Landwirtschaft

Preissprünge verunsichern Bauern

Die Getreidepreise gehen derzeit hoch und runter. Das liegt auch an einem späten Erntestart. Wird das Brot bald teurer?

28.07.2021

Von CAROLINE STRANG

In diesem Jahr wird eine durchschnittliche Erntemenge erwartet. Foto: Jens Büttner/dpa Foto: Jens Büttner/dpa

In diesem Jahr wird eine durchschnittliche Erntemenge erwartet. Foto: Jens Büttner/dpa Foto: Jens Büttner/dpa

Ulm. Die Getreidepreise verhalten sich gerade wie ein Hüpfball, den ein Kind mit Schwung auf den Boden geschleudert hat und der durchs Zimmer springt, über Tische und Stühle. Nur in Zeitlupe. Sie gehen hoch und runter, hoch und runter, mal mehr und mal weniger. Nicht nur um einen oder zwei Euro. Sie steigen auf einen Schlag um acht Euro pro Tonne, gehen um sieben Euro wieder runter, zwölf Euro hoch, drei Euro runter. Und das seit Wochen.

Die Erklärung hierfür liegt an der Börse, an der keiner so recht weiß, was derzeit Sache ist, wie Wienke von Schenck, Marktanalystin Pflanzenbau bei der Agrarmarkt Informations-Gesellschaft (AMI) sagt. Der Grund: Die Ernte hat sich verzögert. Kurz vor der Ernte sei der Anteil der Spekulationen immer sehr hoch. An der Terminbörse werde abgebildet, wie die Ernte ausfallen könnte.

Preise an Börse angepasst

„Wenn das Wetter nicht passt, können die Kurse sehr schnell und stark nach oben schnellen.“ Und auch wieder nach unten. Gleichzeitig wird am deutschen Getreidemarkt wegen des späten Erntestarts nur wenig gehandelt, weil es noch kaum Ware gibt und damit auch kaum Umsätze. Die Folge: „Die Verkäufer passen ihre Verkaufspreise den Börsennotierungen an“ – und damit auch den starken Schwankungen.

Normalerweise wissen die Marktteilnehmer zu dieser Zeit schon, was vom Acker kommt, „jetzt wissen wir noch gar nichts“, sagt von Schenck. Der erste Weizen sei 14 Tage später als sonst gedroschen worden. Ende vergangener Woche legte der Deutsche Bauernverband seinen ersten Erntebericht zum aktuellen Stand der Getreideernte vor. Von den rund 1,25 Mio. Hektar Wintergerste sei noch knapp die Hälfte zu dreschen, die regionalen Unterschiede des Erntefortschritts seien dabei enorm. Während die Gerste in Mecklenburg-Vorpommern fast komplett abgeerntet ist, stehen in Bayern und Sachsen noch über 90 Prozent auf dem Feld.

„Die derzeit sehr wechselhafte Witterung sorgt dafür, dass die Ernte vielerorts immer wieder unterbrochen werden muss“, erklärt Bauernverbandspräsident Joachim Rukwied. Sonst sei immer der Oberrhein die Gegend, in der mit der Ernte begonnen werde, und der Süden früh dran, sagt auch von Schenck. „In diesem ungewöhnlichen Erntejahr sind es Mecklenburg-Vorpommern, Thürigen oder manche Felder in Brandenburg.“

Auch der Deutsche Raiffeisenverband ist besorgt und weist darauf hin, dass die Ernte immer wieder durch die zum Teil massiven Niederschläge unterbrochen werden musste. „Sollte sich das regnerische Wetter fortsetzen, befürchten wir eine lange und schwierige Ernte“, sagt Getreidemarktexperte Guido Seedler.

Der Bauernverband geht nach den ersten Prognosen davon aus, dass die in der Vorernteschätzung genannte Menge von 9,3 Millionen Tonnen erreicht wird. Er schreibt aber auch: „Da die anderen Getreidearten bisher nur in sehr kleinen Umfängen geerntet wurden, sind aussagekräftige Zahlen Mangelware.“ Die wenigen vorliegen Meldungen deuteten jedoch darauf hin, dass die beim Getreide insgesamt erwartete Erntemenge von 45,4 Millionen Tonnen erreicht werden könne. Im sehr trockenen Vorjahr waren es 42,3 Millionen Tonnen.

„Es gibt kein Vegetationsereignis, das man dafür verantwortlich machen könnte, dass die Ernte in die Grütze geht“, sagt von Schenck. Das Wetter sei aber nicht optimal gewesen: Im Winter war es zu trocken, der März eher warm, der Mai und Juni dafür kühl und es fehlte der Regen, der nun nachgekommen sei, „mancherorts auch zuviel“.

Eine solch späte Ernte sei kein Novum, komme aber nicht oft vor. „Üblicher sind Mittendrinverzögerungen, meistens konnte früh angefangen werden, dann war der Juli verregnet und der Rest konnte erst im August geerntet werden“, sagt von Schenck. Nicht nur die deutschen Landwirte seien 2021 spät dran, ganz Westeuropa sei betroffen. „Das heißt, von da, wo Alternativen herkommen könnten, kommt auch noch nichts.“ In Rumänien werde zwar von einer „Bombenernte“ berichtet, „aber das muss erstmal hierherkommen“. Gebe es Hochwasser auf Rhein oder Donau, laufe auch der Transport nicht rund.

Wird sich das auf die Preise von Mehl und Brot auswirken? „Aufgrund der großen Verunsicherung ist noch nicht klar, in welche Richtung sich die Preise nun längerfristig bewegen werden“, sagt von Schenck.

Nur geringer Teil des Preises

Sie schränkt ein: „Der Anteil des Mehls an den Kosten eines Brötchens macht weniger als 5 Cent aus.“ Man müsse die Kirche im Dorf lassen. Sie rechnet vor: „Steigt der Getreidepreis um 5 Prozent, bedeutet das nur eine dadurch gerechtfertigte Verteuerung von 5 Prozent von 5 Cent.“

Derzeit bleibe nicht viel mehr übrig als abzuwarten, was vom Acker komme. „Wenn die Ernte gelaufen ist und sich vielleicht abzeichnet, dass wir zwar schwache Qualitäten, aber gute Mengen haben, normalisiert sich die Lage wieder“, sagt die Expertin. Deutlich werde aber, dass der Markt immer unsicherer werde. „Als Verarbeiter habe ich normalerweise eine Vorstellung von dem was kommt, eine Idee, eine Strategie“, sagt von Schenck. „Die Strategien der vergangenen Wochen wurden immer wieder über den Haufen geworfen.“

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Erstellt:
28.07.2021, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 30sec
zuletzt aktualisiert: 28.07.2021, 06:00 Uhr

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