Pandemie

Schnipp, schnapp – Corona-Mähne ab

Früher als andere Betriebe dürfen Friseure nach der Zwangspause wieder öffnen. Warum sind Haare eigentlich so wichtig? Nicht nur ein Berliner Starfriseur und Markus Söder haben Antworten.

27.02.2021

Von Caroline Bock, dpa

Von Montag an werden Haare wieder geschnitten, gefärbt und gelockt. Foto: Christian Charisius/dpa

Von Montag an werden Haare wieder geschnitten, gefärbt und gelockt. Foto: Christian Charisius/dpa

In Deutschland ist es gerade „kurz vor Friseur“. Von Montag an dürfen die Salons wieder öffnen, ein Ende der Corona-Mähne ist in Sicht. In Pandemie-Zeiten ließen sich schon viele Männer von ihrer Frau die Haare schneiden, beispielsweise Gerhard Schröder. Frauen klatschten sich billige Farbe aus der Drogerie auf den grauen Ansatz oder versuchten, den herausgewachsenen Pony so gut es geht zu ignorieren. Nun ist das vorbei: Die 80 000 Friseurbetriebe machen nach monatelanger Zwangspause wieder auf.

Für manche überraschend, bekamen sie dafür von Bund und Ländern die Erlaubnis. Sie sind früher dran als der Einzelhandel, was Ärger brachte. Nach dem Motto: Warum sind Friseure eigentlich so wichtig?

Der Schnitt der Haare kann einen großen Unterschied ausmachen. Die heutige EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen befreite sich zum Beispiel vor einigen Jahren mit kurzen Haaren von ihrem biederen Image des „Röschens“ aus Niedersachsen. Kanzlerin Angela Merkel verdankte dem kürzlich gestorbenen Friseur Udo Walz ihren optischen Relaunch. Kabarettisten machen schon lange kaum mehr Witze über ihre Haare.

Dass das Thema auch für viele Männer keine Nebensache ist, zeigen die gut frisierten Fußballer. Oder die Herren, die sich schon Haare transplantieren ließen: Italiens Ex-Ministerpräsident Silvio Berlusconi, Fußballtrainer Jürgen Klopp, FDP-Chef Christian Lindner.

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder könnte im Lockdown bald wie ein Monchichi-Äffchen aussehen. Derzeit ist sein Look etwas zerzaust. Für den CSU-Politiker ist eine ordentliche Frisur nicht nur eine Frage der Hygiene, wie er in der Lockerungsdebatte deutlich machte. Er sagte, dass es auch um Würde gehe. Um Würde?

„Das finde ich vollkommen richtig“, sagt der Berliner Starfriseur Shan Rahimkhan. Den Effekt eines Salonbesuchs beschreibt er so: „Du gehst raus und fühlst dich wohl, das macht was mit einem.“ Er nennt die gängigen Argumente der Branche: Anders als der Handel geht ein Friseurbesuch nicht online. Wenn man im Lockdown einen Termin im Internet bucht, ist es illegal. Dann lieber mit ordentlicher Hygiene im Salon.

Beim Zentralverband des Deutschen Friseurhandwerks heißt es, der Beruf sei „sozial systemrelevant“. Das heißt: Er ist auch wichtig für das Miteinander.

Außerhalb der Branche gefragt: Sind Friseure wichtiger geworden? „Jein“, sagt der Kunsthistoriker und Autor Christian Janecke („Haar tragen: Eine kulturwissenschaftliche Annäherung“). Einerseits: Bei der Optik sei es in einigen Berufen mittlerweile nicht mehr so streng wie früher. Andererseits: „Wir haben eine Gesellschaft, in der die Fassade wieder wichtiger wird.“ Die Videokonferenzen im Homeoffice verstärken das aus Janeckes Sicht noch. Dort werden alle zu „Talking Heads“, das Gesicht wie ein Bild gerahmt.

„Und Haare sind nicht nur Natur-, sondern auch Kulturausdruck“, sagt der Professor an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach. Der Körper bleibt der gleiche – eine Frisur kann den Unterschied machen, ähnlich wie bei Schuhen. Auch die Selfie-Kultur und die Macht der Bilder in der digitalen Welt spielen für ihn hier eine verstärkende Rolle.

Manche gehen kaum noch raus

Noch ein Beispiel für eine haarige Lage, aus einer Kleinstadt im Südwesten Deutschlands: Tante Hilde, eine Frau um die 60, deren richtiger Name nicht veröffentlicht werden soll, leidet in der Pandemie ohne Friseur. Auch wenn sie die Auflagen versteht, für sie war schon das Maske-Tragen schlimm. Mit den Stoffmasken konnte sie sich nach ein paar Monaten anfreunden, aber jetzt, wo es mit den medizinischen Masken dieser „Schnabel“ sein soll, findet sie sich total entstellt. In diese Gemengelage kommen die nicht liegenden Haare noch dazu. Damit fühlt sich Tante Hilde so unwohl, dass sie so gut wie gar nicht mehr rausgeht. Die Haare geben ihr da noch den Rest. Die Lage von Tante Hilde wird sich also definitiv verbessern, wenn die Friseure wieder öffnen dürfen.

Ansturm erwartet

Glücklich, wer einenTermin hat. Denn zur Wiederöffnung der Friseure dürfte der Ansturm groß sein. Bei Shan Rahimkhan, der Salons am Berliner Gendarmenmarkt und am Kurfürstendamm hat, sind die Termine über Wochen ausgebucht. In Bayreuth versteigerte Friseur ­Andreas Nuissl den ersten Termin nach dem Lockdown für 422 Euro. Das Geld ist aber nicht für ihn, sondern geht an eine Hilfsorganisation für Kinder.

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Erstellt:
27.02.2021, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 07sec
zuletzt aktualisiert: 27.02.2021, 06:00 Uhr

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