Bahnstreik
Kommentar: Völlig unverständlich
Beim Boxen ist die langweiligste Phase des Kampfes, wenn die Athleten ineinander verkeilt im Ring hin und her torkeln. Erst wenn sich ein Boxer aus dem Griff befreit, wacht das Publikum wieder auf. Dieser Moment ist für die Deutsche Bahn und die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) jetzt gekommen.
Berlin. Monatelang hatten sich die Parteien ineinander verkeilt und gegenseitig die Schuld für den Tarifkonflikt zugeschoben. Nun holen die Lokführer zum Schlag aus. Die Gewerkschaft will den Bahnverkehr lahmlegen. Der Punch kommt zur Unzeit – und ist völlig unverständlich.
Die Lokführer und Zugbegleiter haben schon häufig ihr Recht zum Arbeitskampf wahrgenommen. Oft haben sie dafür sogar die Unterstützung der Bahnfahrer gehabt. Der Kampf David gegen Goliath hatte durchaus Charme. Hier die kleine Gewerkschaft, dort der Riesen-Konzern, hier die Arbeiter, die den Frust der Bahnfahrer abgekommen, dort die Top-Manager im gläsernen Bahntower in Berlin-Mitte. Doch seit dem letzten Streik vor sechs Jahren ist einiges passiert. Der Konzern hat sich gewandelt, der Kampf ist ein anderer – und Corona gibt es ja auch noch.
Klar läuft nicht alles rosig. Lange hat die Managementebene geschlafen. Erst seit drei Jahren setzt der Konzern auf Digitalisierung. Nachdem Länder wie die Schweiz längst einen zuverlässigen Takt haben, beginnt die Bahn erst jetzt mit dem Ausbau. Nachdem das Nachtzuggeschäft erst abgestoßen wurde, baut es die Bahn nun mühsam auf. Aber: Immerhin wird jetzt investiert. Und das, obwohl der Konzern die finanziellen Corona-Verluste abfedern und eigentlich sparen muss. Und das, obwohl der Wiederaufbau von Bahnhöfen und Brücken in den Hochwassergebieten ein Loch ins Budget fressen wird. Die Bahn bewegt sich, wenn auch im Schneckentempo.
All das weiß GDL-Chef Claus Weselsky. Hatte er zu Beginn der Verhandlungen noch einen monströsen Forderungskatalog vorgelegt, ist er nun von den meisten Ansprüchen abgewichen. Am Ende trennen die Parteien wenige Monate Tariflaufzeit. Die GDL will die Lohnerhöhung schneller, als es das Angebot der Bahn vorsieht. Wenn es nur das wäre, wäre das Problem schnell gelöst. Doch es geht um mehr. Weselsky hat Angst davor, Einfluss zu verlieren. Er befindet sich in einem Machtkampf mit der Konkurrenz-Gewerkschaft EVG. Beide Gewerkschaften wollen für das Schienenpersonal verhandeln. Doch das Tarifeinheitsgesetz sieht vor, dass nur die größere Gewerkschaft für die Arbeitnehmer verhandelt – das ist häufig die EVG.
Mit den Streiks will Weselsky die Muskeln spielen lassen und mehr Einfluss gewinnen. Doch steht er auf verlorenem Posten. Die Bahn will nicht nachgeben – und zur Not klagen. Am Ende wird Weselsky mit seinen Streiks nur bewirken, dass sich mehr Menschen in die Bahnen quetschen müssen und Züge damit zu Pandemie-Treibern werden. Oder er wird Bahnkunden vergraulen. Weselsky hat zwar zum Schlag ausgeholt, dieser richtet sich aber gegen unbeteiligte Dritte, die Bahnkunden. Das kann nicht in seinem Sinne sein.