Femizid

Lebenslange Haft wegen Mordes an Ex-Freundin in Tübingen

Wegen Mordes an seiner Expartnerin in einer Tübinger Flüchtlingsunterkunft muss ein 45-jähriger Ukrainer mindestens 15 Jahre ins Gefängnis.

09.04.2024

Von Dorothee Hermann

Das Schild des Landgerichts Tübingen steht vor dem Gerichtsgebäude. Foto: Bernd Weißbrod/dpa

Das Schild des Landgerichts Tübingen steht vor dem Gerichtsgebäude. Foto: Bernd Weißbrod/dpa

Weil er seine Expartnerin aus niedrigen Beweggründen getötet hat, verurteilte das Schwurgericht Tübingen einen 45-jährigen Ukrainer am Dienstag wegen Mordes zu einer lebenslangen Haftstrafe. Der Mann muss mindestens 15 Jahre im Gefängnis bleiben, bevor eine Freilassung geprüft werden kann. Ob der Mann die Gerichtsentscheidung anficht, war am Dienstag noch offen. Am frühen Nachmittag des 24. September 2023 hatte er die Frau mit fünf Messerstichen in Brust, Oberbauch und Hals getötet, wobei er unter anderem ihre Halsschlagader vollständig durchtrennte. Aufgrund des starken Blutverlusts starb sie binnen weniger Minuten.

Nach der russischen Invasion in die Ukraine war die Frau gemeinsam mit ihrer minderjährigen Tochter nach Polen geflohen, wo sie den Angeklagten kennenlernte und sich eine Beziehung zwischen den beiden entwickelte. Alle drei flohen weiter nach Deutschland und zogen in die Flüchtlingsunterkunft in der Tübinger Bismarckstraße. Dort habe sich der Mann schon bald eifersüchtig und gewalttätig verhalten, sagte der Vorsitzende Richter Armin Ernst.

Spätestens seit Frühjahr 2023 sei es zwischen beiden zu lautstarken Auseinandersetzungen und auch zu gewalttätigen Übergriffen durch den Angeklagten gekommen. Zeugen hatten bei der Frau blutende Verletzungen und Blutergüsse gesehen. Aufgrund der Übergriffe habe die Frau eine unterschwellige Angst vor dem Mann entwickelt und sich davor gescheut, sich von ihm zu trennen, so der Richter.

Todesdrohungen verschickt

Bei einem lautstarken Streit in der Unterkunft am 5. August 2023 habe der Angeklagte derart auf die Frau eingeschlagen, dass sie zu Boden ging. Die herbeigerufene Polizei nahm ihn mit und brachte ihn in die Tübinger Uniklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, wo er drei Tage blieb. Danach trennte sich die Frau doch vom Angeklagten, zog aus dem bisher von beiden gemeinsam bewohnten Zimmer aus und wechselte in das Zimmer ihrer Mutter, die zwischenzeitlich ebenfalls aus der Ukraine nach Tübingen geflohen war. Auch im Deutsch-Unterricht distanzierte sich die Frau räumlich von ihrem Expartner, worauf dessen Eifersucht sich weiter steigerte, so der Richter. Gleichzeitig habe der Angeklagte versucht, die Frau wieder für sich zu gewinnen. Er habe ihr versprochen, sich zu ändern.

Doch als sich die Frau auf einer Dating-Plattform anmeldete, habe sie der Angeklagte mit Textnachrichten bedroht und einem Bekannten mitgeteilt, sie werde „ohnehin verenden wie ein Tier“. In einer Chatnachricht fünf Tage vor der Tat schrieb der Mann, sie habe in Deutschland Flügel bekommen, aber er werde sie ihr abschneiden.

Als die Frau über die Datingplattform einen anderen Mann kennenlernte, steigerte sich die Eifersucht des Angeklagten weiter, so der Richter. Am Tattag belauschte er ein Telefongespräch zwischen den beiden und hatte den Eindruck, es bahne sich eine ernste Beziehung an, und für ihn sei es aussichtslos. Er habe den Entschluss gefasst, sie zu töten, um zu verhindern, dass sie mit einem anderen Mann glücklich sei, so der Richter.

Aus seinem Zimmer holte der Mann ein Jagdmesser mit einer 12,5 Zentimeter langen Klinge samt eingeschliffenem Aufbrechhaken und ging zu der Frau, die in ihrem Zimmer auf dem Sofa saß. Angeblich, um sie dazu zu bewegen, zu ihm zurückzukehren.

Bereits Staatsanwalt Lukas Bleier hatte eine lebenslängliche Haftstrafe wegen Mordes gefordert. Hingegen hatte sich Verteidiger Benjamin Chiumento für eine Verurteilung wegen Totschlags ausgesprochen. Sein Mandant habe in einem affektiven Durchbruch gehandelt.

Für das Gericht spricht der mehrstufige Tatablauf gegen eine Affekthandlung. Der Mann habe einen Tötungsvorsatz gehegt, als er mit dem Jagdmesser in das Zimmer der Frau gekommen sei, sagte der Richter. Es sei auch nicht so gewesen, dass sie ihn verspottet habe, worauf bei ihm die Sicherungen durchgebrannt seien. Sogar nach dem Übergriff am 5. August habe sie ihn nicht in Polizeigewahrsam sehen wollen, sondern „dass ihm in der Klinik geholfen werde“. Auch habe der Mann unmittelbar nach der Tat nicht davon gesprochen, dass sie ihn herabgesetzt habe. Vielmehr habe er erwähnt, sie sei „wie eine Königin“ dagesessen.

Keine Wahnvorstellungen

Laut dem psychiatrischen Gutachter Prof. Henner Giedke hat der Mann eine kombinierte Persönlichkeitsstörung, aber keine Psychose. Er hatte keine Wahnvorstellungen und hörte keine Stimmen, die ihn zur Tat aufgefordert hätten, zitierte der Richter. Möglicherweise zeige er seit langem dissoziale Auffälligkeiten. Doch über sein Vorleben sei nichts bekannt. Die Einsichtsfähigkeit des Mannes sei nicht beeinträchtigt gewesen: „Er wusste genau, dass er die Frau nicht töten darf. „Er hat sich selbst der Polizei gestellt.“

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Erstellt:
09.04.2024, 01:47 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 15sec
zuletzt aktualisiert: 09.04.2024, 01:47 Uhr

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