Ein Schiffsbug an der Bahn

Sprachen, Wohnen, Senioren: Bauprojekt im Zwickel neben der Blauen Brücke

Im Sockel zieht eine private Sprachenschule ein, darüber können Senioren Wohngemeinschaften bilden. Und oben sind noch drei Stockwerke mit Eigentumswohnungen: Dieses Konzept liegt einem Projekt zugrunde, das hinter dem neuen Hotel an der Blauen Brücke entsteht.

27.12.2015

Von Ulrike Pfeil

Bei dieser am Computer erzeugten Ansicht des „Weißen Turms“ ging der Architekt noch von richtig kalten Wintern aus: Hinter dem Bahndamm (vorne) erkennt man über dem Eingangsgeschoss mit Nutzräumen das erleuchtete Fensterband der Sprachschule. Darüber die umlaufenden Balkone der Wohngeschosse. Die Lamellen der Geländer werden übrigens immer in der gleichen Richtung montiert. Nach Süden, zur Bahnlinie hin, stehen sie nebeneinander, also blickdicht, in der Biegung nach Westen hintereinander, also durchlässig. Links hinter der kleinen Mauer fließt die Steinlach, rechts im Hintergrund erkennt man das neue Hotel an der Blauen Brücke.Computer-Rendering: Büro Ackermann und Raff

Bei dieser am Computer erzeugten Ansicht des „Weißen Turms“ ging der Architekt noch von richtig kalten Wintern aus: Hinter dem Bahndamm (vorne) erkennt man über dem Eingangsgeschoss mit Nutzräumen das erleuchtete Fensterband der Sprachschule. Darüber die umlaufenden Balkone der Wohngeschosse. Die Lamellen der Geländer werden übrigens immer in der gleichen Richtung montiert. Nach Süden, zur Bahnlinie hin, stehen sie nebeneinander, also blickdicht, in der Biegung nach Westen hintereinander, also durchlässig. Links hinter der kleinen Mauer fließt die Steinlach, rechts im Hintergrund erkennt man das neue Hotel an der Blauen Brücke. Computer-Rendering: Büro Ackermann und Raff

Von der Neckarbrücke und von der Reutlinger und Hegelstraße aus beherrschen zwei illuminierte Baukräne derzeit den nächtlichen Blick Richtung Blaue Brücke. Aber wo stehen die eigentlich? Das Baugrundstück, zu dem sie gehören, ist gut versteckt hinter dem hoch aufragenden Hotelneubau direkt an der Eisenbahnbrücke und der südlichen Häuserzeile der Poststraße. Ein Zwickel, eingeklemmt zwischen der Steinlach kurz vor der Mündung in den Neckar und den Bahngleisen auf der anderen Seite. Aber groß genug für zwei stattliche Gebäude im Rücken des Hotels. Man sieht sie nur, wenn man den Fuß- und Radweg von der Schaffhausenstraße zur Karlstraßen-Unterführung entlanggeht.

Das eine, trapezförmig und schon etwas in die Höhe gewachsen, ist das künftige Quartier der Tübinger Softwarefirma Itdesign, die dort in Kooperation mit der kommunalen Baugesellschaft GWG einen neuen Standort schafft. Von dem anderen sind gerade erst die Fundamente und die Hochwasser-Schutzmauern zu sehen. Eine Baugruppe lässt dort vom Tübinger Architekturbüro Ackermann und Raff ein Gebäude für unterschiedliche Zielgruppen errichten. Wenn es fertig ist, wird es wie ein Schiffsbug Richtung Bahnhof zeigen und mit seinem Sockel eine Klammer zum benachbarten Hotel bilden.

Die Tübinger kommunale Wirtschaftsförderung WIT, der das Grundstück aus der Insolvenzmasse der abgerissenen Konzertsaal-Bauruine an der Blauen Brücke zufiel, lobte 2013 für das Dreieck einen Baugruppen-Wettbewerb aus. Die Konkurrenz war groß, der Standort begehrt: stadtnah, bahnhofsnah, vom Verkehrslärm (außer den Zügen) abgeschirmt, sonnig und direkt am Fließgewässer. Ackermann und Raff machten das Rennen. Nicht nur wegen der Qualität ihres Entwurfs, so vermutet Architekt Hellmut Raff, sondern auch wegen eines innovativen Nutzungskonzepts.

