Arbeitsmarkt

Nur wenige wählen eine Lehre

Weniger Stellen und noch weniger Bewerbungen: Um die duale Ausbildung steht es im Moment nicht gut. Das liegt an der Pandemie, aber auch an den Betrieben.

23.11.2021

Von Miri Watson

Wer gerne sägt, hämmert oder schweißt, ist mit einer dualen Ausbildung vielleicht richtig bedient. Foto: © Anselm Kempf/shutterstock.com

Wer gerne sägt, hämmert oder schweißt, ist mit einer dualen Ausbildung vielleicht richtig bedient. Foto: © Anselm Kempf/shutterstock.com

Wer noch einen Ausbildungsplatz sucht, hat so gute Chancen, wie kaum jemals zuvor – obwohl das Ausbildungsjahr schon begonnen hat. Zwar gibt es fast 6 Prozent weniger Ausbildungsstellen im Land, als im Jahr zuvor; geichzeitig ist aber die Zahl der unbesetzten Stellen um 24,7 Prozent angestiegen. Mehr als 10 000 Ausbildungsplätze sind offengeblieben. „Der Bedarf ist enorm“, sagt Baden-Württembergs Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU). Viele junge Menschen verschöben den Ausbildungsbeginn auf Grund der Pandemie und der damit einhergehenden Unsicherheiten.

Christian Rauch, Leiter der Regionaldirektion Baden-Württemberg der Bundesagentur für Arbeit (BA), appellierte an die jungen Menschen: „Es lohnt sich nicht, die Berufsentscheidung vor sich herzuschieben.“ Wer sich unsicher sei, könne sich auch jetzt noch an die Berufsberatung wenden. Im Bedarfsfall biete die BA die assistierte Ausbildung an – ein Modell, das all denen zur Verfügung steht, die wegen schlechter Noten, Prüfungsangst oder Sprachproblemen Schwierigkeiten haben, eine Ausbildung zu beginnen oder dabeizubleiben.

Ebenfalls pandemiebedingt hat es für Schulabgänger seit März 2019 wesentlich weniger Möglichkeiten zur praktischen Berufsorientierung gegeben. Kultusstaatssekretärin Sandra Boser sieht das als Problem: „Nur die Praktika, die wirklich in Präsenz stattfinden, haben einen Klebeeffekt“, sorgen also dafür, dass die jungen Menschen, die einen Beruf ausprobieren auch dabeibleiben: „Wir haben zwar digitale Angebote bereitgestellt, doch die Erfahrung, die man durch das Handanlegen vor Ort macht, können sie nicht ersetzen.“

„Nur wer die Bandbreite an Berufen kennt, kann sich für eine berufliche Ausbildung entscheiden, die zu seinen Talenten und Interessen passt“, meint Rainer Reichhold, Präsident des Baden-Württembergischen Handwerkstags. Zwar sei es schön, dass es eine nach wie vor steigende Zahl an Abiturienten gebe. Es müsse aber vermieden werden, „dass das Abitur als Automatismus zum Studium führt“. Wenn die duale Ausbildung gesellschaftlich als gleichwertige Alternative angesehen würde, wäre das nicht nur für die Ausbildungsbetriebe und den drohenden Fachkräftemangel positiv, glaubt Reichhold: „Ich bin sicher, dadurch ließe sich auch der ein oder andere Studienabbruch vermeiden.“

Der Rückgang derer, die sich für eine duale Ausbildung entscheiden, hat aber nicht nur mit der Pandemie zu tun – schließlich sind die Betriebe mit in der Verantwortung. Julia Friedrich, Bezirksgeschäftsführerin des DGB Baden-Württemberg mahnt: „Zur Wahrheit gehört, dass insbesondere in Bereichen wie der Metall- und Elektrobranche zuletzt massiv Ausbildungsplätze abgebaut wurden. Der Fachkräftemangel von morgen ist damit hausgemacht und programmiert.“

Dafür, dass Unternehmen sich nicht von der Flaute beirren lassen, plädiert Rauch: „Die Betriebe kann ich nur auffordern, in ihrer Ausbildungsbereitschaft nicht nachzulassen.“ Wichtig sei, die Ausbildungsberufe für alle Schulabgänger interessant zu machen – besonders für die mit Hauptschulabschluss. Viele Stellen seien nicht für Hauptschulabgänger ausgeschrieben: „Derzeit stehen 100 jungen Menschen mit Hauptschulabschluss nur 85 betriebliche Ausbildungsstellen zur Verfügung.“ Friedrich schlug vor, die duale Berufsausbildung insgesamt attraktiver zu machen. Die Ausbildungsplatzgarantie steht bereits im Koalitionsvertrag.

Die Azubicard soll helfen

„Die Ausbildung stellt eine gleichwertige Alternative zu einer akademischen Laufbahn dar“, sagte Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU). Doch während Studierende schon lange mit ihrem Ausweis günstiges Mensa-Essen oder den ermäßigten Freibad-Eintritt bekommen, war es mit Vergünstigugen für Azubis lange eher schwierig. Mit der Azubi-Card, die von IHK und der Handwerksinitiative „Das Handwerk“ eingeführt wurde, soll Abhilfe schaffen. Azubis bekommen sie automatisch bei Ausbildungsbeginn.

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Erstellt:
23.11.2021, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 41sec
zuletzt aktualisiert: 23.11.2021, 06:00 Uhr

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