Superwahljahr 2021

Interview mit Bundeswahlleiter: „Viel Arbeit, aber kein Stress“

Bundeswahlleiter Georg Thiel hält lange Schlangen und Manipulationen durch Maskenträger in Deutschland für ausgeschlossen.

02.01.2021

Von ELLEN HASENKAMP

Bundeswahlleiter Georg Thiel. Foto: Der Bundeswahlleiter/Destatis

Bundeswahlleiter Georg Thiel. Foto: Der Bundeswahlleiter/Destatis

Berlin. Das Jahr 2021 wird ein Superwahljahr in Bund und Ländern. Georg Thiel, Bundeswahlleiter und Präsident des Statistischen Bundesamtes, sieht das Land trotz Corona gut gerüstet.

Wie stressig werden die nächsten Monate für Sie?

Georg Thiel: Wir sind mitten in den Vorbereitungen für die Bundestagswahl am 26. September. Die laufen natürlich diesmal Corona-bedingt anders, zum Beispiel müssen wir die Hygiene-Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts einarbeiten. Zugleich haben wir ein bewährtes System und ein sehr erfahrenes und gutes Team. Viel Arbeit also, aber kein Stress.

Es wird Ihre erste Bundestagswahl als Hauptverantwortlicher. Nervös?

Man ist immer ein bisschen aufgeregt vor einer solch großen Aufgabe. Aber wir haben als Team auch schon bei der Europawahl 2019 gut zusammengearbeitet und das beruhigt.

Es gibt 111 Parteien in Deutschland. Wann wissen wir, wie viele und welche an der Bundestagswahl teilnehmen?

Jede Partei, die die Voraussetzungen erfüllt und vom Bundeswahlausschuss am 5. August 2021 zugelassen wird, kann teilnehmen. Bei der letzten Bundestagswahl waren es 63 Parteien, die einen Antrag auf Zulassung gestellt haben und 48 Parteien, die zur Wahl zugelassen wurden.

Neben Wählern und Kandidaten braucht es für eine Wahl auch Wahlhelfer. Haben Sie genug?

Wir benötigen jedesmal zwischen 600 000 bis 700 000 Wahlhelferinnen und Wahlhelfer. Es wird schwieriger, Menschen für diese Aufgabe zu finden. Man muss sich vorbereiten, es ist ein langer, anstrengender Tag. Und dann kommt die Herausforderung mit Corona hinzu. Aber bisher haben wir es immer geschafft. Wer dabei sein will, kann sich jederzeit beim Wahlamt seiner Gemeinde melden.

Wie müssen Wahllokale in Corona-Zeiten aussehen?

Dort müssen insbesondere natürlich Möglichkeiten für Abstand und Lüften gewährleistet sein. Zu kleine Wahllokale werden getauscht gegen größere Räumlichkeiten. Und dann gibt es noch Fragen wie die, ob die Wähler besser ihren eigenen Stift mitbringen.

Könnten Masken im Wahllokal ein Problem werden?

Da kann man sich sehr schöne juristische Probleme vorstellen. Zum Beispiel, wenn jemand wegen seiner Maske nicht identifiziert werden kann. Denkbar ist aber auch, dass jemand nur ohne Maske wählen will. All diese Dinge werden zwischen Landeswahlleitungen und Bundeswahlleitung ausführlich besprochen, so dass in allen Wahllokalen einheitlich gehandelt werden kann.

Wir haben in den USA lange Schlangen vor den Wahllokalen gesehen. Kann das hierzulande auch passieren?

Nein, wir haben ja seit vielen Jahren Erfahrungen mit den Wahlbezirken, die Kolleginnen und Kollegen wissen, wie viele Menschen voraussichtlich kommen könnten. Es kann aber, auch wegen Corona, Momente geben, wo man ein bisschen anstehen muss – dann aber natürlich mit Abstand.

Rechnen Sie mit erhöhtem Briefwahlaufkommen?

Ja. Seit Jahren sehen wir eine moderate Steigerung der Briefwahl. Das dürfte wegen Corona noch mehr werden.

