Justiz

Rätsel um zwei Fahrzeuge am Tatort

Prozess um Sindelfinger Frauenmord vor 25 Jahren wirft die Frage auf, ob die Ermittler die falsche Spur verfolgten.

19.11.2020

Von DOMINIQUE LEIBBRAND

Stuttgart. Sechs Menschen hatten wahrscheinlich direkten Kontakt mit Brigitta J.s Mörder. Sechs Menschen, die – und das ist ein Kernproblem dieses Verfahrens um die vor 25 Jahren auf offener Straße erstochene Stuttgarterin – in einem entscheidenden Punkt unterschiedliche Beobachtungen gemacht haben. Es geht um die Frage, mit welchem Fahrzeug der Täter vom Tatort wegfuhr.

In einem schwarzen Honda CRX, wie es Insassen eines BMW glaubhaft ausgesagt hatten, die am Tatort vorbeigekommen waren? Oder in einem hellen Kastenwagen, wie zwei US-Soldaten beobachtet haben wollen, die den Angriff auf die 35-Jährige unmittelbar mitbekommen hatten? An Prozesstag acht fasst ein pensionierter Polizeibeamter, der zwei Jahre nach der Tat einen Zwischenbericht verfasst hatte, das Dilemma der Ermittler zusammen: „Wir hatten zwei Fahrzeuge und mussten in beide Richtungen ermitteln.“ Dabei sei nicht klar gewesen, ob es überhaupt zwei Fahrzeuge gegeben habe, so der 71-Jährige. Zumal auf die Beschreibung der Amerikaner kein Fabrikat richtig passen wollte.

Dennoch stützte sich die damalige Leitung der Soko „Tilsit“, benannt nach dem Tatort in der Tilsiter Straße in Sindelfingen, offenbar schwerpunktmäßig auf die Fahrzeugbeschreibung der Soldaten. So zumindest hatte es der Zeuge Thomas Georgi vor Gericht dargestellt und diese Tatsache scharf kritisiert. Georgi, heute Leiter der Abteilung Staatsschutz beim Landeskriminalamt, war seinerzeit Mitglied der Soko. Für ihn sei die Honda-Spur die entscheidende gewesen.

Georgi schlug damit in dieselbe Kerbe wie der Anwalt der Nebenklage, Mario Seydel, der moniert, dass die Alibis der Honda-Halter nicht überprüft worden seien. In dem Fall, so seine Darstellung, hätte man den Angeklagten Hartmut M., der später für die Tötung einer Anhalterin und die Erpressung des Shell-Konzerns verurteilt wurde, schnell ins Visier nehmen können, fuhr er seinerzeit doch besagtes Honda-Modell. Tatsächlich wurde der Ex-Topmanager offenbar nur als Zeuge behandelt und erst 25 Jahre später aufgrund einer aufbereiteten DNA-Spur verhaftet.

Gab es den hellen Kastenwagen am Ende gar nicht? Neben den Soldaten will allerdings ein weiterer Zeuge das beschriebene Modell in der Nähe des Tatorts gesehen haben. Waren womöglich zwei Männer involviert? Fragen, die vielleicht nie geklärt werden können. Dominique Leibbrand

Zum Artikel

Erstellt:
19.11.2020, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 06sec
zuletzt aktualisiert: 19.11.2020, 06:00 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen

Sie möchten diesen Inhalt nutzen? Bitte beachten Sie unsere Hinweise zur Lizenzierung.

Push aufs Handy

Die wichtigsten Nachrichten direkt aufs Smartphone: Installieren Sie die Tagblatt-App für iOS oder für Android und erhalten Sie Push-Meldungen über die wichtigsten Ereignisse und interessantesten Themen aus der Region Tübingen.

Newsletter


In Ihrem Benutzerprofil können Sie Ihre abonnierten Newsletter verwalten. Dazu müssen Sie jedoch registriert und angemeldet sein. Für alle Tagblatt-Newsletter können Sie sich aber bei tagblatt.de/newsletter auch ohne Registrierung anmelden.
Das Tagblatt in den Sozialen Netzen
    
Faceboook      Instagram      Twitter      Facebook Sport
Newsletter Wirtschaft: Macher, Moneten, Mittelstand
Branchen, Business und Personen: Sie interessieren sich für Themen aus der regionalen Wirtschaft? Dann bestellen Sie unseren Newsletter Macher, Moneten, Mittelstand!