Wetter

Von wegen Wonnemonat

Der Mai in Deutschland war kalt und nass – doch am Polarkreis herrschten 30 Grad. Was hat das mit dem Klimawandel zu tun?

29.05.2021

Von Miriam Plappert

Trübe Aussichten? April und Mai waren wettertechnisch ziemlich mau  doch endlich ist Entspannung in Sicht. Foto: Jonas Güttler/dpa

Trübe Aussichten? April und Mai waren wettertechnisch ziemlich mau doch endlich ist Entspannung in Sicht. Foto: Jonas Güttler/dpa

Viel Regen und Kälte – so lässt sich das Wetter im Mai in Deutschland zusammenfassen. Am Polarkreis in Russland hingegen wunderten sich die Einheimischen über Temperaturen um die 30 Grad Celsius. Spielt das Wetter jetzt verrückt? Das miese Wetter in Deutschland hängt laut Andreas Friedrich vom Deutschen Wetterdienst (DWD) mit einem Tiefdruckgebiet, das sich seit Ostern hartnäckig über Skandinavien festgesetzt hat, zusammen: Kalte Luft strömt seit Wochen von Grönland und vom Nordpolarmeer nach Deutschland. Dass sowohl der April als auch der Mai zu kalt sind, ist selten, sagt er. Das letzte Mal sei das vor 30 Jahren der Fall gewesen. „Das ist schon eine außergewöhnliche Wetterlage, die wir jetzt erleben.“

Trendwende in Sicht

Friedrich hat aber auch eine gute Nachricht: „Jetzt sehen wir endlich in den Wettervorhersagen eine Trendwende, die schon am Wochenende einsetzen wird.“ Samstag und Sonntag soll es fast im ganzen Bundesgebiet trocken sein und in Süddeutschland Temperaturen um die 20 Grad Celsius geben. „Es wird dann jeden Tag ein bis zwei Grad wärmer. Ab Dienstag, Mittwoch erwarten wir Sonnenschein und Temperaturen um die 25 Grad.“

Dass der April und Mai so kalt waren, ruft manche Klimawandel-Skeptiker auf den Plan. „Da verstehen viele Leute den Unterschied nicht. Was wir jetzt erleben, ist Wetter, das täglich wechselt. Wenn wir über Klima sprechen, dann sprechen wir immer über mindestens 30-jährige Zeiträume, über die man das Wetter betrachtet und die Temperatur und Niederschläge mittelt“, sagt Friedrich. Hier sei der Trend eindeutig: Es wird immer wärmer. „Da widerspricht es keinesfalls, dass man mal eine Phase wie jetzt hat, wo es vorübergehend kälter ist.“ Auch müsse man das Wetter global betrachten. In Russland etwa ist es ungewöhnlich warm. „Die haben als kleine Kompensation zu unserem kalten Wetter seit vielen Wochen 10 Grad zu warmes Wetter mit fast 30 Grad am Polarkreis.“

Und wie wird der Sommer?

Rückschlüsse darauf, wie das Wetter im Sommer wird, lassen sich, anders als viele Bauernregeln behaupten, aus dem verregneten Frühlingswetter nicht ziehen, sagt Friedrich. Allerdings bietet der DWD eine Trendvorhersage für den Sommer an. Die Trendvorhersagen werden mit Modellen erstellt, die unter anderem die Ozean-Temperaturen einbeziehen. „Im Juni, Juli und August soll es gerade in Süddeutschland etwa 0,5 Grad bis 1,5 Grad wärmer werden als die letzten 30 Jahre.“ Einen besonders heißen Sommer bedeutet das aber nicht, sagt Friedrich. In den letzten fünf bis zehn Jahren hätten die Temperaturen meist zwei bis drei Grad über dem Durchschnitt gelegen. „Wenn die Vorhersage stimmt, hätten wir im Vergleich zu den letzten Jahren einen etwas kühleren und gemäßigteren Sommer.“

Ob ein kühler Sommer für die Grünen bei der Bundestagswahl weniger Stimmen bedeutet, ist reine Spekulation. Dass Wetterereignisse einen Einfluss darauf haben, wie Menschen den Klimawandel wahrnehmen, ist aber belegt. Professor Beate Ratter aus Hamburg untersucht seit zehn Jahren, wie die Menschen den Klimawandel in der Bundesrepublik in verschiedenen Altersgruppen und verschiedenen Regionen wahrnehmen.

