Reutlingen

Windkraft: Planung jetzt in Windeseile

Der Regionalverband erläuterte in Sirchingen, wie die dringliche Suche nach Standorten für Windräder auf rund 4500 Hektar funktioniert.

10.12.2022

Von Stephan Gokeler

Ein Windrad in der Abendsonne. Symbolbild: Ulmer

Ein Windrad in der Abendsonne. Symbolbild: Ulmer

Auf dem Gebiet des Regionalverbands Neckar-Alb werden 45 Prozent aller Flächen landwirtschaftlich genutzt, auf 38 Prozent wächst Wald und 15 Prozent sind durch Siedlungen oder Straßen belegt. Zwei Prozent werden künftig reserviert sein, um dort Windräder oder Flächen-Photovoltaik aufzustellen. Das geben Gesetze von Bund und Land vor. Die Regionalverbände sind beauftragt, geeignete Flächen zu finden.

Wie die Suche vonstattengeht und auf was es dabei ankommt, darüber informierten am Donnerstag im Dorfgemeinschaftshaus von Sirchingen (Bad Urach) verschiedene Fachleute. Mehr als 100 Personen, überwiegend Entscheidungsträger aus Kommunalpolitik und Verwaltungen, waren auf Einladung des Regionalverbands erschienen.

In den drei Landkreisen Reutlingen, Tübingen und Zollernalb hat die Suche bereits begonnen. Denn spätestens 2025 muss alles fertig sein. „Wir werden intensive und auch mal kontroverse Diskussionen haben, aber es gibt auch eine Aufbruchstimmung“, sagte Verbandsdirektor Dirk Seidemann in seiner Begrüßung.

Schon im nächsten März sollen die sogenannten Suchraum-Karten beschlossen werden, erläuterte der Leitende Regionalverbandsplaner Peter Seiffert. Dort wird alles eingezeichnet sein, was gegen den Bau von Windrädern sprechen könnte. Absolute Ausschlusskriterien wie Natura-2000-Habitate oder Weltkulturerbestätten ebenso wie Gebiete, die zwar einer näheren Betrachtung bedürfen, nach der neuen Rechtslage aber prinzipiell trotzdem in Frage kommen könnten. Das sind zum Beispiel Landschaftsschutzgebiete oder regionale Grünzüge.

Mit der Erstellung dieser sogenannten „Flächenkulissen“ werde auch der Startschuss gegeben für ein erstes, noch informelles Beteiligungsverfahren für Kommunen und andere Träger öffentlicher Belange, so Seiffert. Das formelle Anhörungsverfahren, in dem auch Bürgerinnen und Bürger ihre Einwendungen oder Anregungen äußern können, soll im Januar 2024 beginnen.

Julia Moog vom Regierungspräsidium Tübingen erläuterte, dass Windenergieanlagen nun im Außenbereich baurechtlich generell privilegiert seien, bis das 2-Prozent-Flächenziel auch erreicht sei. Matthias Pavel erteilte Zweifeln an der Wirtschaftlichkeit eine generelle Absage. Der stellvertretende Landesvorsitzende des Bundesverbands Windenergie sagte, moderne Windräder könnten praktisch an jedem süddeutschen Standort gewinnbringend laufen.

Technische Lösungen gebe es für Auswirkungen solcher Anlagen auf Mensch und Natur. Eine automatische Abschaltung zu bestimmten Tageszeiten zum Schutz von Fledermäusen könne ebenso installiert werden wie ein Antikollisionssystem, das anfliegende Vögel erkennt und die Anlage daraufhin abbremst.

Nächtliche Drosselung, um den Schall für Anwohner zu reduzieren, eine automatische Begrenzung des Schattenwurfs und rote Lampen in der Nacht, die nur noch blinken, wenn sich ein Flugzeug nähert – alles kein Problem, so Pavel. Auch sämtliche Infrastrukturkosten für Wege, Leitungen und Trafostationen trage der Windparkbetreiber, bis hin zu einer Rücklage für den späteren Rückbau, beantwortete er eine Frage von Dußlingens Bürgermeister Thomas Hölsch.

Von Pfronstettens Bürgermeister Reinhold Teufel kam der Hinweis, dass man die Bedenken, die es in der Bevölkerung immer noch gebe, nicht ignorieren dürfe. „Infraschall ist wissenschaftlich als Thema vielleicht erledigt, aber nicht bei den Menschen“, meinte er. Man wolle versuchen, alle Beteiligten bei der begonnenen Planung so gut wie möglich mitzunehmen und dafür viel und offen kommunizieren, versicherten die Vertreter des Regionalverbands. Deutlich wurde am Donnerstag in Sirchingen aber auch: Eine Alternative zur Ausweisung der 4500 Hektar, auf denen Windkraftanlagen entstehen können, und 500 Hektar für Fotovoltaikanlagen auf dem Gebiet des Regionalverbands gibt es nicht.

Landesforstverwaltung am Pranger

Drei Szenarien für Kommunen zählte Rolf Pfeifer vom Freiburger Kommunalberatungsunternehmen Endura auf. Besitzt sie selbst Grundstücke an einem möglichen Windkraftstandort, sollte sie Teil einer Pachtgemeinschaft werden. Das sei häufig möglich, weil ihr zum Beispiel landwirtschaftliche Wege gehörten. Aber auch ohne eigene Flächen könne die Kommune moderierend auf private Grundstückseigentümer einwirken. Die dritte Variante sei die schlechteste: nämlich die, dass in Waldgebieten alle Flächen dem Forst Baden-Württemberg gehörten. „Die ziehen regelmäßig ihr eigenes Verfahren durch ohne jede Rücksicht auf die Interessen der Gemeinden“, lautet Pfeifers Erfahrung. Dies sollte sich dringend ändern, forderte er unter Applaus.

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Erstellt:
10.12.2022, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 55sec
zuletzt aktualisiert: 10.12.2022, 01:00 Uhr

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