Pandemie

Trotz steigender Infiziertenzahlen: Geimpfte kaum gefährdet

Was es mit Erkrankungen trotz doppelter Immunisierung auf sich hat und warum Fälle wie der des ehemaligen US-Außenministers Powell eine seltene Ausnahme sind.

23.10.2021

Von Hajo Zenker

Ein kleiner Piks: Impfen ist der beste Schutz vor einer Erkrankung mit Covid-19. Foto: Sven Hoppe/dpa

Ein kleiner Piks: Impfen ist der beste Schutz vor einer Erkrankung mit Covid-19. Foto: Sven Hoppe/dpa

Wie es im Herbst und Winter mit dem Coronavirus weitergeht, hängt vor allem am Impf-Fortschritt. Fragen und Antworten zum Stand der Dinge.

Wie geht es mit dem Impfen voran? Derzeit nur noch sehr langsam. Laut offizieller Statistik sind 55 Millionen Menschen (66,1 Prozent der Gesamtbevölkerung) vollständig geimpft. Insgesamt haben 57,4 Millionen Personen (69,1 Prozent) mindestens eine Dosis erhalten. Allerdings: Das Robert-Koch-Institut (RKI) hat selbst eingeräumt, dass diese Zahlen zu niedrig sein dürften und tatsächlich wohl um etwa fünf Prozentpunkte höher liegen.

Ist das nun also viel oder wenig? Das ist umstritten. Für den Statistiker Christian Hesse von der Universität Stuttgart zeigen die Zahlen, dass bereits über 75 Prozent der Gesamtbevölkerung immunisiert sein könnten. Damit sei Deutschland „nicht mehr weit von einer Herdenimmunität entfernt“, die er bei einer Quote von 80 Prozent erreicht sieht.

Für den Virologen Hendrik Streeck gibt es bei den Erwachsenen durch Impfungen und einen „relativ großen Anteil an Genesenen“ schon erheblichen Schutz. Dass die Zahlen trotzdem wieder steigen werden, glaubt er allerdings auch. Das ist vor allem eine schlechte Nachricht für die 3,3 Millionen über 60-Jährigen, die noch nicht geimpft, aber besonders gefährdet sind. Für die Präsidentin der Gesellschaft für Immunologie, Christine Falk, ist die Impfquote deshalb bisher zu niedrig – und die Infektionszahlen zu hoch. Genauso sieht das der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach, der zudem auf eine Studie aus England verweist, nach der sich Ungeimpfte zum zweiten oder sogar zum dritten Mal infiziert haben. Allerdings gilt auch: Wer genesen ist und sich danach impfen lässt, ist laut einer US-Studie besonders gut geschützt.

Was hat es mit der steigenden Zahl von Impfdurchbrüchen auf sich? Das Robert-Koch-Institut verzeichnet schon 95 487 Impfdurchbrüche, also Ansteckungen bei vollständig Geimpften. Angesichts von 55 Millionen komplett Immunisierten entspricht das 0,17 Prozent. Lange Zeit hatte die Quote unter 0,1 Prozent gelegen. Die meisten trotz Impfung Infizierten haben keine oder – wie Bayern-Trainer Julian Nagelsmann ­– milde Symptome, die Ansteckung wird häufig durch Zufall entdeckt.

Spektakuläre Fälle wie der des ehemaligen US-Außenministers Colin Powell, der trotz Impfung an Corona gestorben ist, schüren Ängste, Hendrik Streeck aber verweist darauf, dass Powell unter Knochenmarkkrebs litt. Dieser habe die Immunantwort des Körpers auf das Vakzin beeinträchtigt. Zusätzlich hatte Powell Parkinson. Laut Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin sind Geimpfte, die auf Intensivstationen landen, zumeist ältere Patienten, deren zweite Impfung länger zurückliegt und die unter schweren Vorerkrankungen leiden. Klar ist, dass Impfungen Klinikaufenthalte zumeist verhindern, Ansteckungen vermeiden sie jedoch nicht unbedingt. So weist das bayerische Gesundheitsministerium für Ungeimpfte eine Sieben-Tage-Inzidenz von 297 Ansteckungen auf 100 000 Einwohner, für Geimpfte von 34 aus. Auffällig ist die vergleichsweise hohe Zahl der Durchbrüche bei Johnson & Johnson. In Deutschland beträgt der Anteil dieses Vakzins an den vollständig Geimpften 6, an den Durchbrüchen aber 14 Prozent.

Für wen sind Booster-Impfungen sinnvoll? Die Ständige Impfkommission (Stiko) empfiehlt eine Auffrischung für alle, die mindestens 70 Jahre alt sind, für Pflegebedürftige und Pflegepersonal sowie Menschen mit geschwächtem Immunsystem, etwa Krebs-, Transplantations- oder Dialysepatienten. Diese solle frühestens sechs Monate nach der zweiten Dosis erfolgen. Die Berliner Charité berichtet, dass bei 40 Prozent der über 70-Jährigen sechs Monate nach der zweiten Dosis kaum noch Schutz besteht. Verwendet werden sollen nur noch Biontech und Moderna. Zudem sollten sich unabhängig vom Alter alle, die vor mindestens vier Wochen die Einmal-Injektion von Johnson & Johnson erhalten haben, zusätzlich mit Biontech oder Moderna impfen lassen. Daten aus Israel zeigen, dass die Gefahr für eine Infektion durch die Booster-Impfung sehr deutlich – laut Karl Lauterbach „überraschend stark“ – abnimmt.

Wie steht es um die Kinder? Die sind überproportional am offiziell erfassten Ansteckungsgeschehen beteiligt. Besonders hoch sind die Inzidenzen bei den 5- bis 19-Jährigen. So gibt es in der Altersgruppe der 10- bis 14-Jährigen eine Inzidenz von über 170. Was auch daran liegt, dass Schüler, im Gegensatz zu vielen Erwachsenen, mehrmals wöchentlich getestet werden. Allerdings erkranken sie höchst selten. Die Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin empfiehlt trotzdem die Impfung ab zwölf Jahren „allgemein und uneingeschränkt“. Wobei die Stiko betont, Kinder mit Vorerkrankungen sollten bevorzugt werden. Kinderarzt und Stiko-Mitglied Martin Terhardt beklagt, dass stark übergewichtige Minderjährige häufig nicht wüssten, dass sie sich unbedingt impfen lassen sollten. Biontech hat derweil die Zulassung für Fünf- bis Elfjährige beantragt – mit einem Drittel der sonst üblichen Dosis.

Spitzensportler verstärken Impf-Werbung

Deutschlands Spitzenathleten werden sich noch stärker als bisher an der Impfaktion „Ärmel hoch“ beteiligen. Das hat der Deutsche Olympische Sportbund mitgeteilt. Mitmachen wollen unter anderen die Ringer-Olympiasiegerin Aline Rotter-Focken, Speerwurf-Weltmeister Johannes Vetter, Frank Stäbler, Olympia-Dritter im Ringen, und der Doppel-Olympiasieger sowie mehrfache Weltmeister in der Nordischen Kombination, Johannes Rydzek.

Laut einer Studie der Agentur ONE8Y ist die Impfbereitschaft in der sportinteressierten Bevölkerung besonders hoch.

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Erstellt:
23.10.2021, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 31sec
zuletzt aktualisiert: 23.10.2021, 06:00 Uhr

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