Sturmflut, Waldbrand, Waldschäden

Sie konnte beobachten, dass das persönliche Wettererleben eine wichtige Rolle spielt. „Wenn wir zum Beispiel fragen, ob der Klimawandel schon da ist oder ob er erst kommt und wie schlimm er ist, sehen wir einen gewissen Einfluss des Wettergeschehens des letzten Halbjahrs.“ Auch verstehen die Menschen je nach Region etwas anderes unter dem Klimawandel, sagt die Hamburger Expertin. „Für die Menschen im Norden heißt Klimawandel Zunahme von Sturmfluten, für die um Brandenburg ist Klimawandel Trockenheit und Waldbrandgefahr. Für die Leute im Ruhrgebiet und Baden-Württemberg wird Klimawandel mit Stürmen und Waldschäden gleichgesetzt“, sagt Ratter.

Ob nun aber das Wettergefühl des Einzelnen, oder die mediale Berichterstattung über Extremwetterereignisse und Klimaaktivisten einen Einfluss auf das Wahlverhalten der Menschen habe, sei schwer auseinander zu dividieren, sagt Ratter. Bei der Europawahl vor zwei Jahren habe sich die Climate-for-Future-Debatte jedenfalls eindeutig in den Wahlergebnissen niedergeschlagen.

Daran zeigt sich bei uns der Klimawandel

Statistisch sehe man, dass die Temperaturen in Deutschland über die Jahre hinweg ein Grad wärmer geworden sind, sagt Andreas Friedrich vom DWD. „Aber das ist für viele jetzt keine fassbare Zahl.“ Man könne es plausibler an der Entwicklung der Pflanzenwelt festmachen. So definiert die Blütezeit bestimmter Pflanzen die Jahreszeiten: Die Schneeglöckchenblüte leitet den Vorfrühling ein, die Apfelblüte den Vollfrühling. „Man kann feststellen, dass der Winter gegenüber vor 30 Jahren schon 10 bis 12 Tage kürzer geworden ist. Das heißt, die Pflanzen fangen jetzt schon knapp zwei Wochen früher an zu blühen.“ Die anderen Jahreszeiten verschieben sich auf Kosten des Winters 10 bis 14 Tage nach vorn.

Zum Artikel

Erstellt:
29.05.2021, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 23sec
zuletzt aktualisiert: 29.05.2021, 06:00 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen

Sie möchten diesen Inhalt nutzen? Bitte beachten Sie unsere Hinweise zur Lizenzierung.

Push aufs Handy

Die wichtigsten Nachrichten direkt aufs Smartphone: Installieren Sie die Tagblatt-App für iOS oder für Android und erhalten Sie Push-Meldungen über die wichtigsten Ereignisse und interessantesten Themen aus der Region Tübingen.

Newsletter


In Ihrem Benutzerprofil können Sie Ihre abonnierten Newsletter verwalten. Dazu müssen Sie jedoch registriert und angemeldet sein. Für alle Tagblatt-Newsletter können Sie sich aber bei tagblatt.de/newsletter auch ohne Registrierung anmelden.
Das Tagblatt in den Sozialen Netzen
    
Faceboook      Instagram      Twitter      Facebook Sport
Newsletter los geht's
Nachtleben, Studium und Ausbildung, Mental Health: Was für dich dabei? Willst du über News und Interessantes für junge Menschen aus der Region auf dem Laufenden bleiben? Dann bestelle unseren Newsletter los geht's!