Droht dann Zeitverzug bei der Auszählung?

Wir haben immer spätestens in den frühen Morgenstunden ein vorläufiges amtliches Endergebnis gehabt. Das soll auch in diesem September so sein.

Aber auch die Briefwahlumschläge werden erst nach 18 Uhr geöffnet.

Selbstverständlich. Die Auszählung ist arbeitsintensiver, weil Umschläge zu öffnen und Abgleiche zu machen sind. Aber die Verzögerungen, die es bei Auszählungen schon mal gab, hatten nichts mit der Briefwahl zu tun, sondern mit gleichzeitig stattfindenden anderen Wahlen. In Deutschland gilt außerdem: Was um 18 Uhr am Wahltag nicht da ist, wird bei der Auszählung nicht berücksichtigt. Das ist in den USA teilweise anders.

Es gab in den vergangenen Jahren Kritik an der Briefwahl. Teilen Sie die?

Eine große Wahlbeteiligung ist gut und erstrebenswert. Dies sichert eine breite Legitimation der Gewählten. Leitbild ist die Urnenwahl, das Bundesverfassungsgericht hat sich bereits einige Male mit der Briefwahl beschäftigt, diese dabei noch nie beanstandet. Aber man muss wissen: Wenn Sie 14 Tage vor der Wahl ihre Briefwahl abschicken und dann geschieht noch etwas, können Sie Ihre Stimme nicht zurückholen.

Die CDU hat gesagt, ihre bevorstehende Partei-Briefwahl sei tausend Mal sicherer als die Bundestagswahl-Briefwahl. Wie finden Sie das?

Es steht mir nicht zu, dies zu bewerten. Ich kann nur sagen: Die Briefwahl bei der Bundestagswahl ist sicher und alle Wahlleitungen tun alles, um diese Sicherheit weiterhin auch jederzeit zu gewährleisten. Ich sehe derzeit keinen Optimierungsbedarf.

Wann kriegen wir die erste digitale Bundestagswahl?

Man sagt mir häufig: Wir leben im digitalen Zeitalter und Ihr kommt mit Euren Stiften, Umschlägen und Wahlzetteln. Mir werden auch sehr viele digitale Produkte angeboten. Aber bislang war noch keines dabei, das die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts erfüllt: Geheim zu sein und eine Kontrolle durch die Allgemeinheit zu ermöglichen. Zudem gilt: Ein bewährtes und funktionierendes System sollte man nicht ohne Not umschmeißen.

Die Deutschen haben über die vergangenen Woche wüste Geschichten über die Wahlen in den USA gehört. Das stärkt auch in anderen Ländern nicht unbedingt das Vertrauen in demokratische Prozesse. Deshalb: Sind die Wahlen manipulierbar?

Die Wahlleitungen und alle beteiligten Behörden für die Sicherung der Wahlen tun alles, um dies zu gewährleisten. Es wird kein Ergebnis in das System gegeben, das nicht durch mehrere Plausibilitätsschleifen gelaufen ist. Wir fahren dabei aus Sicherheitsgründen nicht nur auf einem, sondern auf mehreren voneinander unabhängigen IT-Systemen. Und schließlich: Das amtliche Endergebnis beruht immer auf den schriftlichen Protokollen der Wahlausschüsse. Es ist daher nicht von der Sicherheit von Netz- und Informationssystemen abhängig und darum insofern nicht manipulationsanfällig.

Sie haben ja schon sehr viele Erfahrungen mit Wahlen und ihrer Organisation gesammelt. Was ist das Verrückteste, was jemals bei einer Wahl passiert ist?

Das ist schon eine Weile her, aber es gab mal einen Wahlvorstand, der hatte in der Nacht keine Lust mehr auszuzählen und ist nach Hause schlafen gegangen. Den mussten wir dann wieder aus dem Bett klingeln und abholen lassen, um das vorläufige amtliche Wahlergebnis noch in der Nacht berechnen und bekanntgeben zu können.

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Erstellt:
02.01.2021, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 55sec
zuletzt aktualisiert: 02.01.2021, 06:00 Uhr

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