Übrigens …

Unterwegs auf sechsspurigen Highways

TAGBLATT-Mitarbeiter Werner Bauknecht erlebte in seinem Sommerurlaub eine All-inclusive-Umwelthölle.

16.08.2019

Von bkn

Es gibt kein richtiges Leben im falschen“, schrieb einst Theodor W. Adorno – und dabei war er noch nicht mal in einem All-inclusive-Urlaub in Sharm-el Sheikh. Wir haben uns als Familie ganz naiv in dieses falsche Leben begeben. Den Begriff der Sisyphosarbeit aber haben wir seitdem verinnerlicht. Da kommt man als gebürtiger Tübinger, für den jedes selbst verursachte überflüssige CO2-Partikelchen bereits ein Grund tiefgehender Depression ist, und erlebt auf der ägyptischen Sinai-Halbinsel eine Hölle an Energie- und Lebensmittelvernichtung. Da kann man über die Diskussion einer Testsperrung der Tübinger Mühlstraße für zwei Monate nur lachen. Auf dem Sinai gibt es im südlichen Teil prachtvolle, sechsspurige, nagelneue Highways. Mitten durch die Wüste, kaum Verkehr, überall Polizeiwachposten, aber alles schon vorbereitet, falls eines Tages mal Ballermann-Verhältnisse auf dem Sinai herrschen. Daran wird gearbeitet.

Unsere Anlage mitten in der Wüste hatte alleine sechs Pools, gefüllt mit köstlich-kühlendem Wasser. Braucht man auch, bei täglich 39 Grad im Schatten. Wegen eines läppischen Au-Brunnens würde hier kein Aufhebens gemacht. Pflanzen? Gemüse? Pustekuchen, das kühle Nass wird gebraucht für Pools, Zierpalmen, Gras für Liegestühle und Eiswürfel für coole Drinks. Dabei ist Ägypten laut Studien eines der wasserärmsten Länder der Erde.

Und während sich in der überhitzten Tübinger Altstadt oder auf Waldhäuser ein stromeffizienter Ventilator mit eingebautem schlechten Gewissen dreht, läuft in unserer ägyptischen Anlage und Dutzender weiterer Hotelklötze die Klimaanlage 24 Stunden am Tag. Alleine unser Domizil hatte knapp 400 Wohneinheiten.

Tragisch war das Essverhalten. Aus welchen Gründen auch immer war unser Resort in der Mehrzahl von Russen gebucht. Danach kamen Ägypter und ein paar wenige Europäer aus Deutschland oder Italien. Nordafrikaner und Russen verfolgten mit ihren Familien eine identische Nahrungsbeschaffungsstrategie: Der Mann schwärmt aus zu den verschiedenen Büffets, lädt Teller für Teller voll mit dem Angebot und liefert es dann bei den hungrigen Mäulern am Tisch ab. Wenn dann kein Platz mehr auf Tisch und Tellern ist, beginnt das Essen. Am Ende bleiben Massen an Lebensmitteln zurück – bereit für den Abfall. Während also im reichen Deutschland bewusste Food-Verwerter containern, schmeißen die Hotelanlagen Tonnen in den Orkus. Direkt vor dem Hotel, jenseits der Prachtstraße, beginnen die Armenviertel. Dort gibt es gar nichts zu essen, und geschlafen wird in Verschlägen.

Daran gemessen ist die Idee einer Steuererhöhung auf deutsches Fleisch fast schon zynisch. Die gesamte Klimadiskussion wirkt verglichen damit wie das Schwenken einer weißen Fahne aus dem Elfenbeinturm. Was in Deutschland mühsam der möglichen Verbesserung des Weltklimas abgerungen wird, wird andernorts tausendfach vernichtet. Plastikmüll? In Sharm-el Sheikh werden Getränke grundsätzlich aus Plastikflaschen eingeschenkt, nix mit Cola aus dem Hahn. Trotz dieses Paralleluniversums: Um den Erhalt der Erde zu ringen, ist ein richtiges Leben in ökologisch schwieriger Zeit.

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Erstellt:
16.08.2019, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 27sec
zuletzt aktualisiert: 16.08.2019, 01:00 Uhr

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