SPD

Ute Vogt räumt das Feld

Sie galt als Nachwuchshoffnung, scheiterte im Südwesten aber an ihrer eigenen Partei. Nun steigt die langjährige Bundestagsabgeordnete aus der Politik aus.

24.07.2021

Von Theo Westermann

Den großen Auftritt hatte Ute Vogt schon lange nicht mehr. Dennoch setzte sie im Bundestag bis zuletzt Akzente in der Innenpolitik. Foto: Christophe Gateau/dpa

Den großen Auftritt hatte Ute Vogt schon lange nicht mehr. Dennoch setzte sie im Bundestag bis zuletzt Akzente in der Innenpolitik. Foto: Christophe Gateau/dpa

Es sieht nach Auszug aus. Umzugskisten stehen in Ute Vogts Wahlkreisbüro in Stuttgart unter dem Tisch. „Das Ganze ist schon ein bisschen in Auflösung“ erklärt sie dem Besucher. Hinter ihr hängt ein Bilderrahmen mit einem unscheinbaren Notizzettel hinter Glas. In krakeliger Handschrift steht zu lesen: „Trotz allem Weiterarbeiten und nicht verzweifeln.“ Es ist eine Notiz aus dem Jahr 1981 von Herbert Wehner, dem legendären SPD-Zuchtmeister. Erhalten hat sie die in der SPD-Bundestagsfraktion kursierende Notiz als moralische Rückendeckung in schwierigen Zeiten von Hans-Jochen Vogel.

Nun räumt Ute Vogt, einst die große Nachwuchshoffnung der SPD in Bund und Land, endgültig das Feld. Zu den Bundestagwahlen im September tritt sie nicht mehr an. Vor einem Jahr hat die 56-Jährige die Stuttgarter SPD informiert, dass sie 2021 nicht erneut kandidiert. „Selbstbestimmt und nicht gedrängt“, so betont sie.

„Ich bin mit mir im Reinen – und guter Dinge“ sagt sie mit Blick auf die vergangenen 30 Jahren. Die waren eine politische Achterbahn mit Höhen, aber auch mit persönlich belastenden Tiefen.

Misserfolge als Ballast

„Die vergangenen drei Wahlperioden im Bundestag waren schon stark anders als die Jahre davor,“ sagt sie und meint den Rückzug aus der ersten Reihe der Sozialdemokratie – und damit aus der Öffentlichkeit. Fachlich hat sie die vergangenen Jahre im Bundestag Akzente in der Innenpolitik gesetzt. Doch das Scheitern in Baden-Württemberg, erst am politischen Gegner bei der Landtagswahl 2006, dann an der eigenen Partei, sowohl der SPD-Landtagsfraktion wie an der Spitze der Landes-SPD, wogen schwer. Den Verlust des Stellvertreterposten 2017 in der SPD-Bundestagsfraktion, damals einfach per Telefon mitgeteilt, machte sie endgültig zur Hinterbänklerin.

Dabei hatte alles so gut angefangen für die junge Rechtsanwältin aus Heidelberg: zuerst Juso-Landeschefin, 1994 der Einzug in den Bundestag, 1998 sensationell der Gewinn des Direktmandats für den Wahlkreis Pforzheim-Enzkreis, damals eine CDU-Hochburg. Es folgt 1999 die Wahl zur Landesvorsitzenden, 2003 zur Vize-Bundesvorsitzenden. 2001 tritt sie als SPD-Spitzenkandidatin gegen Erwin Teufel an, holt 33,3 Prozent – ein Zuwachs von acht Prozent. Ein Mandat im Landtag erringt sie aber nicht. Es folgt die Berufung als Staatssekretärin im Bundesinnenministerium unter Otto Schily.

2006 tritt Vogt zum zweiten Mal bei der Landtagswahl an, dieses Mal aber nicht gegen den „alten“ Ministerpräsidenten Teufel, sondern gegen seinen dynamisch daher kommenden Nachfolger Günther Oettinger. Vogts Kampagne kommt nicht in Schwung, die SPD stürzt auf 25,2 Prozent ab. Ein Wert, mit dem sie heute der Star der Partei wäre, damals aber eine Enttäuschung.

Es folgen weitere Fehler, wie sie einräumt. Sie übernimmt den Fraktionsvorsitz, auch körperlich erschöpft („Vielleicht hätte ich einfach mal in Urlaub gehen sollen“) nach dem Wahlkampf. Ihr Vorgänger Wolfgang Drexler muss zähneknirschend weichen. Die Insignien der Macht, wie Büro oder Fahrer, kann er zunächst aber behalten. Wichtige Posten in Aufsichtsräten und Gremien übernimmt sie nicht selbst.

„Ich war da viel zu gutmütig, ich hätte gleich von Anfang sagen müssen, jetzt bin ich da“, sagt Vogt. Auch den Fraktionsvorstand lässt sie weitgehend unverändert. „Es waren typische Frauenfehler, ich wollte alle einbinden.“

In der SPD-Landtagsfraktion, männlich dominiert mit jahrzehntelang amtierenden Platzhirschen, wird Vogt als Politimport aus Berlin misstrauisch beäugt. Streits mit dem politischen Gegner habe sie gut wegstecken können, doch die mit den eigenen Leuten „sind härter“, sagt sie.

Es fällt auf, dass die erfahrene Bundespolitikerin mit der Bühne des Landtags fremdelt. Erhard Eppler habe sie damals gewarnt, den politischen Weg vom Bund zurück ins Land zu gehen. „Die Leute, die einen vorher gefeiert haben, stecken einem nun das Messer in den Rücken“, erinnert sie sich. Knapp zwei Jahre später gibt Vogt entnervt auf, räumt 2009 auch den Landesvorsitz.

Was von Oktober an kommt, sieht Vogt als Zugewinn an Freiheit. Sie will wieder als Rechtsanwältin arbeiten – und sich ehrenamtlich engagieren. Sie freut sich auf Urlaub an der Ostsee, mehr Zeit mit ihrem Ehemann.

Auf die Sozialdemokratie, der sie weniger Selbstbeschäftigung und mehr Stolz auf die eigenen politischen Leistungen empfiehlt, blickt sie ohne Groll. Das gilt auch fürs Persönliche in der Politik: „Die Zahl der Freundschaften aus dieser Zeit ist größer als die Zahl der Feindschaften.“ Und fügt hinzu: „Ich gräme mich nicht.“

„Führungsreserve erster Klasse“: Ute Vogt als Spitzenkandidatin für die Landtagswahl 2001 mit Bundeskanzler Gerhard Schröder.  Foto: Bernd Weißbrod/dpa

„Führungsreserve erster Klasse“: Ute Vogt als Spitzenkandidatin für die Landtagswahl 2001 mit Bundeskanzler Gerhard Schröder. Foto: Bernd Weißbrod/dpa

Künftig an der DLRG-Spitze?

23 Jahre hat Ute Vogt im Bundestag verbracht, von 1994 bis 2005 und von 2009 bis 2021. Von 2006 bis 2009 saß sie im baden-württembergischen Landtag.

Seit 2005 ist Ute Vogt Vizepräsidentin der Deutschen Lebens-Ret­tungs-Gesellschaft (DLRG), die 1,7 Millionen Mitglieder und Förderer zählt. Im Herbst kandidiert sie für das Amt der Bundesvorsitzenden der Organisation.

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Erstellt:
24.07.2021, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 22sec
zuletzt aktualisiert: 24.07.2021, 06:00 Uhr

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