Grüne

Volle Konzentration auf Kinder

Parteivorsitzende Annalena Baerbock plädiert für einen Bildungsrettungsfonds und gestufte Schulöffnungen. Zu viele Lockerungen auf einen Streich hält sie aber für gefährlich.

02.03.2021

Von ELISABETH ZOLL

Annalena Baerbock kennt die Belastungen im Homeoffice. Foto: Janine Schmitz/photothek

Annalena Baerbock kennt die Belastungen im Homeoffice. Foto: Janine Schmitz/photothek

Ulm/Berlin. Es ist die Perspektive einer jüngeren Frau und einer Mutter: Im Laufe der Corona-Pandemie seien Kinder und Jugendliche immer stärker unter die Räder gekommen. Das sagt Annalena Baerbock, Vorsitzende der Bundes-Grünen und Mutter zweier Kinder im Kita- und Grundschulalter. Sie ist aus dem Arbeitszimmer ihrer Mietwohnung in Potsdam zu einem digitalen Besuch dieser Zeitung zugeschaltet. Dass dabei auch einmal eine Kinderstimme aus dem Nachbarzimmer dringt, tut dem Gespräch keinen Abbruch. Die 40-jährige Brandenburgerin ist sattelfest in allen Themen der aktuellen Politik. Doch was gerade mit der jungen Generation geschieht, treibt sie richtig um.

„Wir können es uns nicht leisten, dass Kinder und Jugendliche in der Pandemie durch das Raster fallen.“ Beim Homeschooling wurden ganze Schülergruppen abgehängt. Insgesamt sei den Kindern und Jugendlichen ein großer Verzicht zum Schutz der Älteren auferlegt worden. Darauf will Baerbock jetzt den Blick lenken. „Bis Weihnachten 2020 haben junge Menschen in der Corona-Politik der Bundesregierung kaum eine Rolle gespielt. Das war ein schweres Versäumnis.“ Jetzt müsse vieles nachgeholt werden.

Kritik an Söders Vorpreschen

Baerbock befürwortet einen kontrollierten, gestuften Weg aus dem Lockdown. Absoluten Vorrang müssten Schulen und Kitas haben. Dazu brauche es solide Rahmenbedingungen. Ausreichende Schnelltests zählt sie dazu und einen gut ausgestatteten Bildungsrettungsfonds. Er soll Schulen ermöglichen, in Luftfilter, Personal sowie in Schnelltests zu investieren, wo diese nicht, wie in Baden-Württemberg, vom Land finanziert werden. Baerbock verbringt mit ihrem Ehemann immer wieder Tage im Homeoffice. Sie hat selbst erfahren, wie nervenaufreibend die vergangenen Monate für viele Familien waren. Nicht jede Familie verfüge über einen Garten, in dem die Kinder springen und schaukeln können.

Wenig Verständnis zeigt sie für den neu entfachten Wettbewerb bei den Ausstiegsstrategien aus dem Lockdown. Sie kritisiert, dass Bayerns Ministerpräsident Markus Söder mit der Öffnung von Baumärkten vorprescht, zumal er seit Pandemie-Beginn den harten Bremser gegeben habe. Baerbock erwartet, dass bei Alleingängen der Bundesländer Klagewellen auf die Politik zukommen. Sie befürchtet ferner, dass bei zu vielen gleichzeitigen Lockerungen kein Nachweis mehr erbracht werden kann, wo Ansteckungen erfolgen. „Dann hätten wir nichts aus der ersten Welle gelernt“. Das sei angesichts der Mutanten des Virus gefährlich.

Doch mit dem Lernen tue sich die Politik schwer. Man spüre jetzt, dass die CDU „in 16 Jahren Regierungsverantwortung auf Sicht“ gefahren sei. Das räche sich nun. Bei der Digitalisierung der Verwaltung sind in den Augen der Grünen-Politikerin die Versäumnisse besonders groß. Da müsse eine Entwicklung komplett nachgeholt werden. „Wir brauchen Glasfaseranschlüsse. Und zwar in jeder Ecke unseres Landes.“ Sie selbst ist auf dem Weg von Potsdam nach Berlin regelmäßig mit zwei Funklöchern konfrontiert. Videokonferenzen vom Auto aus machten da keinen Sinn. Andere Staaten Europas, sogar manche Länder Afrikas, seien bei der Mobilfunkausstattung weiter als Deutschland. Das schwäche den Wirtschaftsstandort. Baerbock rechnet mit einem Investitionsrückstau in Höhe von 150 Milliarden Euro.

Stellt sich die Frage nach der Finanzierung. Die Schuldenbremse müsse durch eine Investitionsregel ergänzt werden. Sich aus einer Krise herauszusparen, sei der falsche Weg. Das habe Griechenland gezeigt. Einzelne Politiker der Union, wie Kanzleramtschef Helge Braun, hätten das verstanden. Doch das Thema Schuldenbremse bliebe ein heißer Konfliktpunkt innerhalb einer schwarz-grünen Koalition.

Fehlt noch ein Blick auf Baden-Württemberg, wo Ministerpräsident Winfried Kretschmann die Grünen in knapp zwei Wochen zum dritten Mal in die Landtagswahl führen wird. Landesweit wirbt die grüne Partei großflächig mit dem Porträt des Ministerpräsidenten. Text: „Sie kennen mich“. Weitere Inhalte fehlen. Baerbock sieht darin kein Zeichen für eine inhaltliche Schwäche. Im Gegenteil: „Wir stehen auf einem klaren Wertefundament, das zeichnet uns aus.“ Winfried Kretschmann vertrete grüne Politik mit seiner Person und mit seinem Wertefundament. Das unterscheide ihn von vielen anderen Politikern. Die Grünen haben vor 15 Jahren noch strittig diskutiert, ob sie Personen so in den Vordergrund stellen sollen. Wo sie dies unterließen, blieb die Partei bei den Wählern relativ erfolglos. „Winfried Kretschmann hat uns gezeigt, was möglich ist, wenn grüne Inhalte mit einer so starken, authentischen und glaubwürdigen Persönlichkeit verknüpft werden kann.“

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Erstellt:
02.03.2021, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 06sec
zuletzt aktualisiert: 02.03.2021, 06:00 Uhr

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