellen Druck in Länder und deren Zuständigkeiten hineinregieren soll.

Kretschmann redete sich neulich schwer in Rage, als er zum Thema befragt wurde. „Es ist immer dasselbe. Jedes dieser Programme verursacht nur Stress“, polterte er. „Der Bund legt Programme auf, um irgendwas bei den Ländern zu finanzieren, für das er nicht zuständig ist.“ Dann mache Berlin Vorgaben und versuche, den Länder Dinge zu diktieren.

Doch das ist nicht alles. Das Thema legt auch grundsätzliche Unterschiede in der Familienpolitik offen. Vor allem für die Landes-CDU sind die kommunalen Angebote und deren „Flexibilität“ gegenüber Betreuungswünschen von Eltern heilig. Die Grünen dagegen plädieren, wie der Bund, für grundsätzlich mehr Betreuung, um Eltern die Vereinbarkeit von Familie und Job zu erleichtern und Kinder aus sozial schwachen Familien früher zu fördern. Das Thema könnte zum Wahlkampfschlager taugen – ob man sich nun einigt oder nicht.

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Erstellt:
04.12.2020, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 52sec
zuletzt aktualisiert: 04.12.2020, 06:00 Uhr

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