Corona
Sorge vor der Horrorzahl
Eine Impfpflicht für bestimmte Berufe rückt wohl näher – und die Kliniken füllen sich weiter. Eine Modellrechnung spricht von bald 300 000 Neuinfizierten pro?Tag.
Corona und kein Ende – und die Politik ringt um Lösungen. Wie geht es weiter mit Impfpflicht oder möglichen Kontaktbeschränkungen? Das kommt auf Deutschland zu. Ein Ausblick:
Wird es eine Impfpflicht für einzelne Berufsgruppen geben? Das scheint möglich, ist aber noch nicht beschlossen. Grünen-Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt musste jedenfalls ihre Ankündigung, die Ampel sei bereits einig, wieder zurückziehen. Auch wenn FDP-Fraktionsvize Michael Theurer sagt, er könne sich eine Impfpflicht etwa in Heimen und Kliniken „durchaus vorstellen“. Aber darüber müsse man noch reden. Das meint auch der wahrscheinliche neue Kanzler Olaf Scholz (SPD). Er finde es richtig, „dass wir jetzt eine Diskussion darüber begonnen haben“. Laut SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese könne man das nicht in einem „Hauruck-Verfahren“ machen. Mittlerweile rückt die Bundeswehr für eine solche Pflicht in den Fokus. Verteidigungspolitiker wie Siemtje Möller (SPD), Tobias Lindner (Grüne) und Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) plädieren dafür. Übrigens: Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) kann sich, wohl mit Blick auf den FC Bayern, auch eine Impfpflicht im Profi-Fußball vorstellen.
Kommen Kontaktbeschränkungen zurück? Kontaktbeschränkungen sollen weiterhin möglich sein – wobei damit die Ungeimpften gemeint sind. Das hält auch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) für richtig, auf jeden Fall in den besonders betroffenen Ländern Sachsen, Thüringen und Bayern. Für die Göttinger Physikerin Viola Priesemann vom Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation ist klar, dass Kontaktbeschränkungen gegen die Verbreitung des Virus wirken. „Je nach Umsetzung“ gelte das auch für Ausgangsbeschränkungen. Allerdings sind Ausgangssperren bisher nicht nur schlecht wissenschaftlich untersucht, sie sind vor allem auch immer wieder von Gerichten als unverhältnismäßig gekippt worden.
Wie sieht es auf den Intensivstationen aus? Laut dem Register der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) liegen 3280 Covid-19-Patienten auf Intensivstationen. Das sind 90 mehr als am Vortag und 593 mehr als vor einer Woche. Vor einem Jahr hatte es 3436 Covid-Intensivpatienten gegeben. Zum Vergleich: Der höchste Wert in der Pandemie war am 3. Januar 2021 mit 5762 erreicht worden. Damals gab es allerdings noch mehr Personal als heute. Zudem sind in den besonders betroffenen Gebieten in Sachsen, Thüringen und Bayern die Kliniken bereits rappelvoll, Patienten müssen verlegt, Operationen abgesagt werden. In 33 Landkreisen ist kein einziges Intensivbett mehr frei.
Wie werden sich die Zahlen weiterentwickeln? Wenn nichts getan wird, werden sie nach Expertenmeinung weiter in die Höhe schießen. Laut der Berliner Firma Netcheck, die täglich in Kooperation mit dem Bundesgesundheitsministerium und dem Robert-Koch-Institut anhand von anonymisierten Mobilfunkdaten Kontaktzahlen erhebt, sind die Deutschen so mobil und kontaktfreudig wie noch nie in diesem Jahr. In Zusammenarbeit mit der Uni Münster und dem Hasso-Plattner-Institut Potsdam wurde eine Modellrechnung erarbeitet. Ergebnis: Unter unveränderter Fortführung der derzeitigen Bedingungen werde es im Dezember zu maximalen Fallzahlen von über 300 000 pro Tag kommen. Zum Vergleich: In den vergangenen sieben Tagen hatten sich die täglichen Neuinfektionen zwischen 21 832 und 50 196 bewegt – wobei letzterer Wert vom vergangenen Donnerstag den bisherigen Negativrekord in der Pandemie darstellt. Lothar Wieler, Präsident des Robert-Koch-Instituts, hatte danach vorgerechnet, dass von 50 000 neu Infizierten im Schnitt 3000 in ein Krankenhaus müssten und 200 sterben.
Insofern ist absehbar, was 300 000 Neuinfektionen bedeuten würden. Eine Folge wäre, was jetzt schon an den Salzburger Landeskliniken vorbereitet wird – die Triage. Das Wort stammt aus dem Französischen und bedeutet „sortieren“. Entwickelt wurde die Triage für das Militär – wenn schwerste Verwundungen zu behandeln sind, muss man angesichts beschränkter Ressourcen brutal entscheiden: Bei wem hat eine Behandlung noch Sinn? Und so wird im Zweifelsfall ein 60-Jähriger in einer Intensivstation behandelt, ein 80-Jähriger nicht.
Knappe Mehrheit für Impfpflicht
Im Kampf gegen Corona befürwortet eine knappe Mehrheit der Deutschen eine Impfpflicht. Das geht aus dem am Dienstag veröffentlichten „Trendbarometer“ von RTL und ntv hervor, für den das Meinungsforschungsinstitut Forsa rund 1000 Menschen befragt hatte. Dabei sprachen sich 53 Prozent für eine generelle Impfpflicht aus; 45 Prozent vertraten die Meinung, eine Impfung sollte weiterhin freiwillig sein. In Ostdeutschland wird allerdings eine Pflicht zur Impfung mehrheitlich abgelehnt.
Auf große Skepsis stößt das Vorhaben der Ampel-Parteien, die „epidemische Lage“ auslaufen zu lassen. 60 Prozent der Befragten finden das falsch – das sind vier Prozentpunkte mehr als vor zwei Wochen. Nur noch gut jeder Dritte hält diese Entscheidung für richtig. Die Feststellung einer „epidemischen Lage“ gibt dem Bund weitreichende Kompetenzen in der Pandemiebekämpfung. SPD, Grüne und FDP wollen diese in wenigen Tagen auslaufende Regelung nicht verlängern. dpa