Corona

Das Pandemie-Rezept der Ampel

Keine Ausgangssperren und pauschalen Schulschließungen mehr, dafür 3G am Arbeitsplatz und Strafen für Impfpassfälscher. Was auf die Bürger zukommt.

18.11.2021

Von Hajo Zenker

Die Ampel unter dem künftigen Bundeskanzler Olaf Scholz hat sich auf das neue Infektionsschutzgesetz geeinigt. Foto: Wolfgang Kumm/dpa

Die Ampel unter dem künftigen Bundeskanzler Olaf Scholz hat sich auf das neue Infektionsschutzgesetz geeinigt. Foto: Wolfgang Kumm/dpa

Nach viel Kritik haben die Ampel-Koalitionäre ihre Änderungen am Infektionsschutzgesetz, die am Donnerstag im Bundestag und am Freitag im Bundesrat zur Abstimmung stehen, überarbeitet.

Was ändert sich? Ausgangssperren, Versammlungsverbote und pauschale Schulschließungen sind endgültig vom Tisch. Offene Schulen, sagt die Grünen-­Rechtsexpertin Manuela Rottmann, hätten Priorität, die Erwachsenen müssten nun einen größeren Teil der Last tragen. Einzelne Schulen dagegen, sagt die gesundheitspolitische Sprecherin der SPD, Sabine Dittmar, könnten nach einem Ausbruch geschlossen werden.

Die Länder können dem Gesetzentwurf zufolge bei einer konkreten epidemischen Gefahr auch künftig Beschränkungen für Betriebe, Einrichtungen oder Veranstaltungen erlassen. Auch Kontaktbeschränkungen im privaten und öffentlichen Raum sind möglich, Abstandsgebot, Maskenpflicht, 2G (geimpft, genesen) und 3G (geimpft, genesen, getestet) sowieso.

Die Gastronomie soll geöffnet bleiben können – etwa mit 2G oder 2Gplus (Geimpfte und Genesene mit aktuellem Test), sagt die gesundheitspolitische Sprecherin der FDP, Christine Aschenberg-Dugnus. Gaststätten seien keine Treiber der Pandemie. Anders sehe es mit Bars und Clubs aus, die bei einer angespannten Pandemielage geschlossen werden könnten. Auch Freizeit- und Kulturveranstaltungen können im Einzelfall abgesagt werden, so Manuela Rottmann.

Wie werden Heimbewohner geschützt? Um Ältere und besonders Gefährdete in Heimen, Kliniken, Einrichtungen für Rehabilitation sowie für Menschen mit Behinderung zu schützen, ist eine Testpflicht für Beschäftigte und Besucher vorgesehen. Besucher und ungeimpfte Mitarbeiter brauchen einen tagesaktuellen negativen Corona-Test. Geimpfte oder genesene Beschäftigte können sich dagegen täglich ohne Überwachung selbst testen oder zweimal pro Woche einen PCR-Test vorlegen. Über eine Impfpflicht für Pflegekräfte und andere Berufe wird in den drei Fraktionen noch diskutiert. Diese soll gegebenenfalls in einem gesonderten Gesetz verankert werden.

Was gilt generell am Arbeitsplatz? Erneut soll, wo immer möglich, Homeoffice gelten. Diese Pflicht galt schon einmal bis Juni. „Büroarbeiten oder vergleichbare Tätigkeiten“ sollen daheim erledigt werden, es sei denn, betriebliche Gründe sprächen dagegen, etwa die Bearbeitung von Post oder Materialausgabe. Für alle anderen Mitarbeiter gilt: An einen Arbeitsplatz, bei dem „physischer Kontakt“ zu anderen möglich ist, soll man nur noch mit Impf- oder Genesenennachweis oder einem tagesaktuellen Schnelltest (oder maximal 48 Stunden alten PCR-Test) kommen. Die Chefs sollen die Einhaltung von 3G täglich kontrollieren und dokumentieren. Unternehmen müssen zwei Tests pro Woche anbieten; einen kostenlosen Bürgertest pro Woche gibt es außerhalb des Betriebs. Bei fünf Arbeitstagen müssen Ungeimpfte also zwei Tests pro Woche auf eigene Kosten machen. Wer sich als Arbeitnehmer 3G verweigert und nicht etwa auf einen Arbeitsplatz ohne Kontakte wechseln kann, bleibt laut Manuela Rottmann ohne Lohn.

Was droht Impfpassfälschern? Wer Corona-Tests oder Impfnachweise fälscht, kann im Fall der gewerbs- oder bandenmäßigen Fälschung mit Gefängnis von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft werden. Die Nutzer gefälschter Impfpässe können bis zu ein Jahr Haft oder Geldstrafe erhalten. Damit, sagt Christine Aschenberg-Dugnus, habe man eine Gesetzeslücke geschlossen.

Wie lange bleibt man als Geimpfter geschützt? Kürzer als erwartet. Deshalb müsse man bei der Definition, wer geimpft sei, bald „nachsteuern“, sagt Manuela Rottmann. Hintergrund ist die Tatsache, dass die Wirkung der Vakzine nachlässt. So hat eine neue Studie aus Schweden, die fast 1,7 Millionen Menschen neun Monate lang begleitete, ergeben, dass von dem zunächst bestehenden Schutz vor einer symptomatischen Covid-19-Erkrankung von rund 90 Prozent bei Astrazeneca nach gerade einmal vier Monaten nichts mehr vorhanden war. Bei Biontech waren nach sechs Monaten gerade noch 23 Prozent übrig. Moderna kam nach einem halben Jahr immerhin noch auf knapp 60 Prozent.

Mit Blick auf schwere Verläufe sinkt die Effektivität über alle Impfstoffe hinweg von 89 auf 42 Prozent nach sechs Monaten. Der Effekt sei insbesondere bei alten, gebrechlichen Menschen und Vorerkrankten zu beobachten. Für Christine Aschenberg-Dugnus ist deshalb boostern „sehr, sehr wichtig“. Durchaus möglich, dass auf absehbare Zeit nur noch als vollständig geimpft gilt, wer drei Dosen bekommen hat – dazu muss allerdings die Booster-Kampagne deutlich an Fahrt aufnehmen. Sabine Dittmar wünscht sich 1,5 Millionen Impfungen am Tag – bisher sind nach Angaben des Robert-Koch-Instituts seit Anfang September insgesamt nur 4,4 Millionen Auffrischungen verabreicht worden.

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Erstellt:
18.11.2021, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 05sec
zuletzt aktualisiert: 18.11.2021, 06:00 Uhr

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