Tübinger Forschung
So jagten die Neandertaler
Neu entdeckte Blattspitze war Teil einer Stoßlanze: Archäologen der Uni Tübingen präsentieren im Urgeschichtlichen Museum Blaubeuren neue Funde.
„Es ist die erste Blattspitze, die auf der Schwäbischen Alb mit modernen Methoden ausgegraben und mit modernsten Mitteln analysiert wurde“, sagt Conard über die außergewöhnlich fein gearbeitete Blattspitze aus grauem Jurahornstein. Zuletzt wurden ähnliche Funde 1936 in der Region geborgen. „Das ist ein neuer Schritt für die Neandertaler-Forschungsgeschichte und belegt, wie der Neandertaler diese Jagdwaffen herstellte und benutzte.“ Die Blattspitze ist 7,6 Zentimeter lang, 4,1 Zentimeter breit, 0,9 Zentimeter dick und 28 Gramm schwer. Wegen der Fundlage in den tieferen Sedimentschichten der Mittleren Altsteinzeit sowie der Auswertung von Begleitfunden anhand von Datierungen wird ihr Alter auf mehr als 65000 Jahre eingeordnet. Die sogenannte Blattspitzengruppe in Südwestdeutschland wurde bislang im Allgemeinen deutlich später – vor 45000 bis 55000 Jahren – datiert. Damit ergeben sich neue spannende Fragestellungen zur Chronologie der Mittleren Altsteinzeit.
Anderseits weist der Fund an seinem spitzen Ende Beschädigungen auf. Wie Experimente von Rots’ Team gezeigt haben, lassen die Beschädigungen zum einen auf eine Abnutzung beim Einsatz als Teil einer Stoßlanze schließen. Zum anderen aber auch auf misslungene Versuche, die Blattspitze nachzuschärfen. Es wird angenommen, dass die Schädigungen die Blattspitze unbrauchbar machten und sie deshalb im Hohle Fels zurückgelassen wurde. „Das zeigt uns, dass die Neandertaler ganz genau wussten, was sie erreichen wollten“, sagt Rots. „Sie waren technisch in der Lage, Waffen herzustellen, die einem ganz bestimmen Zweck dienen sollten – in diesem Fall dem Erlegen von Großwild aus unmittelbarer Nähe.“ Im Gegensatz zu den gut belegten hölzernen Jagdwaffen der Älteren Altsteinzeit, haben die Neandertaler der Mittleren Altsteinzeit in Holzspeeren geschäftete Steinspitzen eingesetzt.
Info Die Blattspitze wird bis Anfang Januar 2022 im Urgeschichtlichen Museum Blaubeuren (urmu) als Fund des Jahres ausgestellt. Prominentestes Exponat ist das Original der „Venus vom Hohle Fels“. Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag und feiertags, 10 bis 17 Uhr; Internet: www.urmu.de