Corona

Kitas und Schulen: Notbremsung auf dem Sonderweg

Die Öffnung von Schulen und Kitas liegt auf Eis, wie es jetzt weitergeht, ist offen. Zuletzt hatte sich Regierungschef Kretschmann schwergetan, die Pläne zu verteidigen.

28.01.2021

Von ROLAND MÜLLER, JENS SCHMITZ

Bohrende Fragen und ein kleiner Ausraster: Kretschmann am Dienstagabend im Verhör bei Markus Lanz. Foto: ZDF Screenshot https://www.zdf.de/gesellschaft/markus-lanz

Bohrende Fragen und ein kleiner Ausraster: Kretschmann am Dienstagabend im Verhör bei Markus Lanz. Foto: ZDF Screenshot https://www.zdf.de/gesellschaft/markus-lanz

Stuttgart. Es ist ein Auftritt, der Wellen schlägt: Am Dienstagabend ist Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) in der ZDF-Sendung „Markus Lanz“ zugeschaltet – und 75 Minuten lang in der Defensive. Warum Baden-Württemberg ausschere, die Schulen zwei Wochen früher öffne, obwohl doch Kanzlerin Angela Merkel mit den Ministerpräsidenten anderes beschlossen habe? Immer wieder muss er rechtfertigen, was er und Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) am Mittwoch verkünden wollen: Kitas und Grundschulen ab 1. Februar schrittweise zu öffnen. Irgendwann wird es Kretschmann zu bunt: Man solle „kleine Abweichungen nicht immer so aufbauschen“, schimpft er, es gehe zudem „nur um GRUNDSCHULEN, alle anderen bleiben GESCHLOSSEN“, man solle nicht so tun, „als seien da Schurken am Werk.“

Der Clip wird tags darauf als „Ausraster“ im Internet herumgereicht. Wenn das Ziel war, dem angeblichen „Sonderweg“ Baden-Württembergs in der Schulpolitik Aufmerksamkeit zu entziehen, ist das nicht gelungen. Überhaupt ist es bemerkenswert, zu sehen, wie Kretschmann vor einem Millionenpublikum einen Kurs verteidigt, den Eisenmann, seine Konkurrentin im Landtagswahlkampf, seit Wochen forciert – auch gegen ihn. Er sei in der Frage „nicht so weit von ihr weg“, sagt er dazu in der Sendung.

Wie es sich mit dieser Nähe am Mittwochmittag verhält, ist schwer zu sagen. Um 14:30?Uhr wollen beide vor die Presse treten und den Beschluss verkünden, zuvor ist ein Gespräch anberaumt. Doch um 14 Uhr, so sagt es Regierungssprecher Rudi Hoogvliet später der dpa, trifft die Hiobsbotschaft ein: 13 neue Fälle von Virusmutationen im Südwesten – unter anderem bei zwei Kindern in einer Kita in Freiburg, wo noch 21 weitere Infektionen untersucht werden. Um welche Variante der N501Y-Mutation es sich handelt, wird noch untersucht.

Das gibt für Kretschmann den Ausschlag, die Entscheidung erneut zu vertagen. Die Fälle müssten im Labor überprüft werden. „Ich habe immer deutlich gemacht, dass wir die Entscheidung über die Öffnung abhängig vom Pandemiegeschehen treffen und wir vor einer ganz neuen Situation stehen würden, sollte sich einer der mutierten Viren manifestieren“, teilt er am Abend mit. Die Wissenschaft geht davon aus, dass die Mutationen, die aus Südafrika und Großbritannien stammen, deutlich ansteckender sind.

Wie es nun weitergeht, ist unklar. Offiziell ist die Entscheidung nur „vertagt“ – aber auf wann? Eisenmann äußert sich am Mittwoch auffallend einsilbig. „Das Sozialministerium und das Landesgesundheitsamt müssen nun zunächst den genauen Sachverhalt aufklären“, lässt sie eine Sprecherin mitteilen.

Dass am Montag doch noch geöffnet wird, ist für Beobachter aber kaum vorstellbar. Bevor das geschehe, müsse „die Infektionslage kleiner Kinder bedingt durch die mutierte Virusvariante geklärt sein“, sagt Gerhard Brand, Chef des Lehrerverbands VBE. Außerdem brauche es erst eine flächendeckende Versorgung mit FFP2-Masken. Ähnlich äußert sich auch der Grundschulverband Baden-Württemberg: „Eine Öffnung kann nur auf einem umfassenden Hygienekonzept erfolgen, das auch die Virusmutanten berücksichtigt.“ Die Gewerkschaft GEW fordert, Kitas und Schulen frühestens nach der Fastnachtspause am 22. Februar zu öffnen.

Die oppositionelle SPD sieht sich durch die neue Entwicklung in ihrer Kritik an der Regierung bestätigt. „Seit Wochen haben wir davor gewarnt, dass sich Kretschmann und Eisenmann nicht von den Empfehlungen der Wissenschaft absetzen dürfen. Die Gefahr der Virus-Mutante können wir derzeit noch überhaupt nicht seriös einschätzen“, sagt SPD-Fraktionschef Andreas Stoch. „Niemand kann in der aktuellen Lage einsehen, warum man nicht noch zwei Wochen abwartet, so wie es die Länder vereinbart hatten.“ Durch die anschließenden Fasnachtsferien hätte man drei Wochen gewonnen, in denen die Infektionszahlen weiter sinken. Und jede Woche wisse man über die Virus-Mutationen mehr.

Was man nach einem turbulenten Tag in jedem Fall weiß: Dass auch „geschlossene“ Kitas mit Notbetreuung nicht vor Corona-Fällen gefeit sind: Der Freiburger Ausbruch war den Behörden bereits seit 17. Januar bekannt, nur die Information über die Mutation traf erst am Mittwoch ein.

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Erstellt:
28.01.2021, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 58sec
zuletzt aktualisiert: 28.01.2021, 06:00 Uhr

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