Dieses sieht im Sockelgeschoss, das sich mit begrüntem Flachdach aus dem vertikalen Baukörper ein Stück weit in Richtung Hotel hinausschiebt, eine gewerbliche Nutzung vor. Der vom innerstädtischen Verkehrsstrom abgewandte Standort ist kaum geeignet für Geschäfte, die auf Sichtbarkeit zählen. Für die private Sprachschule Vivat Lingua ist er jedoch geradezu ideal. „Wir suchten schon länger nach einem neuen Quartier“, sagt Adelheid Kumpf, die zusammen mit Niels Stock die Schule aufgebaut hat. „Und die Nähe zum Bahnhof war uns besonders wichtig.“ Die Schule, an der verschiedene Fremdsprachen und Deutsch als Fremdsprache gelehrt werden, ist zur Zeit in einem Nebengebäude der Thiepvalkaserne untergebracht, mit einer Dependance, dem Englisch-Trainingszentrum, im Französischen Viertel. Sie beschäftigt derzeit 20 festangestellte Mitarbeiter (manche in Teilzeit) und noch etwas mehr Sprachenlehrer auf Honorarbasis.

Im Neubau wird sie auf 600 Quadratmetern Fläche über großzügige Unterrichtsräume und Mitarbeiterzimmer verfügen. Hinter der Verbindungsmauer mit dem Hotel und der Einfahrt zur Tiefgarage entsteht zur Schaffhausenstraße hin ein gemeinsamer, ruhiger Innenhof, der von den Schülern in den Pausen genutzt werden kann. Vivat Lingua wird als Mieter einer Bauherrin der Gewerbeimmobilie einziehen.

Auch die beiden Stockwerke darüber gehören einem Investor. Er möchte sie an Senioren vermieten, die ihren privaten Wohnraum verkleinern wollen und dafür eine gewisse Gemeinschaft mit anderen im Alltag suchen. Auf jeder Etage sind sieben Apartments von je etwa 35 Quadratmetern vorgesehen, jedes mit einem eigenen Sanitärbereich und Kochnische. Die Apartments werden einzeln vermietet. In der Schiffsbug-Ecke wird es Gemeinschaftsräume zum Sitzen, Essen, Kochen, Fernsehen geben, eventuell auch ein Gästezimmer, in dem bei Bedarf eine Pflegekraft untergebracht werden könnte. „Gedacht ist aber eher an rüstige Senioren“, erklärt Hellmut Raff. Also an Leute, die sich die nahen, vielseitigen kulturellen Angebote und die verkehrsgünstige Lage aktiv zunutze machen.

Erschlossen wird das Gebäude innen durch ein zentrales dreieckiges Treppenhaus mit Aufzug. In den oberen drei Stockwerken werden insgesamt zwölf Wohnungen für private Baugruppenmitglieder gebaut, davon zwei im zurückgesetzten Penthouse. Diese Wohnungen von einem bis vier Zimmern sind zwischen 50 und 150 Quadratmeter groß.

Der „Weiße Turm“, wie die Baugruppe ihr Projekt nennt (als Kontrast zum „Blauen Turm“, dem Hochhaus an der Blauen Brücke), mit seiner eleganten gerundeten Ecke und einer klaren Architektur wird für Bahnpassagiere bei der Einfahrt nach Tübingen sicher ein Blickfang werden. An einen weißen Verputz ist allerdings nicht gedacht, eher an eine Fassade in dunklem, erdigem Umbra-Ton. Die Wohngeschosse haben durchweg französische Fenster, die wie Balkontüren viel Licht hereinlassen. Ihre tiefen, angeschrägten Laibungen sollen einen Anstrich mit Metallic-Effekt bekommen – ein schimmernder Rhythmus wie von geöffneten Fensterläden. Schließlich, sagt Architekt Raff, war dieses Gelände des ehemaligen „Foyer“ doch mal in französischer Hand.

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Erstellt:
27.12.2015, 21:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 14sec
zuletzt aktualisiert: 27.12.2015, 21:00 Uhr

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