Superwahljahr

Union blickt in den Abgrund: Wie weiter ohne Merkel?

In den Wahllokalen war es Corona-bedingt vergleichsweise ruhig. Die Ergebnisse von Mainz und Stuttgart allerdings haben in der Bundespolitik gehörige Unruhe ausgelöst.

15.03.2021

Von eha, dot, igs,abo, dgu

Schlechter Tag für die CDU: Generalsekretär Paul Ziemiak hat gleich zwei Niederlagen zu erklären. Foto: Michael Kappeler/dpa

Schlechter Tag für die CDU: Generalsekretär Paul Ziemiak hat gleich zwei Niederlagen zu erklären. Foto: Michael Kappeler/dpa

Berlin. Die CDU hatte es kommen sehen – und zwar schon vor dem Ärger rund um Masken und Aserbaidschan. Dass der Auftakt zum Superwahljahr 2021 kein glänzender werden würde, schwante den Christdemokraten seit Wochen. Dennoch hatten sie gehofft, auf Christian Baldauf in Rheinland-Pfalz vor allem und ein bisschen auch, dass es in Baden-Württemberg doch nicht ganz so schlimm werden würde.

Doch es kam sogar noch schlimmer: Zwei Mal Stimmen verloren, zwei Mal schlechtestes Landesergebnis. „Kein guter Wahlabend für die CDU“, stellte Generalsekretär Paul Ziemiak nüchtern fest. Und ließ gleich in einem der nächsten Sätze das Stichwort „Geschlossenheit“ fallen. Der wichtigste Auftrag für führende Christdemokraten am Wahlabend lautete nämlich, einen schützenden Wall rund um Parteichef Armin Laschet zu bilden. Die Vorbereitungen dafür hatten schon vor 50 Tagen begonnen, als der NRW-Ministerpräsident knapp zum Vorsitzenden gewählt worden war. Nicht nur die kurze Zeit an der Parteispitze wurde zu seinen Gunsten angeführt, sondern auch die Beliebtheit der beiden amtierenden Regierungschefs in Mainz und Stuttgart. „Es war eine Wahl der Persönlichkeiten“, sagte beispielsweise Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble. Ziemiak hatte noch weitere Schuldige für die doppelte Niederlage ausgemacht: Das „unverantwortliche Verhalten einzelner Abgeordneter“ in der Maskenaffäre natürlich sowie, und das ließ dann doch aufhorchen, das aktuelle Corona-Krisenmanagement. Dies müsse „besser“ und „schneller“ werden.

Hatten Grund zu feiern: Die Bundesvorsitzenden der Grünen Annalena Baerbock und Robert Habeck. Foto: Kay Nietfeld/dpa

Hatten Grund zu feiern: Die Bundesvorsitzenden der Grünen Annalena Baerbock und Robert Habeck. Foto: Kay Nietfeld/dpa

Ganz anders die Stimmung bei den Grünen: Zwar hatten auch sie Corona-bedingt keine große Party geplant. Doch Grund zu feiern gab es für die Parteichefs Annalena Baerbock und Robert Habeck allemal. In Baden-Württemberg wurden sie erneut stärkste Kraft und werden erneut den Ministerpräsidenten stellen, in Rheinland-Pfalz konnten sie ihr Ergebnis im Vergleich zu 2016 fast verdoppeln. „Das war ein Super-Start ins Wahljahr“, resümierte Habeck. „Wir Grünen haben in Krisenzeiten gezeigt, dass wir das Vertrauen der Wähler gewinnen können“, ergänzte Baerbock.

Der Doppelerfolg könnte wegweisend sein. Nach der Bundestagswahl im September wollen die Grünen erstmals den Kanzler oder die Kanzlerin stellen – die starken Ergebnisse könnten Schub dafür geben. Ihren Regierungsanspruch bekräftigten die Parteichefs auch am Sonntagabend und griffen zugleich die Union an. Das Vertrauen in die demokratischen Institutionen bröckele, sagte Habeck. Das habe mit dem „Missmanagement“ in der Corona-Krise zu tun. Das sei aber auch zurückzuführen auf die Korruptionsaffäre in der Union. „Unsere Aufgabe wird sein, das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit zu erneuern“, so Habeck.

Fühlt sich mit seinem kritischen Kurs gegen die Corona-Politik bestätigt: FDP-Chef Christian Lindner. Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa

Fühlt sich mit seinem kritischen Kurs gegen die Corona-Politik bestätigt: FDP-Chef Christian Lindner. Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa

Mit Worten und Resultaten demonstrierten die Grünen eines: Unabhängigkeit von der Union. Auf eine Koalition mit CDU und CSU sind sie im Bund nicht festgelegt. Habeck und Baerbock betonen stets: Der Wunschpartner für eine bundespolitische Regierungskoalition ist die SPD, nun könnte auch die Ampel-Variante als Möglichkeit hinzukommen. In Baden-Württemberg wäre eine solche Koalition die erste grün-geführte Ampel bundesweit. Dies könnte ein strategischer Vorteil mit Blick auf die Bundestagswahl sein.

Auf Möglichkeiten für „progressive Regierungen“ hofft auch SPD-Chef Norbert Walter-Borjans. Seine Sozialdemokraten feierten vor allem den Sieg in Rheinland-Pfalz. Walter-Borjans lobte das „hervorragende Ergebnis“, das nicht zuletzt einem „tollen Schlussspurt“ der alten und wahrscheinlich auch neuen Ministerpräsidentin Malu Dreyer zu verdanken sei. In Baden-Württemberg habe die SPD gut gekämpft. Für die Ko-Vorsitzende Saskia Esken waren die Wahlen gar „ein Auftakt nach Maß“ und ein „ganz, ganz großartiges Vorzeichen für eine künftige Kanzlerschaft von Olaf Scholz“.

Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken jubeln über das gute Abschneiden der SPD in Rheinland-Pfalz. Foto: Jörg Carstensen/dpa

Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken jubeln über das gute Abschneiden der SPD in Rheinland-Pfalz. Foto: Jörg Carstensen/dpa

Noch besser war die Stimmung bei der FDP, für die sich der kritische Kurs gegen die Corona-Politik der Groko ausgezahlt hat. Erstmals in ihrer Geschichte wurde sie für ihre Beteiligung an einer Ampelkoalition, der in Mainz, nicht abgestraft, was die FDP als beste Voraussetzungen für diese Konstellation auch im Südwesten interpretierte. Sollten sich die Grünen überreden lassen, könnten die Liberalen diese Machtoption auch für den Bund nicht mehr kleinreden. Auch wenn dort die CDU noch immer erste Wahl wäre, wie Parteichef Christian Lindner betonte. AfD-Parteichef Tino Chrupalla zeigte sich derweil trotz leichter Verluste „sehr zufrieden“. Mit dem Ergebnis-Minus habe man rechnen müssen, sagte Chrupalla dieser Zeitung. Grund dafür sei das Vorgehen des Verfassungsschutzes in den vergangenen Wochen. Für ihn überwog, dass man in beiden Ländern über zehn Prozent liege.

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15.03.2021, 06:00 Uhr
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zuletzt aktualisiert: 15.03.2021, 06:00 Uhr

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